Obwohl auch hier viel diskutiert wurde, bleibt der laute Aufschrei aus. Ist das Thema einfach zu groß, zu unverständlich?
Klar, die Papierfabrik Louisenthal ist an der Produktion von Geld beteiligt. Ein Bereich, in dem seit jeher verschärfte Sicherheitsmaßnahmen herrschen. Es sollte nicht jeder mitlesen können, wenn über Druckauflagen, Liefertermine, neue Geldscheine oder Veränderungen in der Fälschungssicherheit geschrieben wird. Die Papierfabrik hat vermutlich auch das nötige Wissen und die technischen Möglichkeiten, um sich gegen ungewollte digitale Eindringlinge zu schützen.
„Eine lächerliche Vorstellung“
Im Privaten sieht das anders aus. Glaubt man den aktuellen Enthüllungen, wird ein Großteil unserer über Internet und Telefon geführten Kommunikation gespeichert, ausgewertet und im Bedarfsfall auch gelesen. Experten sind sich ziemlich einig: Gegen Überwachung kann sich niemand schützen, wie es Bruce Schneider, einer der führenden Verschlüsselungsspezialisten bereits im März in einem Zeit-Interview zusammengefasst hat:
„Ja, jemand kann sich entscheiden, Google, Facebook oder das Internet an sich nicht zu benutzen. Er kann auf ein Mobiltelefon verzichten, niemals mit Kreditkarte zahlen, immer zu Hause bleiben und so niemals an einer Überwachungskamera vorbeilaufen. Aber das ist eine lächerliche Vorstellung.“
Die Reaktionen der vergangenen Wochen auf die aktuellen Enthüllungen fallen dagegen sehr unterschiedlich aus. Manch ein Autor echauffiert sich, wie Thomas Darnstädt im Spiegel, der in den Tätigkeiten der USA einen “digitalen Großangriff auf das Völkerrecht” sieht:
„Die Erosion des Völkerrechts, wie sie den Krieg der USA gegen als Terroristen verdächtigte Menschen begleitet, droht sich nun auf den Bereich der Spionage auszudehnen.“
So wie im Krieg müsse auch bei Spionage der Schutz der Menschenrechte ‒ hier das Menschenrecht auf Privatheit ‒ vom Völkerrecht gesichert werden. Davon ist Darnstädt überzeugt.
„Wer nichts zu verbergen hat …“
Andere, wie Jasper von Altenbockum von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, machen im Fall Snowden vor allem deutsche Hysterie ausfindig:
„Wie sehr muss das Vertrauen in die Belastbarkeit transatlantischer Freundschaft geschwunden sein, wenn Informationen, die noch immer nicht überprüfbar sind, die angelsächsische Welt über Nacht in den Hort von Rechtlosigkeit, Freiheitsberaubung und Verschwörung verwandeln? Deutschland scheint für solchen hysterischen Liebesentzug jedenfalls wesentlich anfälliger zu sein als andere Länder.“
Der berühmteste Satz zu Überwachung, nicht nur im Internet, ist seit einigen Jahren: „Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten.“ Auch in der aktuellen Debatte wird der Satz immer wieder bemüht. Katharina Nocun, politische Geschäftsführerin der Piratenpartei, hat sich in einem Gastbeitrag auf theeuropean.de so dazu geäußert und sagt: „Es gibt Dinge, die wir vor unseren Eltern verbergen, vor unseren Partnern, vor unseren Kindern, vor unserer Krankenkasse, vor unseren Freunden. Einige Dinge verbergen wir sogar ganz gerne vor uns selbst.“
Das Grundgesetz sehe ausdrücklich vor, dass wir Geheimnisse vor dem Staat haben. Aber der Stadt, so Nocun weiter, nehme sich mehr und mehr das Recht heraus, abzuhören statt zuzuhören.
Anders sieht das erwartungsgemäß die Bundesregierung. Angela Merkel hat in der vergangenen Woche technische Spähprogramme mit dem Bedürfnis nach Schutz vor Terrorismus und organisierter Kriminalität gerechtfertigt. Gegenüber der Zeit sagte die Bundeskanzlerin:
„Mit dem Aufkommen neuer technischer Möglichkeiten muss die Balance zwischen dem größtmöglichen Freiraum und dem, was der Staat braucht, um seinen Bürgern größtmögliche Sicherheit zu geben, immer wieder hergestellt werden.“
Die Diskussion darüber, was verhältnismäßig sei, müsse laut Merkel deshalb ständig geführt werden. Gleichzeitig den Schutz vor terroristischen Anschlägen bestmöglich zu gewährleisten, sei jedoch “ohne die Möglichkeit einer Telekommunikationskontrolle” nicht möglich.
Und Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich sieht das nach der Rückkehr aus den USA, wo er sich über die Tätigkeiten der NSA informieren ließ, ähnlich. So fasst Tagesschau.de Friedrichs Sicht folgendermaßen zusammen:
„Jeder, der wirklich Verantwortung für die Sicherheit für die Bürger in Deutschland und Europa hat, weiß, dass es die US-Geheimdienste sind, die uns immer wieder wichtige und richtige Hinweise gegeben haben“, sagte der CSU-Politiker der „Welt am Sonntag“. Diese hätten geholfen, mehrere Anschläge zu verhindern und Menschenleben zu retten. Friedrich betonte, er habe keinen Grund, daran zu zweifeln, dass sich die USA an Recht und Gesetz halten.
Aus der Opposition kommen indessen ganz andere Töne. Kanzlerkanditat Peer Steinbrück wirft der Bundeskanzlerin vor, ihren Amtseid gebrochen zu haben, indem sie geschworen habe, “Schaden vom Volke abzuwenden“.
Auch an der USA-Reise des Innenministers lassen die Oppositionsparteien kein gutes Wort. Wie die Süddeutsche Zeitung schreibt,„habe Friedrich sich in Washington mit nichtssagenden Antworten zur Affäre um die Ausspähungen durch den US-Geheimdienst abspeisen lassen, kritisierten Politiker von SPD, Grüne und Linkspartei“.
Was ist Ihre Meinung?
Wie sehen Sie das? Ist die Überwachung durch Geheimdienste ein notwendiges Übel, um sich als Gesellschaft vor Terrorismus und anderen Bedrohungen zu schützen, oder geht der Eingriff ins Privatleben der Menschen inzwischen zu weit?
Haben Sie Verständnis, dass Spionage nicht mehr nur auf Wirtschaftsunternehmen oder politische Akteure anderer Staaten abzielt, sondern die Bevölkerung mit einbezieht? Oder ist Ihnen das ganze Thema vielleicht ganz einfach egal: zu groß, zu unübersichtlich, um sich überhaupt eine Meinung dazu bilden zu können?
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