30 Jahre betrieb Barbara Sonntag-Müller ihre Luitpold-Apotheke in der Adrian-Stoop-Straße. Allerdings in unmittelbarer Nähe zur Konkurrenz, der Antonius-Vital- Apotheke. Ursprünglich gab es in Bad Wiessee noch zwei weitere, die Rathaus- und die Kur-Apotheke. Doch die diversen Gesundheitsreformen erschwerten deren Existenzen. Keiner wolle jetzt mehr selbstständig werden und Risiko und Verantwortung auf sich nehmen, beklagt die 72-jährige Apothekerin Sonntag-Müller.
Ich habe keinen Nachfolger gefunden, obwohl ich dies schon vor über zehn Jahren versucht habe.
Auch die Bürokratie verleide einem die Selbstständigkeit, „weil ständig neue Verordnungen kommen. Außerdem haben wir ja immer die Notdienste auch an Feiertagen, und das will niemand mehr machen“. Der Online-Versandhandel sei hier im ländlichen Raum noch nicht so stark zur Konkurrenz geworden wie in den Ballungsräumen. „Doch die Jugend würde immer mehr online bestellen“.
Dies sei auch im Sinne der Pharma-Industrie, sagt Clea Gerbaulet von der Antonius-Vital-Apotheke nebenan. „Denn die Pharma-Riesen wollen lieber direkt beliefern, um den Groß- und Einzelhandel zu umgehen“. Damit würden vor allem in den Großstädten die kleinen Apotheken „dramatisch wegbrechen“.
„Es tut weh“
Dies beklagt auch die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (Abda). Der Weg zur nächsten Apotheke werde immer länger: Überall im Land geben Apotheker auf. Die Zahl der Anlaufstellen erreicht einen neuen Tiefstand. Seit Jahresende 2016 ist die Zahl der Apotheken bundesweit auf 19.880 Apotheken gesunken, wie der Apothekenverband erklärt. Die neuen Rahmenbedingungen machen den alteingesessenen Apothekern offenbar schwer zu schaffen: Vor allem selbstständige Apothekeninhaber geben nach Angaben der Bundesvereinigung derzeit auf.
“Es tut weh, wenn selbstständige Apotheker entweder wirtschaftlich dazu gezwungen sind oder einfach keine pharmazeutische Perspektive mehr sehen”, sagt Abda-Präsident Friedemann Schmidt. “Dieser Verlust an selbstständigen Apothekern schmerzt deshalb besonders, weil Freiberuflichkeit und Gemeinwohlpflicht untrennbar miteinander verbunden sind.”
Neue Rivalen im Internet
Als einen weiteren Grund für den Rückgang nennen die Verbände die steigende Konkurrenz durch ausländische Versandhändler. Nach einem Entscheid des Europäischen Gerichtshofs im Oktober 2016 müssen sich die Händler nicht an die in Deutschland geltenden einheitlichen Preise für rezeptpflichtige Medikamente halten. Damit können Kunden Medikamente online teilweise deutlich günstiger beziehen. Um das Apothekensterben aufzuhalten, fordert Schmidt “ein Gesetz, das wieder einheitliche Preise bei verschreibungspflichtigen Medikamenten herstellt”.
Möglich sei das nur über ein “Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln”. Die Krankenkassen sehen jedoch keinen Grund zur Panik. „Hier lohnt es sich, die Sicht des Verbrauchers einzunehmen, denn der beklagte Rückgang liegt unter 1 Prozent“, sagte Ann Marini, stellvertretende Pressesprecherin des GKV-Spitzenverbandes. Gerade in Ballungsgebieten gebe es nach wie vor ausreichend viele Apotheken. Nach Meinung der Krankenkassen ist der Versandhandel gerade in wirtschaftlich schwachen Gebieten eine wichtige Alternative für Verbraucher.
Staatliche Kalkulationen
Gegen den Online-Handel vertraut Andreas Obermüller von der Tegernseer Hof-Apotheke lieber auf eine stabile Kundenbindung. Damit könne man auf einer anderen Basis konkurrieren. „Wir haben vieles ad hoc vorrätig. Was wir auch an Feiertagen und Wochenenden leisten, kann der Versandhandel gar nicht“, so erklärt Obermüller seine Überlebensstrategie. Dennoch beklagt er die „staatlich verordneten Kalkulationen als 08/15 Geschäftsmodell. Die Erträge sind bei uns staatlich geregelt, wir sind mit unserer Preiskalkulation gebunden. Das hat den Nachteil, dass man ähnlich wie ein Handwerker nicht nachbessern kann, wenn es nicht reicht“.
Wenn man sich um Kunden besonders kümmere, weil sie vielleicht auch schon etwas älter seien, werde dies nicht honoriert. Denn meist würde es sich hier Medikamente handeln, die erklärungsbedürftig seien. „Mit dem Honorar aber ist man nicht ausreichend vergütet“, beklagt Obermüller. Daher sei es schwieriger geworden, nur von rezeptpflichtigen Medikamenten zu leben. „Früher gab es noch eine gewisse Handelsspanne“.
Nun aber gebe es seit 2004 nur einen Festaufschlag, „damit nehmen wir aber an der allgemeinen Preisentwicklung von teurer werdenden Medikamenten nicht teil. Unsere Erträge steigen nur, wenn ich mehr Packungen verkaufen kann“. Dies aber sei in einer ländlichen Region schwieriger geworden.
Zu spüren bekamen dies bereits einige einstige Kollegen von ihm im Tal. Waren es einst noch 16 Apotheken um den Tegernsee, so sind es jetzt nur noch neun. Barbara Sonntag-Müller aus Wiessee geht jedenfalls, wie sie sagt, „mit einem weinenden und einem lachenden Auge“. Auch wenn kein Nachfolger gefunden wurde.
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