Eine Berliner Schule hat dagegen eine andere Besonderheit für sich gewählt: Mehr Eigenverantwortung und Teilhabe der Schüler. “Fürs Leben lernen” wird der Ansatz genannt.
In Tegernsee wird die Idee eines Schülerheims weiter vorangetrieben. Im Lehrplan steht Spanisch als dritte Fremdsprache – einzigartig im Landkreis. Kooperationen mit Vereinen beim Nachmittagsprogramm sollen weiter ausgebaut werden. Und auch in Technik und Ausstattung wurde groß investiert: 1,2 Millionen Euro standen jüngst bereit, um das Gymnasium zukunftsfähig zu machen.
Alles, um auch nach 2014, wenn das Holzkirchner Pendant eröffnet, noch viele Schüler aus dem Norden des Landkreises dazu zu bewegen, nach Tegernsee zu fahren. Dass das wichtig ist, zeigen die Zahlen aus den vergangenen Jahren: rund ein Drittel der Schüler kam aus Holzkirchen.
Das “Konzept Schule” neu denken
Mehr Mitsprache der Schüler als Alleinstellungsmerkmal wünschte sich dagegen Karl Bär, Bundestagskandidat der Grünen und selbst ehemaliger Schüler des Gymnasiums, im Interview mit der Tegernseer Stimme. Seiner Meinung nach wird Schule mehr und mehr zum Lebensmittelpunkt, was sich auch in Struktur und Angebot widerspiegeln müsse. Dazu brachte Bär Vollversammlungen der Schüler ins Gespräch, um selbst entscheiden zu können.
Diesen Gedanken, den Schülern mehr Verantwortung für sich und ihre Schule zu übertragen, verfolgt eine Berliner Schule seit Jahren sehr konsequent und hat sich genau dadurch ein vielleicht fast einzigartiges Alleinstellungsmerkmal erarbeitet. Unter dem Motto “Fürs Leben lernen” sollen sich Schüler dort viel selbst erarbeiten:
An der Gemeinschaftsschule Berlin-Zentrum spielen nicht die Lehrer die Hauptrolle, sondern die Schüler. Sie übernehmen Verantwortung, angefangen mit der Frage, was sie wann und wie lernen, bis zur Übernahme von Verantwortung für die Gesellschaft. Das Lernen erfolgt in Lernteams, die Schüler organisieren sich die dafür erforderlichen Materialien selbst aus den ,Lernbüros’ an der Schule. Die Lehrer begleiten die Prozesse als Tutoren, sie sind nicht mehr die alles dominierenden Studienräte von früher.
In der Praxis bedeutet das, dass der Gedanke klassischer Unterrichtsfächer dort nicht immer im Vordergrund steht. Sozialkunde findet beispielsweise nicht mehr zwangsläufig im Klassenzimmer, sondern inmitten der Gesellschaft statt: “Verantwortung” nennt man das Unterrichtsfach an der Schule. Drei Stunden bekommen Schüler in der Mittelstufe pro Woche, um sich sozial in ihrem Umfeld zu engagieren. Die Lehrer stehen im Hintergrund mit Rat und Hilfe zur Verfügung.
Die Aufgaben suchen sich die Schüler dabei selbst: Egal, ob die Mithilfe in einer Essenstafel, im Kindergarten oder beim regelmäßigen Besuch hilfsbedürftiger Menschen. Ziel soll nicht das theoretische Lernen, sondern vor allem die praktische Erfahrung sein.
“Herausforderungen” als Schulfach
Ein anderes Unterrichtsfach nennt sich “Herausforderung”. Jedes Jahr direkt nach den Sommerferien müssen sich alle Schüler eine Herausforderung außerhalb Berlins suchen. Grundbedingung: Egal, was die Schüler vorhaben, es muss selbst geplant und organisiert werden – auch unterwegs. Für Ausrüstung, Fahrtkosten und Verpflegung dürfen sie in den drei Wochen maximal 150 Euro ausgeben.
Die Ergebnisse, die dabei herauskommen, sind beeindruckend: Eine Gruppe 15-jähriger Mädchen war drei Wochen in Istanbul und hat dort in einem Kinderheim gearbeitet. Um die Kosten im Rahmen zu halten, hatten sie über eine Fluggesellschaft erfolgreich Freitickets ausgehandelt. Die Unterkunft vor Ort organisierten sie über Verwandte eines der Mädchen.
Eine andere Gruppe hatte sich vorgenommen, mit dem Fahrrad von Berlin nach Südtirol zu fahren. Übernachtet werden durfte nur im Zelt, Essen musste unterwegs erfragt werden – bei 150 Euro für drei Wochen bleibt auch nicht viel Spielraum. Begleitet werden die Schüler dabei von Lehrern oder freiwilligen Eltern oder Betreuern.
Demokratie im Alltag statt im Unterricht
Ähnlich praxisorientiert geht die Schule auch beim Thema Demokratie vor. Anstatt demokratische Prozesse theoretisch im Unterricht zu behandeln, wird Demokratie aktiv gelebt. Wöchentliche “Klassenräte” und “Schulversammlungen”, die für alle Lehrer und Schüler verbindlich sind, sollen Probleme lösen und Demokratie lehren:
Zur Kultur demokratischer Schulen gehört, dass das öffentliche Sprechen früh geübt und gelernt wird. Der wöchentliche Klassenrat und die wöchentliche Schulversammlung sind Orte des öffentlichen Diskurses in der Schulgemeinde. Ziel ist die Stärkung einer demokratischen Kultur, der Identifikation mit der Schule, der Eigentätigkeit, der Präsentationsfähigkeit. Der Klassenrat ist ein Diskussionsforum, ein Planungs- und Handlungszentrum. Er stärkt die Verantwortungsgemeinschaft Klasse. Dort werden Lösungen für Probleme gesucht und Ideen geboren.
Spannend ist, dass es der Schule gelungen ist, diese Veränderungen im Rahmen einer öffentlichen Einrichtung zu realisieren, die Abschlüsse bis zum Abitur erlaubt. Viele der Veränderungen wurden nicht durch Geld, sondern durch gänzlich neue Organisation des Konzeptes Schule erreicht. Und auch den Lehrern wird vermutlich mehr abverlangt als die schlichte Erfüllung eines Lehrplans.
Einen spannenden Einblick in das Konzept gibt das Video:
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Forderungen, die in Ansätzen auch aus dem Umfeld des Gymnasiums bereits laut wurden. So wird bereits aktiv darüber nachgedacht, inwieweit man das “Konzept Schule” verändern könne, ohne dabei mit den recht engen Vorgaben durch Lehrpläne und Co. aneinanderzugeraten.
Im Gespräch sind beispielsweise eine teilweise Aufweichung der starren 45-Minuten-Regelung für Unterrichtsstunden. Ziel soll stattdessen eine Zweiteilung sein: Doppelstunden, die aus 45 Minuten Frontalunterricht und anschließenden Arbeitsgruppen mit mehr Eigenverantwortung der Schüler bestehen.
Alleinstellung durch neue Konzepte statt Investitionen
Der Ansatz zeigt zumindest, dass ein künftiges Alleinstellungsmerkmal nicht nur aus finanziellen, sondern auch aus geistigen Investitionen bestehen kann. Die Berliner Schule sorgt mit ihrem Ansatz inzwischen überregional für einiges Aufsehen. Viele Schulen wollen von dem Konzept lernen.
Um das eigene Wissen zu vermitteln, geht man auch dabei neue Wege: Auf Vortragsreise mit teilweise mehreren Hundert Zuhörern geht nicht etwa nur die Schulleitung, sondern vermehrt die Schüler der Oberstufe. Die Begründung klingt logisch und konsequent: Besser als die Schüler selbst kann niemand erklären, wie ihre Schule funktioniert. Außerdem können sie dabei perfekt “fürs Leben lernen”.
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