Fast eineinhalb Jahre vor dem Ende seines Vertrages übergab Michael Kelbel nach fast 10 Jahren als Vorstand des Agatherieder Kreiskrankenhaus im Februar 2022 die Verantwortung an Benjamin Bartholdt weiter. Der studierte BWL’er war bis dahin als Prokurist für den Bereich Unternehmensentwicklung und -steuerung im Krankenhaus des Landkreises tätig. Mit dem Chefsessel übernahm er jedoch nicht nur die Privilegien der neuen Position in Agatharied, sondern auch viele Herausforderungen.
Dem neue Leiter des Kreiskrankenhauses wird zugetraut, die Wende bei den Finanzen einzuleiten, die Qualität der medizinischen Versorgung im Landkreis kontinuierlich weiter auszubauen und ein für Mitarbeiter und Patienten attraktives “Krankenhaus der Zukunft” zu realisieren. Und das alles in einer Pandemie, die in Agatharied längst noch nicht Geschichte ist, einer weltweit steigenden Inflation und steigenden Betriebskosten.
Keine wirklich leichte Aufgabe, auch wenn Landrat Olaf von Löwis (CSU) als oberster Landkreisarbeitgeber dem Betriebswissenschaftler das volle Vertrauen ausgesprochen hat zum Amtsantritt. Doch wie sieht der Familienvater, der in der Region seine Wahlheimat gefunden hat und selbst schon Patient im eigenen Krankenhaus war, seine neuen Aufgaben? Die TS hat für euch nachgefragt.
Wie waren Ihre ersten Monate als Klinikchef in Agatharied?
Benjamin Bartholdt: Das war eine aufregende Zeit für mich persönlich. Es stand zwar schon früh fest, dass Herr Kelbel nur noch eine absehbare Zeit der Klinik zu Verfügung stehen würde. Daraus hat er weder uns noch dem Landkreis gegenüber ein Geheimnis gemacht. Ich habe großes Interesse an der Position gehabt. Auch, weil ich mich nach neun Jahren Agatharied mit der gesamten Region sehr verbunden fühle. Ich bin inzwischen hier zu Hause.
Sie hatten sich eigentlich erst für die Position als Geschäftsführer im nächsten Jahr beworben. Der Wechsel im Februar 2022 kam für viele Menschen überraschend. Für Sie persönlich auch?
Bartholdt: Ja und nein. Ich glaube, dass mein Vorgänger und der Verwaltungsrat, resultierend aus vielen guten Gesprächen und Diskussionen am Ende 2021, eine richtig gute Lösung für unser Krankenhaus gefunden haben. Besonders im Bewusstsein, dass große und sehr nachhaltige Aufgaben in der nächsten Zeit vor der Klinikleitung liegen.
Es war allen Entscheidern wichtig, dass derjenige, der das Zukunftsmodell für Agatharied entwickelt, es auch umsetzt. Der vorgezogene Wechsel garantiert die Kontinuität in unserer Arbeit. Das hat auch für Patienten und Mitarbeiter ein klares Signal gesetzt.
Eine Ihrer ersten Amtshandlungen war die Verkündung von 12,5 Millionen Defizit in Ihrem Unternehmen im Kreistag. Kein optimaler Einstieg in den Job?
Bartholdt: Das ist natürlich eine Botschaft, die schon schwer fällt, zu verkünden. Besonders, weil ich wahnsinnig stolz auf unser Krankenhaus bin. Ich will für Transparenz stehen. Da muss man die Dinge exakt so darstellen, wie sie sind. Auch wenn die negativen Zahlen in der öffentlichen Diskussion einen Schatten auf die hervorragende medizinische und pflegerische Leistungsfähigkeit unseres Hauses werfen.
Die Assoziation, ‘Die Zahlen sind schlecht, also ist es das Krankenhaus auch’, ist einfach falsch.
Hinzu kommen nun auch noch die aktuellen Preissteigerungen im Energiesektor. Ebenfalls macht die Inflation den Einrichtungen bundesweit zu schaffen. Der Kostendruck macht sich aktuell in Agatharied bemerkbar?
Bartholdt: Allerdings. Wir Kliniken stehen vor dem Problem, die aktuell steigenden Kosten nicht weitergeben zu können. Unsere Preise sind gesetzlich fixiert. Bei Kostensteigerungen von zehn Prozent und mehr kann das nicht funktionieren. Das versteht wahrscheinlich jeder Laie. Interessant in dem Zusammenhang ist, dass die Krankenhäuser im 200 Millionen Doppelwummspaket der Ampel offenbar vergessen wurden. Da frage ich mich schon, ob wir so unbedeutend sind…
Bei uns in der Region ist das Krankenhaus Agatharied jedoch alternativlos und damit sehr bedeutend, oder?
Bartholdt: Das sehe ich etwas anders. München und Rosenheim sind nicht weit entfernt. Jedenfalls für planbare Eingriffe besteht durchaus die Wahl. Daher ist es auch immer wieder unsere Aufgabe zu zeigen: Wir haben hier einen Leuchtturm. Und in einigen Bereichen sind wir alternativlos.
Aber noch einmal zurück zur Finanzierung: Qualität hat ihren Preis, wie wir alles wissen. Wie sehr unterstützt Sie als Klinikleitung der Umstand, seit 2021 ein kommunales Krankenhaus zu sein?
Bartholdt: Als kommunales Unternehmen ist es einfacher, unsere Finanzierungsfähigkeit zu sichern. Als kleine Krankenhaus-GmbH ist die Kreditwürdigkeit auf dem Finanzmarkt ungleich schwieriger darzustellen. Zudem rücken wir so noch näher an den Landkreis als Eigentümer.
Und damit eigentlich auch jeder Patient, der herkommt – und jeder Bürger?
Bartholdt: Unbedingt. Das Gleiche gilt selbstverständlich auch für unsere Mitarbeiter und die Wirtschaft. Es zeigt, wie wichtig allen die kommunale Trägerschaft ist.
Was macht das Kreiskrankenhaus in diesem ländlichen Raum besonders wertvoll?
Bartholdt: Wir haben hier in Agatharied eine ganz ausgezeichnete Basisversorgung, gepaart mit einem guten Maß an Spezialisierung. Für mich ist allerdings daneben die räumliche Nähe zwischen Patienten und Angehörigen ein ganz entscheidender Aspekt.
Gerade in der Pandemie haben wir gesehen, wie grausam es ist, wenn diese Möglichkeit der Nähe entfällt. Die räumliche Nähe unterstützt die Motivation, Sicherheit und Ruhe der Patienten im Genesungsprozess. Zudem können wir in der Nachbehandlung den Patienten kurze Wege anbieten.
Das, was in der großen Politik gern als Anzeichen für Überversorgung missverstanden wird, wie Sie einmal gesagt haben?
Bartholdt: Ja, leider. Für mich sind es gerade die Faktoren Erreichbarkeit und Nähe, die unbedingt stärker von der Gesundheitsökonomie und Politik unterstützt werden sollten. In diesem Zusammenhang spielen aber auch noch die Notfallversorgung, unter anderem bei Schlaganfall, Herzinfarkt oder Gastro-Blutung ebenso in der Geburtshilfe, eine entscheidende Rolle.
Eine wichtige Abteilung für das Krankenhaus?
Bartholdt: Wir hatten im letzten Jahr über 1.500 Geburten in Agatharied. Nachdem die Geburtenabteilungen in Bad Tölz und Bad Aibling geschlossen wurden, haben wir aus eigenen Mitteln die Kreissäle ausgebaut und das Hebammen-Team deutlich vergrößert. Überregional haben wir in der Geburtshilfe einen hervorragenden Ruf.
Auch in der Orthopädie, wie man hört…?
Bartholdt: Ja genau. Ich lag selbst schon als „Undercover Boss“, wie es heute im TV heißt, beim Professor Dr. Brunner auf dem Tisch. Die positiven Berichte kann ich nur bestätigen. Im Tegernseer Tal und andernorts sagen vielleicht die Leute ‘ich muss nach München, da sind die Kapazitäten’. Da kann ich nur sagen:
Mann, ihr wohnt hier am Fuße des Leuchtturms – da müsst ihr nicht zu irgendwelchen Bojen nach München schwimmen. Ihr seid hier super versorgt.
Das Krankenhaus nimmt neben der medizinischen Versorgung der Patienten eine weitere nicht zu unterschätzende Rolle im Landkreis ein. Wenn ich richtig informiert bin, ist das Kreiskrankenhaus der zweitgrößte Arbeitgeber im Kreis?
Bartholdt: Absolut richtig – nach Hexal in Holzkirchen. Bei uns arbeiten mehr als 1.300 Menschen. Daneben sehe ich das Krankenhaus als wichtigen Standortfaktor für die Wirtschaft im Landkreis.
Wie sehr stört es Sie in diesem Zusammenhang, dass beim Thema Krankenhaus bei uns fast nur noch über Kennzahlen und Finanzen diskutiert wird?
Bartholdt: Das ist in der Tat eine Frage, die mich persönlich sehr beschäftigt und die auch meine ganz persönliche Arbeitszufriedenheit mitbestimmt. Im Gesundheitswesen kommen wir nur weiter, wenn wir für unsere Bevölkerung gute, erreichbare Angebote schaffen und so kontinuierlich zu einer gesünderen, älteren und vor allem erwerbsfähigen Bevölkerung beitragen.
Wenn wir unser Gesundheitswesen weiterhin nur als Kostenfaktor sehen, dann machen wir einen unglaublichen Fehler.
Meiner Meinung nach sollten wir doch stolz sein, auf unser international anerkanntes Klinikwesen. Auch ich lasse, ganz ehrlich, meine Familie und mich lieber in deutschen Krankenhäusern versorgen als irgendwo anders auf der Welt – und das geht den meisten so – nicht ohne Grund.
Das war auch in Coronakrise deutlich zu sehen…
Bartholdt: Am Anfang haben uns alle applaudiert. Und das zu Recht. Was alle unsere Mitarbeiter hier in der Pandemie und auch aktuell leisten, kann man nicht genug loben und anerkennen. Im Sommer war es etwas ruhiger, doch die Belastung – auch die psychische war und ist eine riesige Herausforderung für die Pfleger, Mediziner und alle anderen Mitarbeiter in Agatharied.
In den letzten Wochen war das Infektionsgeschehen, aber auch die Hospitalisierungsrate wieder sehr hoch in Bayern. Sind dadurch immer noch Behandlungen im Krankenhaus aufgeschoben?
Bartholdt: Ja, leider. Aktuell sind wieder Verschiebungen nötig.
Es heißt, dass seit Beginn der Pandemie sehr viele Patienten nicht behandelt werden konnten. Von wie vielen sprechen wir da insgesamt im Landkreis?
Bartholdt: Das lässt sich schwer beziffern. In den Coronajahren sind viele Patienten gar nicht erst zum Arzt gegangen. Auch die Vorsorge war nachweisbar rückläufig. In Agatharied haben ungefähr 2.000 Fälle pro Jahr weniger behandelt als zuvor. Dabei bin ich davon überzeugt, dass das Pandemiegeschehen eine große Auswirkung auf die Volksgesundheit insgesamt hat.
Lassen Sie uns einen kurzen Blick in die Zukunft werfen: Müssen Patienten Sorge haben, dass das Krankenhaus künftig nicht mehr auf dem technisch neusten Standard sein wird ob der hohen finanziellen Belastungen, über die wir zuvor gesprochen haben?
Bartholdt: Nein, da haben wir einen hervorragenden Standard. Bisweilen kommen Ärzte zu uns nach Agatharied, die zuvor bei Unikliniken beschäftigt waren. Die Mediziner sind beeindruckt, wie wir ausgerüstet sind. Das verdanken wir nicht zuletzt unseren Förderern des Freundeskreises, die uns Gott sei Dank auch in Zukunft weiter unterstützen werden. Und nicht zu vergessen diejenigen Menschen, die uns mit einer Erbschaft unterstützen, wie zuletzt.
Reichen das Krankenhaus und die Mitarbeiter-Besetzung auch künftig aus, um alle Einwohner im Notfall zu versorgen?
Bartholdt: Da habe ich keine Bedenken, solange nicht alle Hunderttausend Einwohner gleichzeitig vorbeikommen (lacht). Wir denken unsere Strukturen langfristig und sehen uns aktuell bis mindestens 2029 auch für einen wachsenden und alternden Landkreis gut aufgestellt. Unsere bereits gelobte Geburtshilfe freut sich also auch weiterhin über jeden neuen Landkreisbürger.
Die TS bedankt sich bei Benjamin Bartholdt für das Interview.
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