Ton, Steine, Scheiben – Pflastert, was euch bepflastert
Dunkel dräut der Himmel. Aber hier ist alles sicher. Mag der Wettergott Kapriolen schlagen, der “Kinees” das Virus verbreiten, aber im Rottacher Reich des Reichtums ist alles sicher. Das dezente Tor geschlossen, die meterlange Einfahrt fest versiegelt. Da kann der Hagel kommen. Vorn wachen Buchbaum-Bonsai auf Steroide. Hinter der Zugbrücke führt eine Zinnsoldatenbaum-Allee zu den herrschaftlichen Land-Hacietten. Rottach-Egern, Sehnsuchtsort jener, die es geschafft haben, zeigt sich hier scheinbar schlicht und gefühlt modern.
Nur einen Pflastersteinwurf vom Anwesen des Rottacher Bürgermeisters entfernt, wurde hier ein Traum neuer deutscher Bürgerlichkeit wahr. Wenn die Ästhetik von Downton Abbey geschmacklich auf einen belgischen Soldatenfriedhof trifft, fühlt sich vielleicht der mögliche Eigentümer eines exklusiven Einkaufstüten-Unternehmens aus dem Saarland oder NRW erst richtig wohl.
Während er morgens mit weißen Knöpfen im Ohr den Hund Richtung Wallberg zum „Morning-Jog“ ermuntert, dehnt sich die Dame des Domizils auf dem Bonanza-großen RundumsHaus-Balkon beim Yoga für Silver-Ager und postet verschwitzt für die erwachsenen Kinder und Freundinnen daheim in Saarbrücken oder Iserlohn bei Insta (Konto hat die Tochter eingerichtet) ein Foto:#workinglife #muttiamwallberg #neuland #pflasterparadies.
Gern hätten sie das Anwesen nicht geteilt, aber Vattis Bonus fiel wegen Corona aus, und die Kosten für die Bulthaup-Küche mit Mittelblock in gebürsteter Betonoptik-Platte und Dampfgarer für die schlanke Linie fielen aus dem Rahmen. “Ich brauche Symmetrie für meine innere Balance”, hatte sie aus ihrem Yogakalender beim Termin mit dem örtlichen Gartenbauarchitekten mit bebenden, aber dezent aufgespritzten Lippen zitiert. Der hatte wie immer milde gelächelt, “Depperte Stoderer” gedacht und sich über die Regiestunden-Abrechnung gefreut. Seine Arbeiter waren ebenso versorgt, schliefen links in den grünen Häuschen. Krise macht erfinderisch.
Raubtier-Steine in Käfige!
“Steine – die letzten Blumen”, so hatte es Peter-Paul aus Pirmasens oder Bernd aus Bamberg oder Frank aus Frankfurt so formvollendet bei der ersten Soirée an der Hausbar vor den engsten Freunden formuliert. Morgens war man mit den Oldtimern die Wallbergstraße hinauf- und hinuntergefahren, während sich die Damen von einer örtlichen Kosmetikerin mikrodermabrasieren haben lassen (verbessert enorm das Hautbild und vermag sogar die langsam einfallenden Wangen aufzupolstern).
Hans-Günther meinte die Steinkäfige, die er erstmals im Fernsehen gesehen hatte: Im afghanischen Lager Kundus der Bundeswehr – dort dienten sie als Terrorschutz. So etwas wollte er auch haben, und er bekam es. Er bekam ja immer alles. Den Job als Marketingvorstand, die Ehefrau des Freundes und die Golfmitgliedschaft in Bad Wiessee (“…den Beisheim kannte ich noch persönlich”). Hier kamen sie ein oder zweimal im Monat her, um sich von den Strapazen der Managerwelt zu erholen. Hier war alles schön.
Hier, wo sich Buchs und Buche vegetationsseitig “Gute Nacht” sagen, wo eine Via Appia gleiche Pflasterstrecke, lang wie der Weg nach Golgatha, direkt auf die Doppelgaragenhallen führt, wo der Rasen auf Teppich-Niveau vom fleißigen Helferlein gestutzt wurde, auf das keine Erdwepse den hornigen Fuß des Eigentümers sticht. Die Bäume sind den Sonnenschirmen von Marbella nachempfunden. Eine Idee der Gattin. Natürlich. Und was wartet in den Hallen? Eine Hartz-4-Familie? Ein rumänischer Bautrupp einer benachbarten Baustelle? Nein. Nein: Die Oldtimer-Sammlung von Papi.
Wanderer (oder Mofafahrer), kommst Du nach Rottach, so genieße einen Traum in Pflaster und Symmetrie. Denn das ist das Wesen des deutschen Wohlstands: Kein Kitsch, aber eben auch keine Kreativität. Pflaster statt Phantasie. Lieber eingesperrte Steine. Das ist real.
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