Gestern Abend in der Waakirchner Turnhalle: Neun Trassenvorschläge, darunter zwei Tunnel-Varianten, hängen schön nebeneinander aufgereiht an den Wänden. Zahlreiche Bürger stehen davor und begutachten die Lichtbilder. Sieht so die Zukunft Waakirchens aus?
Einige favorisieren schon Variante Nr. 6 – weit weg vom Ortskern. Andere suche ihre eingereichte Variante vergeblich. Wenig später werden ihnen vom Bereichsleiter des Straßenbauamts Rosenheim, Stefan Högenauer, sowie von Bernhard Bauer aus der Projektgruppe Straßenplanung die Lichtbilder genauer erklärt. Es handelt sich dabei um Trassenvarianten, die Bürger als Alternative zur der im Bundesverkehrswegeplan (BVWP) geplanten Südumfahrung eingereicht hatten, und die das Straßenbauamt auf Machbarkeit geprüft hatte.
Högenauer betonte gleich zu Beginn, dass es in erster Linie um „die Vorstellung der Varianten“ gehe und keinesfalls um eine Entscheidung. Man befände sich erst im Stadium der Voruntersuchung. Eine detaillierte Planung könne erst stattfinden, wenn die Trassenvariante feststeht. Und dafür sei man auf die Stellungnahme der Gemeinde angewiesen.
Högenauer wies in diesem Zusammenhang noch einmal darauf hin, dass eine „Nulllösung“ nicht Zielsetzung des Bundes sei und deshalb unmöglich. In einem komprimierten Abriss stellte Bernhard Bauer den rund 250 Zuschauern daraufhin die unterschiedlichen Varianten vor, die seit heute Mittag auf der Homepage des Straßenbauamts Rosenheim unter folgendem Link: https://www.stbaro.bayern.de/mam/strassenbau/projekte/b472_ou_waakirchen_vortrag-planung-03-07-2018.pdf abrufbar sind:
Variante 1 – Die Anmeldetrasse „Südumfahrung“
Diese Trasse steht so im vordringlichen Bedarf des Bundesverkehrswegeplans (BVWP), hat eine Gesamtlänge von 2,1 Kilometern und kostet etwa 7,7 Millionen Euro. Der Flächenbedarf: 9,6 Hektar. Drei Brücken müssten gebaut werden. Der Kosten-Nutzen-Faktor wurde vom Straßenbauamt mit „sehr hoch“ bewertet.
Variante 2 – Die Südumfahrung mit Einhausung
Diese 2,1 Kilometer lange Trasse unterscheidet sich von der ersten lediglich durch eine Einhausung in der Tegernseer Straße. Eine Einhausung ist eine bauliche Maßnahme zur Abschirmung von Lärm. Ein Kreisel würde den Verkehr im Kreuzungsbereich regeln. Der Flächenbedarf: 11,2 Hektar. Geschätzte Kosten: 12,9 Millionen Euro.
Variante 3 – Die lange, weiträumige Südumfahrung
Diese 2,9 Kilometer lange Trasse umfährt Häuserdörfl in Troglage, das heißt mit mehreren meterhohen Stützwänden. Aus geometrischer Sicht kann die Tegernseer Straße nicht verknüpft werden. Der Verkehr von und nach Gmund würde über den Venuskreisel abgewickelt werden. Man bräuchte vier Brücken und eine Einhausung. Der Flächenbedarf: 11,5 Hektar. Geschätzte Kosten: 15,5 Millionen Euro.
Variante 4 – Nordumfahrung mit Einhausung – die bautechnische Herausforderung
Diese 3,3 Kilometer lange Trasse umfährt Waakirchen im Norden und folgt dem bestehenden Gelände. Sie taucht in der Allgaustraße in eine umfangreiche Troglage (19 Meter hohe Wände!) ab. Zwei Einhausungen wären am Brunnenweg und an der Schaftlacher Straße nötig. Der Flächenbedarf: 11,1 Hektar. Geschätzte Kosten: 16,2 Millionen Euro.
Da es laut Bauer keine „baurechtlichen Begründungen“ für die beiden Einhausungen gibt, wurde Variante 5 geprüft:
Variante 5 – Nordumfahrung ohne Einhausung
Diese 3,3 Kilometer lange Trasse hat statt Troglage und Einhausungen vier Brücken, braucht aber insgesamt mehr Grundstücke. Der Flächenbedarf: 13,3 Hektar. Geschätzte Kosten: 11,75 Millionen Euro.
Variante 6 – Weiträumige Nordumfahrung – bahnparellel
Diese knapp vier Kilometer lange Trasse umfährt Waakirchen ebenfalls im Norden außerhalb des konfliktarmen Korridors. Das Gewerbegebiet wird mit eingebunden, weshalb zwei Gewerbe bei dieser Variante weichen müssten. Entschädigungskosten für die Gewerbetreibenden können zum aktuellen Projektstand nicht angegeben werden. Drei Brücken sind angedacht. Der Flächenbedarf: 18,1 Hektar. Geschätzte Kosten: 19,43 Millionen Euro.
Variante 7 – Weiträumige Nordumfahrung mit zwei Bahnkreuzungen
Diese 4,2 Kilometer lange Trasse quert zweimal die Bahnlinie. Sieben Brücken wären nötig. Der Flächenbedarf: 18,5 Hektar. Geschätzte Kosten: 21,76 Millionen Euro.
Die Tunnel-Varianten – mach- und bezahlbar?
Bevor Bauer zu den zwei Tunnellösungen überging, machte er deutlich, dass diese Varianten nur auf Wunsch der Gemeinde berücksichtigt worden seien. Denn einen Tunnel sehe der BVWP bekannterweise derzeit nicht vor. Ein Tunnelprojekt wäre zudem allein wegen der hohen Kosten bei einer Aufnahme im BVWP neu zu bewerten.
Variante 8 – Ein Ortstunnel
Ein Ortstunnel würde westlich von Waakirchen beginnen und hätte eine Länge von 2,27 Kilometern, wovon knapp 1,6 Kilometer reiner Tunnel wären. In Troglage würde er 9,70 Meter unter das Gelände abtauchen. Bis zur Hoppe-Brauerei könnte er in Deckelbauweise gebaut werden – auf einer Strecke von 690 Metern – bevor er dann in bergmännischer Bauweise 17,5 bis 26 Meter unter die Erde verschwindet.
Der Flächenbedarf: 4 Hektar. Geschätzte Kosten: 116,8 Millionen Euro. Problematisch wäre der Platzbedarf für die Beseitigung des Bauabfalls, so Bauer. Eine Beseitigung auf einer Deponie wäre nicht möglich, sodass dafür extra Platz in etwa der Größe eines Fußballfeldes und der Höhe eines neustöckigen Gebäudes geschaffen werden müsste.
Variante 9 – Ein Südtunnel
Ein Südtunnel in Deckelbauweise würde ebenfalls westlich von Waakirchen beginnen und hätte eine Länge von 2,17 Kilometern, wovon knapp 1,7 Kilometer reiner Tunnel wären. In Troglage würde er 11,70 Meter unter das Gelände abtauchen. Der Flächenbedarf: 7,8 Hektar. Geschätzte Kosten: Knapp 70 Millionen Euro.
Nach Vorstellung aller Varianten gab Bernhard Bauer das Wort an Stefan Högenauer. Der schlug der Gemeinde vor, sich nun mit den Varianten zu befassen. „Wir brauchen die Stellungnahme der Gemeinde nicht von heute auf morgen, aber wir brauchen sie.“ Es sei wichtig, zu wissen, wie sich die Gemeinde positioniere, damit der Planungsprozess voranschreiten könne.
Bürgermeister Hartl gewährte im Anschluss zwar Fragen aus dem Publikum, bat die Bürger aber um Zurückhaltung in dieser Angelegenheit, damit „man sich erst einmal Gedanken machen“ könne. Fragen kamen prompt: Ob denn auch der E-Verkehr berücksichtigt worden sei? Welche Häuser und Grundstücke denn bei den vorgestellten Varianten von einer Umfahrung betroffen sind? Ob es finanzielle Entschädigungen für die Grundstücksbesitzer gebe? Ob man denn nicht heute schon etwas gegen den Verkehrslärm tun könne, beispielsweise durch Flüsterasphalt?
Reber und Hölscher plädieren für Tunnel
Waakirchens dritter Bürgermeister Rudi Reber (ABV) – ein Tunnelbefürworter – wies noch einmal auf den Flächenfraß bei einer Ortsumfahrung hin. Auch die möglicherweise schwierigen Verhandlungen mit den Grundstückseigentümern dürften nicht außer acht gelassen werden, meinte er. Ebensowenig wie der Ortsteil Schaftlach, durch den der Verkehr aus und von Richtung Tegernsee trotz allem fahren würde. An dieser Stelle hakte der Bürgermeister ein: “Ein entsprechender Antrag ist dafür bereits gestellt worden”.
Auch Gemeinderätin Gisela Hölscher (FWG), die bereits im Vorfeld für eine Tunnelvariante plädiert hatte, stellte noch einmal in aller Deutlichkeit dar, dass eine Ortsumfahrung eine Enteignung nach sich ziehe und dass mit einem Tunnel keine Fläche versiegelt werden müsse. „Wenn wir andere Möglichkeiten als eine Ortsumfahrung haben, sollten wir wenigstens darstellen, was an Neu- und Altversiegelungen stattfindet.“
Dann kam die entscheidende Frage eines Waakirchners an den Bürgermeister: „Die Bürger haben ihren Willen doch schon mit 3.500 Unterschriften bekundet. Warum müssen wir also noch einmal eine Entscheidung treffen?“ Hartl geriet kurz ins Stocken, lachte dann aber und konterte: „Gute Frage. Wenn Ihr einen Tunnel wollt, werden wir das machen.“
Gemeinde will mit Bürgern entscheiden, die sich schon entschieden haben
Die Gemeinde werde sich das aber nicht antun und die Trassen-Entscheidung allein treffen, sondern die Bürger mit einbeziehen, so Hartl weiter. „Meine Vorgänger haben sich schon die Zähne an dem Thema ausgebissen“, zeigte er wieder seine Kämpfernatur,” aber ich habe meine erst machen lassen. Die halten einiges aus.“
Welche der vorgestellten Varianten denn das Straßenbauamt priorisiert, darauf wollte keiner der beiden Herren eine Antwort geben. Man stelle hier lediglich die Fakten sachlich dar, so Högenauer. Eine Vorzugsvariante gebe es nicht. Auch einem Tunnel stehe man neutral gegenüber.
Wobei er noch einmal zu bedenken gab: Ein Tunnel würde das vom Bund genehmigte Projekt einer Umfahrung kippen. Möglicherweise würde es nicht fortgesetzt werden. Aber dies zu beurteilen, so Högenauer abschließend, läge nicht in seiner Kompetenz und sei reine Spekulation.
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