Chancen einer alternden Gesellschaft

Die Menschen am Tegernsee werden in den kommenden Jahren immer älter. Diese Erkenntnis des bayerischen Landesamtes für Statistik ist nichts grundlegend Neues und wurde bereits umfassend diskutiert.

Überraschender ist da schon die Prognose, dass in den kommenden Jahrzehnten nicht nur ältere, sondern insgeamt auch mehr Menschen am Tegernsee leben werden. Das bringt große Veränderungen mit sich.

So jung wie beim Wiesseer Dorffest, ist das Tegernseer Tal nur selten.
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Die Überalterung der Gesellschaft ist ein grundsätzliches und unausweichliches Problem. Die Dimension dahinter wird wohl erst richtig deutlich, wenn man es in Zahlen veranschaulicht:

Um den derzeitigen Altersquotienten (Verhältnis der über 65-Jährigen zu den 15- bis 65-Jährigen) auch nur konstant zu halten, müssten bis 2050 insgesamt 188 Millionen Menschen mehr nach Deutschland ein- als auswandern. Dadurch würde sich die Bevölkerungszahl von heute 82 auf dann 299 Millionen Menschen erhöhen – unvorstellbar” (Birg, Herwig; Bevölkerungswissenschaftler, Bielefeld).

Solche Zahlenspiele sind beeindruckend, helfen bei der grundsätzlichen Lösung des Problems aber nicht weiter. Sie zeigen allerdings, dass auch im Tegernseer Tal eine Entwicklung auf uns zukommt, die alleine durch den Zuzug junger Familien nicht aufzuhalten ist: in den kommenden 40 Jahren müssten dieser Rechnung zufolge rund 66.000 junge Menschen zuziehen. Wohlgemerkt nur, um die aktuelle Verteilung von Jung zu Alt im Tegernseer Tal konstant zu halten.

Das ist in der Tat unvorstellbar. Und mehr als unrealistisch.

Das Tegernseer Tal altengerecht ausbauen?

Im Tegernseer Tal zeigt sich zusätzlich noch ein anderes Problem: Der See, die Berge, die Landschaft sind beliebt. Vor allem bei älteren Menschen. Was nicht zuletzt die Zahlen der jüngsten Umfrage zeigen: Alleine in den kommenden Zehn Jahren wird die Zahl der Rentner in Rottach beispielsweise um 28,5 Prozent steigen. In Tegernsee um 22,2 Prozent. In den übrigen Gemeinden sind die Raten etwas geringer. Allen Betrachtungen gemein ist aber, dass die Zahl der Jugendlichen im gleichen Zeitraum stetig abnimmt.

Da stellt sich eine Frage, die kaum einer auszusprechen wagt: täten wir gut daran, das Tegernseer Tal altersgerecht auszubauen? Geht es um Barrierefreiheit, statt um Kindergärten? Zugegeben, das klingt überspitzt aber sich der Realität zu verwehren hilft an dieser Stelle nicht weiter. Die Politik kann die Entwicklung lediglich gestalten. Umkehren kann sie sie nicht.

Laut einer Studie müssten in Sylt über 2.800 Wohnungen entstehen, um der Überalterung gerecht zu werden.

Vor ähnlichen Herausforderungen steht man auch am entgegengesetzten Ende der Republik auf Sylt. Dort leben die Gemeinden ebenfalls stark vom Tourismus. Dort hat man ebenfalls mit der Problematik der Zweitwohnsitze zu kämpfen und dort rechnet man ebenfalls mit vergleichbar stark wachsenden Zahl an Rentnern und einer abnehmenden jüngerer Bevölkerung – nicht zuletzt durch immer weiter steigende Immobilienpreise.

2.850 neue Wohnungen für ein alterndes Sylt

Spannend ist, was eine aktuelle Studie als Lösungsansatz für die Insel Sylt sieht. In Auftrag gegeben von der von der Gemeinde Sylt beim Berliner Institut Stadtforschung und Strukturpolitik (IFS). Im Ergebnis empfiehlt die Studie die gezielte Schaffung von bezahlbarem Dauerwohnraum für jüngere Menschen. Allerdings nicht um der sogenannten Gentrifizierung entgegenzuwirken, sondern schlichtweg, um die wirtschaftliche Entwicklung Sylts auch auf lange Frist zu sichern:

Wenn es weiter geht wie bisher, erwartet Jürgen Veser vom IFS, dass die Bevölkerung immer älter wird. Wer es sich nicht mehr leisten kann, wandert ab aufs Festland. Es wird immer schwieriger, Leute für Jobs auf der Insel zu gewinnen, auf der es zwar Arbeit gibt, aber kaum bezahlbare Wohnungen. Die fehlenden Arbeitskräfte könnten die Entwicklung der Sylter Wirtschaft stark einschränken, warnt Veser.

Die Zahlen, die das Institut in den Raum stellt sind beachtlich: 2.850 neue Wohnungen müssten demnach in den nächsten dreizehn Jahren entstehen, um dieser Entwicklung Einhalt zu bieten. Wohlgemerkt: Sylt hat aktuell rund 20.000 Einwohner. Das sind 5.000 weniger als die fünf Talgemeinden rund um den Tegernsee. 2.850 Wohnungen sind da eine echte Hausnummer. Der Wohnraum sollte laut Studie auf kommunalem Grund entstehen, um ihn dem Immobilienmarkt und Spekulationsgeschäften zu entziehen.

Altersruhesitz als Wirtschaftsfaktor verstehen

Bezieht man dieses Vorhaben auf das Tegernseer Tal, wird klar, welche Herausforderungen wohl auch hier auf uns zukommen werden. Es geht, sowohl in Sylt, wie auch bei uns nicht darum zu entscheiden, ob wir als Gesellschaft älter werden oder nicht. Es geht auch nicht darum der Gentrifizierung oder den Immobilienpreisen Einhalt zu bieten. Beides ist kaum möglich. Es geht vielmehr darum den Rahmen und die Möglichkeiten zu gestalten, innerhalb derer eine wachsende ältere Bevölkerung als Wirtschaftsfaktor verstanden werden kann.

Durch die steigende Zahl an Rentnern wird sich langfristig beispielsweise auch die Einnahmensituation für die Gemeinden verändern, da immer weniger Erwerbstätige ihre Einkommen hier versteuern – zumindest, wenn sie nicht mehr in einer der Talgemeinden wohnen können. Gleichzeitig kann und wird sich aber auch eine altersangepasste Wirtschaft aus der Veränderung entwickeln können: private Pflegedienste und Altersheime sind da nur die offensichtlichsten Beispiele für viele neue Dienstleistungen.

Eine alternde Gesellschaft bringt, gerade am Tegernsee, auch Möglichkeiten für neue Wirtschaftszweige.

In Sylt versucht man sich bereits darauf einzustellen, indem man Wohnraum für diejenigen schafft, die in den neuen Wirtschaftszweigen arbeiten werden. Man schafft den Rahmen, um mit den Gegebenheiten auch in Zukunft gut leben zu können. Dazu gehören Spielplätze, Kindergärten und Schulen. Dazu gehört aber auch der Auf- und Ausbau einer altersgerechten Infrastruktur und die Möglichkeit des Ausbaus auf ältere Menschen angepasster Wirtschaftszweige.

Infrastruktur den kommenden Gegebenheiten anpassen

Diese skizzierten Entwicklungen sind vielleicht nicht zu 100 Prozent das, was sich mancher für das Tal wünscht. Aber es sind Entwicklungen, vor denen man nicht die Augen verschließen kann. Eine traditionelle Gesellschaftsstruktur mit einer gesunden Verteilung zwischen Jung und Alt, kann und wird wohl nicht die Zukunft einer Region wie dem Tegernseer Tals sein können. Sie wird aber auch sonst nirgends die Zukunft sein. Man muss man sich der vorgezeichneten Entwicklung stellen und sinnvoll darauf reagieren.

Private Investoren haben das längst erkannt und investieren am Tegernsee verstärkt in gehobene Objekte für den anspruchsvollen Lebensabend – egal ob in Form hochwertiger Hotels oder gehobener Wohnungen. Verhindern kann man das kaum. Die Politik kann aber darauf reagieren und die nötige Infrastruktur schaffen. Zum einen, um das Tal besser für immer ältere Menschen nutzbar zu machen. Stichwort Barrierefreiheit.

Zum anderen aber auch dadurch, dass innerhalb dieser Veränderungen eine Infrastruktur, ein wirtschaftliches Auskommen und vor allem der soziale Lebensmittelpunkt für junge Menschen und Familien entstehen kann – irgendwer muss sich schließlich um die im Altersruhesitz kümmern. 

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