Von der Kraft der Kräuter im Tal

Grau und vertrocknet sieht es aus, das kleine Pflänzchen, das Marianne Stadler in ihren Händen hält. Das soll ein Wunderkraut sein? Aus der Werbung sind wir stets saftig grüne Blätter gewohnt, am besten noch mit einer riesigen knalligen Blüte garniert. Und jetzt das!

Kräuterexpertin Marianne Stadler (rechts) weiß um die Heilkraft von Pflanzen. Links: Johanniskraut. / Foto: Ursula Weber

Marianne Stadler kennt die skeptischen Blicke und erklärt umso anschaulicher: „Der Stinkende Storchschnabel ist ein geniales Mittel bei Ohrenschmerzen und Tinitus. Dazu zupft man sich einfach eines der grünen Blätter ab, dreht es zusammen und steckt es sich ins Ohr. Wer möchte, kann die Wirkung mit einer Wärmflasche verstärken – und spüren, wie gut diese ätherischen Öle tun.“

Er ersetze auch schon mal die daheim vergessene Mütze, wenn man beim Bergwandern am Kopf auskühlt. Getrocknet und ins Kissen gesteckt, hilft er zudem bei Migräne. Allmählich wächst bei mir die Hochachtung vor dem hellbraunen Zweiglein, an dessen Spitze eine letzte rosafarbene Blüte trohnt …

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„Im Einklang mit der Natur“ ist die Kräuterwanderung überschrieben, die die Tourist-Info Rottach-Egern bis Ende Oktober einmal in der Woche anbietet. Geführt wird sie von Marianne Stadler, einer einheimischen Hauswirtschaftsmeisterin, die von Kindheit an mit den Besonderheiten der Mondphasen und ihrer Wirkung auf Menschen, Tiere und Pflanzen groß geworden ist. Inzwischen ist sie Mutter von drei Kindern und geht verstärkt ihrer Leidenschaft für die heilenden Wunder der Natur nach. Mit beiden Beinen auf der Erde und mit dem Herzen am rechten Fleck.

Das passende Kräutlein wird am Schopfe gepackt

So klingt es weder nach Esoterik noch nach Geheimwissen, wenn die 50-Jährige davon berichtet, dass man am besten bei abnehmendem Mond Diät hält, den Körper entgiftet und Operationen durchführen lässt. „Nicht zu vergessen, die Einflüsse vom Tierkreiszeichen mit seinem Element und weiteren Faktoren, die der Mondkalender verrät“, führt sie aus und betont, dass es sich durchaus lohnt, möglichst oft darauf zu achten, gleich ob beim Wäschewaschen oder auch beim Zahnarzt-Termin.

Mit einem Augenzwinkern und viel Lebenserfahrung erzählt sie die eine oder andere Anekdote. Zum Beispiel, dass sie für ihre erkrankte Tochter auch schon mal nachts um drei Uhr mit der Taschenlampe durch den Garten gestapft ist, um das passende Kräutlein am Schopf zu packen.

Immer Freitags kann man mit Marianne Stadler im Tegernseer Tal die geheimnisvolle Welt der Kräuter erkunden. / Foto: Ursula Weber

„Die Kräuter, die in deiner Umgebung wachsen, die sind auch meist für dich bestimmt“, fügt sie schmunzelnd an. „Jede Pflanze hat ihre eigene Energie. Und jeder von uns braucht etwas Anderes. Hör zum Beispiel einmal in dich hinein, welcher Baum dich am meisten anspricht. Dann suche seine Nähe, setze dich darunter, lehne dich an. Du wirst fühlen, wie dir das Kraft gibt.“

Doch kein Gestrüpp

Während jede von uns acht Teilnehmerinnen noch überlegt, welcher persönliche Baum dies jeweils sein könnte, ziehen wir schon weiter am Wiesenrand unterhalb des Wallberges entlang. Normalerweise hätte ich dem Gestrüpp hier keinerlei Beachtung geschenkt, aber mit den Erklärungen von Marianne Stadler tut sich mir eine völlig neue Welt der Pflanzen auf:

Das goldgelbe Johanniskraut, das man als Rotöl ansetzen kann und bei Depressionen Linderung verschafft. Die so vielfältig zu verwendende Brennnessel, die hier in zwei Gruppen steht, männlich und weiblich. Der Hopfenklee, den man früher zum Bierbrauen verwendet hat. Die Schafgarbe, die so manchem Frauenleiden Abhilfe schenkt. Und der Holunder, der sagenumwoben ist und bis heute in Blüte und Frucht viel Verwendung findet.

Der gute alte Spitzwegerich

Ich lausche und staune immer mehr. So vieles gibt es auf unseren Wiesen und Waldrändern zu entdecken, was ich bisher für langweilig und unwichtig gehalten habe. Zum Beispiel das Mädesüß, das als pflanzliches Aspirin gilt, als Auszug bei hartnäckigem Kopfschmerz hilft und früher in Krankenhäusern als Lüftungszusatz zur Desinfektion diente.

Oder der Spitzwegerich. Dass er bei Insektenstichen oder Brennnessel-Blasen als Ersthelfer gute Dienste leistet, weiß im Tegernseer Tal fast noch jedes Kind. Doch dass seine Blätter, kleingeschnitten mit Kandis oder Honig angesetzt, einen wunderbaren Hustensaft ergeben und dass die kleinen weißen Blüten als bayrischer Flohsamen gelten, das alles kommt auf meine lange Merkliste der besonderen Wirkung der Kräuter.

Früher war der Hopfenklee für die Menschen noch Gold wert, da man ihn fürs Bierbrauen verwendet hat. / Foto: Ursula Weber

Noch ein Tipp für Bergwanderer: Der Breitwegerich hilft müden Beinen wieder auf die Sprünge, wenn man seine Blätter einfach zwischen Schuhsohle und Socken legt. Marianne Stadler erklärt, führt aus und zeigt anschaulich, was es alles zu beachten gilt. Oft geht es der Nase nach, zum Beispiel beim nach Petersilie duftenden Giersch, wenn man ihn abreißt.

Oft geht es aber auch sehr ins Detail, wie beim Erkennen der gefährlichen Art des Schachtelhalmes. So rät sie vom Gebrauch weißer Doldenblütler auf unseren Wiesen ab. „Man muss sich gut auskennen, um die harmlosen von den giftigen zu unterscheiden. Sonst lieber die Finger weg davon!“

Die Kraft der Kräuter ist unbezahlbar

In jedem Fall aber lohnt es sich, seine eigenen Wehwehchen einmal genauer anzuschauen und in der Natur nach Unterstützung zu suchen. Nicht zuletzt gibt es viele Tinkturen und Auszüge in guten Apotheken oder Fachläden zu kaufen. Wie den Karden-Schnaps, der sogar bei Borrelien Heilung verschafft und in dieser geistvollen Form auch schon manch skeptischen Zeitgenossen zu einem Versuch animiert hat.

Während die Kräuterwanderung für uns nun nach gut zwei Stunden mit einer Vielzahl an Informationen zu Ende geht, bereitet Marianne Stadler schon die nächste Führung vor. Wer mehr über die Kraft der Kräuter erfahren möchte, kann sich bei der Tourist-Info Rottach-Egern, Tel. 0 80 22 / 67 31 00 anmelden. Ich aber sammle jetzt erst einmal ein paar Blätter vom Breitwegerich, um sie in unter meine müden Füße in meine Schuhe zu stecken…

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