Die Fastenzeit, die Quadragesima, ist laut Kirchenkalender beendet. Sie beginnt am Aschermittwoch und endet am Karfreitag. Passionszeit wird sie auch genannt. Passio kommt aus dem Lateinischen und heißt das Leiden, nicht zur Verwechseln mit dem englischen Ausdruck passion, der für Leidenschaft steht.
Sie haben nicht gefastet und demzufolge nicht am Entzug geliebter Dinge wie Nahrungs- und Genussmittel gelitten? Sind Sie sich darin auch sicher? Genaugenommen fasten wir in gewisser Hinsicht fast alle.
Es gibt immer etwas worauf wir verzichten. Den Zweitwagen beispielsweise, der in vielen Fällen ein schickes Cabriolet oder ein Oldtimer ist; vielleicht aber auch ein Wohnwagen oder ein anderes Zweitfahrzeug wie das Motorrad, die Vespa oder gar das Rennrad oder Mountainbike.
“In jedem Anfang wohnt ein Zauber inne”
Es ist April und wir müssen auf unsere geliebten Zweit- oder Dritt- oder Viertfahrzeuge nicht mehr verzichten und können die erste Runde – beispielsweise in einem himmelblauen Renault 4 (kurz: R4) mit Ledersitzen Jahrgang anno 1981 – um den Tegernsee fahren.
Ein R 4 reicht aus, um die Herzen höher schlagen zu lassen. Nicht nur das Herz des Fahrers, auch das der Passanten. Beim Anblick eines R 4 erwacht die Jugendzeit. Eine Auferstehung der besonderen Art. Die Menschen umringen den R 4, erzählen Geschichten aus ihrer Jugendzeit, die wohl für uns alle eine besondere ist.
Denn wie heißt es schon in Herrmann Hesses Gedicht „Die Stufen“: “Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.” Ein R 4 weckt offensichtlich diesen Zauber und damit die Erinnerung an den ersten aller Anfänge. Denn je nachdem wie man es betrachtet, besteht das Leben aus einer mehr oder weniger langen Serie von Anfängen.
Erstaunlich wie viele Menschen mit einem R 4 ihre Laufbahn als Autofahrer in jungen Jahren begonnen haben. Erste Liebe, erstes Glück, erste Reise in der Clique im R 4 zu Fünft! nach dem ersten Schulalbschluss, erstes Kind – alles mit R 4. Einen Rucksack voller Geschichten kann man allein bei einer Rundfahrt um den Tegernsee mit gelegentlichem Halt zum Kaffeetrinken, zur Einkehr beim Konditor oder ähnliches – schließlich ist die Fastenzeit vorbei – einsammeln.
Zweitwohnung und Drittkind
Kein Wunder, dass der R 4 einen Platz in dem Romanepos „Abendland“ des in Vorarlberg lebenden Schriftstellers Michael Köhlmeier fand. „Abendland“, im Jahr 2007 bei Hanser in München erschienen, gilt als der große Generationsroman über das 20. Jahrhundert und landete als solcher auf der “Shortlist” des Deutschen Buchpreises. Ein würdiger Platz im literarischen Olymp für einen R 4.
Abgesehen von Fahrzeugen aller Art, gibt es ebenfalls noch die Zweitwohnung, die im Frühjahr geputzt, neu möbliert und wieder bezogen und keinesfalls aufgegeben wird, denn auch diese ist mit Geschichten verbunden, wie den Urlaub mit den Kindern, der heimlichen Geliebten oder des Geliebten, wunderschönen Ausflügen in den Tegernseer Bergen und vielleicht dem zweiten Kind.
In Bayern gelten die Monate Juli, August und September als die geburtenstärksten. War das nicht die Weihnachtszeit, an der man zuletzt die Zweitwohnung bewohnte …? Kaum erblicken die Dinge und Gewohnheiten, auf die für einen gewissen Zeitraum aus welchen Gründen auch immer verzichtet wurde, das Licht des Frühlings, so entfalten sie ihren Zauber und erzählen uns Geschichten. Vielleicht gehört der Osterlammbraten mit Pfefferminzsoße nach irischer Art ebenfalls dazu.
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