Ein Kommentar von Nicole Kleim:
Stellen wir uns vor, die Bank würde uns jeden Tag 822 Euro auf unserem Konto gutschreiben. Bei diesem Gedankenspiel gibt es nur eine Regel: Am Ende des Tages muss alles wieder ausgegeben sein. Auf unserem Konto muss eine schwarze Doppelnull stehen.
Doch ohne Vorwarnung stellt die Bank die Zahlung plötzlich ein. Das Spiel ist beendet. Nichts geht mehr. Natürlich sind wir erschüttert, wollen dem Verlust hinterherjagen und begeben uns dafür auf bislang unbekanntes Terrain: Wir setzen unsere letzten finanziellen Mittel ein – und zocken!
Dieses Gedankenspiel ist im Tegernseer Tal Realität. Als Wiessees Bürgermeister Peter Höß seinen Nachbargemeinden 2015 deren Anteil an der Spielbankabgabe verweigerte und den Geldhahn zudrehte, saß der Schock tief. Der Anteil aus einem mehrfachen Millionengewinn – einfach futsch.
Höß pokert
Croupier Höß aber setzte sein Pokerface auf. Hatte es doch in seinem Hinterkopf längst gerattert: Der Umbau des Lindenplatzes – kostet. Das Jodbad – kostet. Der Schuldenstand von Wiessee in Höhe von etwa 28 Millionen Euro – muss ausgeglichen werden.
Als Höß sein Amt 2008 übernahm, lagen die Spielbank-Einnahmen noch bei 4,5 Millionen Euro. Dann kam das Rauchverbot, und die Einnahmen schrumpften auf die Hälfte. Wo also das fehlende Geld hernehmen? Richtig. Die Karten müssen neu gemischt werden.
Wenn schon die Nachbargemeinden von der Spielbankabgabe profitieren, denkt er, dann sollten sie sich auf jeden Fall an den Baukosten der Spielbank mit 3,5 Millionen Euro beteiligen. Und da in der Liebe und im Glücksspiel alles erlaubt ist, spielt er sein Ass im Ärmel aus: Er stoppt die Gewinnausschüttung und treibt damit die anderen Gemeinden auf die Barrikaden.
Das Spiel beginnt
Ein Ringen ums Geld beginnt. Anwälte diskutieren. Bis zur letzten Minute bleibt unklar, ob eine Einigung überhaupt möglich ist. Und dieses Mal verzockt sich der Wiesseer Bürgermeister nicht. Souverän spielt er das Spiel bis zum Ende – und gewinnt.
Was haben die Anderen verloren? Sie mussten zwei Jahre lang auf Einnahmen verzichten, an die sie sich wie an einen treuen Gefährten gewöhnt hatten. Und sie müssen nun in den sauren Roulette-Schieber beißen und die Baukosten mittragen. Macht bei einer vereinbarten Summe von zwei Millionen etwa 500.000 Euro pro Gemeinde aus. Unberücksichtigt des Verteilungsschlüssels, der für Tegernsee und Rottach anders ausfällt als für Kreuth und Gmund.
Gedankenspiel
Mal angenommen, der Bruttospielertrag aus der Spielbank liegt jedes Jahr bei zweieinhalb Millionen Euro, so wie in diesem Jahr, dann bedeutet das: Tegernsee und Rottach-Egern bekommen davon je 9,8 Prozent, also 245.000 Euro. Kreuth und Gmund jeweils die Hälfte von diesem Betrag. Genauso, wie es im Vertrag von 1977 vereinbart worden war und nach neuester Vereinbarung unverändert fortgeführt wird.
Da der Vertrag bis 2050 gilt, also die nächsten 33 Jahre, haben zumindest Tegernsee und Rottach-Egern damit um die acht Millionen Euro in die Haushaltskassen gespielt. Eine Win-win-Situation für alle Beteiligten. Höß, der sich immer wieder den Vorwurf gefallen lassen muss, durch Fehlplanungen das Geld zum Fenster rauszuschmeißen, hat auf Schwarz gesetzt – und gewonnen. Die Talgemeinden auf lange Sicht ebenso.
Talgedanke größer als Talteller
Und noch jemand profitiert: Die Menschen im Tal. Die Spielbank ist ein Touristenmagnet und wichtig für die Region. Denn so wie Menschen aus aller Herren Länder hier ihren Kick im Bluffen und Manipulieren holen, so täuscht das verspielte Geld doch nicht über die Tatsache hinweg, dass es anderweitig in Form von Straßen oder Kindergärten wieder auftauchen wird.
Es könnte natürlich sein, dass es in Bauten landet, über die man irgendwann den Kopf schüttelt, aber genau das ist Glücksspiel: Ein Pokern mit ungewissem Ausgang. Die fünf Talbürgermeister haben sich an den Roulette-Tisch gesetzt. Gepokert haben sie alle. Letztendlich siegte aber der Friedenswille über die Gier. Im Haifischbecken der menschlichen Abgründe sind sie die Guten.
SOCIAL MEDIA SEITEN