Viele außergewöhnliche Filme versprach der Direktor des diesjährigen Bergfilm-Festivals, Michael Pause, in seiner Eröffnungsrede. Und er hielt Wort. Vom Postkartenidyll und von in den Bergen aktiven, sich selbst darstellenden Superathleten scheinen jedoch eine ganze Reihe von Filmern genug zu haben, wie ein Blick auf die Liste der Preisträger zeigt.
Vor allem der Siegerfilm “Schnee” polarisiert. Alles andere als eine heile Welt und trotz schöner Bilder ein Film mit einer “starken, politischen Botschaft”, so sieht es Juror Rainer Stephan.
Das Programm des 10. Bergfilm-Festivals war gespickt mit Beiträgen, die auch die Schattenseiten der heutigen Bergwelt aufzeigen. Die Bilder drängen sich auf, auch wenn man eigentlich im Moment keiner Lust hat, sich damit zu belasten. Dabei sind sie der Preis, den Mensch und Natur für das zum Teil aufwendig inszenierte Erlebnis Berg in unterschiedlicher Weise zu zahlen haben. Schuld daran sind alle und niemand, gleichermaßen. Doch Verantwortung trägt jeder einzelne.
Kein Seelenbalsam
An dieser Erkenntnis kommt keiner vorbei, der August Pflugfelders Dokumentation „Schnee“ sieht, die gestern Abend mit dem Großen Preis der Stadt Tegernsee ausgezeichnet wurde. Der Versuch, die Natur zu ändern, indem man Schnee mit beängstigendem Aufwand herstellt und immer neue Abfahrtsmöglichkeiten erschließt, ist bedrückend und macht nachdenklich.
„Erwartet haben wir diese Entscheidung der Jury so natürlich nicht“, bestätigt der Direktor des Tegernseer Bergfilm-Festivals, Michael Pause. „Doch es ist ein mutiger Schritt, den wir durchaus begrüßen.“
Für Rainer Stephan, Journalist bei der Süddeutschen Zeitung und in diesem Jahr Mitglied der fünfköpfigen international besetzten Jury, ist die Entscheidung nur konsequent:
Von einem Bergfilm-Festival, das in einer Region stattfindet, in der genau dieses Thema ein zentrales Problem ist, muss ein solches Signal ausgehen. Das sehen wir als Jury als unsere Pflicht an.
Seine Eindrücke zum Bergfilmfestival und die Erklärung, warum die Jury den Hauptpreis bewusst an einen Film “ohne Seelenbalsam” und mit so einer “starken, politischen Botschaft” vergeben hat, schildert Stephan in einem Interview, das die Festival-Pressestelle geführt hat:
Sie kennen das Bergfilm-Festival seit vielen Jahren, was hat sich aus Ihrer Sicht verändert?
Rainer Stephan: Ich habe den Eindruck, dass früher mehr Filme gezeigt wurden, wo das reine Sporterlebnis im Mittelpunkt stand. Davon scheint man wieder wegzukommen. Erstaunlich ist, dass so wenige Berg-Spielfilme vertreten waren. Gerade in den vergangenen Jahren hat sich der Schauplatz Berg ja wieder zu einem auch für Spielfilme interessanten Drehort etabliert. Wenn auch der Berg dann meistens eine andere Rolle spielt als früher.
Als Autor und Journalist arbeiten Sie ja vor allem schreibend und haben mit dem Genre Film relativ wenig zu tun. Und nun müssen Sie in der Jury Filme beurteilen…
Rainer Stephan: Das ist die gleiche Herangehensweise wie wenn ich Filmkritiken schreibe. Ich bin ein normaler Zuschauer, der nicht von vornherein filmfachliche oder technische Maßstäbe anlegt. Das heißt aber nicht, dass ich dadurch den Geschmack des durchschnittlichen Zuschauers repräsentiere.
Für mich ist entscheidend, dass ein Film bei uns ankommt. Die Bilder müssen mich packen, sie müssen mich ansprechen. Und sie müssen eine wichtige Botschaft übermitteln, die ich auch verstehe, wenn ich zuvor nichts von der Problematik weiß. Das ist bei dem Film „Schnee“ der Fall, der in diesem Jahr von uns mit dem Großen Preis ausgezeichnet wurde. Diese Bilder belasten und sie beschäftigen das Publikum noch länger, vor allem dann, wenn sie Skifahrer sind. Aber die technische Seite wird im Urteil der Jury natürlich auch beurteilt, deshalb sind wir ja auch zu fünft.
Muss ein Film, der hier mit dem „Großen Preis“ ausgezeichnet wird, nicht auch schön sein?
Rainer Stephan: Nein. Auch auf einem Bergfilm-Festival vergeben wir keinen Schönheitspreis. Beurteilt wird die Qualität. Ein Film muss wichtig und gut sein, die Bilder müssen eine Botschaft vermitteln, auch wenn einem die Problematik zuvor nicht bewusst war oder sie unbequem ist.
Die Veranstalter eines Bergfilm-Festivals sollten sich davor hüten, nur Filme zu zeigen und auszuzeichnen, in denen die Berge ausschließlich als schöne, heile Welt verkauft werden – dafür ist diese Welt zu sehr bedroht. Es tut deshalb nicht gut, wenn Preise am Schluss immer nur an das Schöne gehen. Abgesehen davon ist „Schnee“ ein sehr schöner, toll gemachter Film mit großartigen Bildern. Aber zweifellos: Seelenbalsam ist das nicht. Und gerade deshalb ist der Film doppelt gut und hat den Großen Preis verdient.
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