Endlich kann im Wiesseer Ortskern mit dem Bauen losgelegt werden. Auf dem Ex-Grühn-Areal soll Großes aus Beton, Stahl und Glas entstehen. Drei Handelsriesen kommen. Bekannte Namen und warum das nicht unbedingt begeistert.
Marcel Dittrich kann man mangelnde Kommunikation nicht vorwerfen. Der millionenschwere Investor aus Irschenberg soll mit so ziemlich jeden Betroffenen seines Riesen-Bauprojekts gesprochen haben. Von Heerscharen an Verwaltungsfunktionären bis hin zu Nachbarn, die von dem 12000 Quadratmeter-Bauprojekt im Herzen des Orts am Westufer des Tegernsees betroffen sind und noch stärker werden. Nur die Gesamtbevölkerung fehlt noch. Dazu später mehr.
Der Mann hat mit viel Unbill zu kämpfen. Da ist einerseits die immense Verwaltungsmühle, einem an Kafkas Romanen gemahnendes Abklappern Dutzender Behörden (offiziell: “Träger öffentlicher Belange”), die alle gern mitreden wollen. Dann sind da das berüchtigte und bereits bekannte Wiesseer Grundwasser und schwierige Bodenverhältnisse, welche eine Baustelle gern in eine Seenlandschaft verwandeln, höhere Baukosten sowie Umplanungen verursachen. Und nicht zuletzt sind da die gestiegenen Zinsen und Baustoffpreise. Dittrich ist dennoch zuversichtlich: Noch immer plant er Ferien- und Mietwohnungen, ein Restaurant und drei Einkaufsmärkte, dazu ein Parkdeck mit gut 100 Stellplätzen für die Kunden der Märkte und Bewohner.
“Gerät zur städtischen Ortsmitte”
Johannes von Miller
Welche das voraussichtlich sind, sickerte schon durch: Die Ketten REWE und Lidl werden wohl kommen, sowie für die Freunde des günstigen Kajals, wird der Drogeriemarkt dm bereitstehen. Es wird ein mächtiges Bauwerk in der Mitte ergeben, mit Extra-Abbiegespur auf der Bundesstraße, viel Glas, Beton und viel Parkraum. Johannes von Miller, von den Grünen, beklagt den Klotz: “Die jüngste Umplanung, also der Wegfall der Grünfläche für mehr Parkraum, all das gerät mehr und mehr zu einer städtischen Ortsmitte”, hatte er schon im Januar geunkt und wurde am vergangenen Donnerstag in der Gemeinderatssitzung bestätigt.
“Darum beneiden uns andere Gemeinden” Bürgermeister Robert Kühn
Bürgermeister Robert Kühn freut sich hingegen: “Das ist eine einmalige Chance, viele andere Gemeinden im ländlichen Raum beneiden uns um so eine Infrastruktur.” Er hat Angst vor einer Verödung des Ortskerns, wenn nicht schleunigst neue Kaufmöglichkeiten in Geh-Nähe entstünden. Und klar: Da ist auch die schöne Gewerbesteuer, die dem hochverschuldeten Ort helfen wird.
Kommen die Supermärkte, um zu bleiben?
Kleiner gedanklicher Ausflug: Schauen wir uns doch einmal die Situation der Supermärkte und Discounter einmal genauer an: Edeka, Rewe, die Schwarz-Gruppe (Lidl) und Aldi vereinen zusammen ca. 85 Prozent des bundesweiten Absatzes im Lebensmitteleinzelhandel. Aber: Die große Zeit der Mega-Umsätze in diesen Geschäften, vor allem während der Pandemie, ist vorbei. Hohe Energiekosten, fehlendes Personal und gestiegene Lebensmittelpreise machen das Überleben in einem ohnehin harten Konkurrenzumfeld schwer. Über Discounter wie Aldi beispielsweise war jüngst von einer Krisenstimmung zu lesen. Bundesweit reduziert sich die Ladenzahl in ländlichen Räumen. Noch vor fünf Jahren rechneten sich ein Einzugsgebiet von 3500 Menschen für einen Discounter laut einer Studie des Thünen-Instituts nicht mehr.
Aber im Tegernseer Tal? Hier hat jede Gemeinde mindestens einen, manche wie Gmund sogar drei Märkte im Ortsbild anzubieten. Von Verödung keine Spur. Stattdessen Quellverkehr. Wer hat wo die besseren Angebote? Egal, ob der Markt vor der Tür ist. Es wird gefahren.
Klar, bei zunehmender Vergreisung der Bevölkerung ist eine schnell erreichbare Versorgung sinnvoll. Aber braucht es dafür so einen Klotz mit zwei großen Versorgern und einer Deo- und Dusch-Bude?
Klar, bei zunehmender Vergreisung der Bevölkerung ist eine schnell erreichbare Versorgung sinnvoll. Aber braucht es dafür so einen Klotz mit zwei großen Versorgern und eine Deo- und Dusch-Bude? Mit der SME-Story und dem Gesundheits-Gerede hat sich der Gemeinderat vor wenigen Jahren einlullen lassen. Jetzt die Geschichte vom Supermarkt als Ortskern-Retter. Kann das gutgehen? Was, wenn die Märkter den Stecker ziehen? Haben wir dann Zweitwohnraum für Betuchte in der Ortsmitte? Der Zug für Änderungen ist abgefahren. Bad Wiessees Antlitz wird sich nicht nur mit dem Bau in der Ortsmitte verändern. Hinzu kommt noch der neue Ortsteil am Seeufer mit dem Hotel- und Wohnprojekt “Seegut”.
Ende Mai 2023 Infoveranstaltung
Es soll nun losgehen. Dittrich wie auch die Herrschaften vom “Seegut” haben sogenannte Teil-Baugenehmigungen, die den Tiefbau ermöglichen, vom Landratsamt erhalten. Für Dittrich wurden noch einmal klare zeitliche Zielvorgaben gemacht: Sogenannte Durchführungsverträge sind mit ihm und der Gemeinde abgeschlossen worden. Das heißt: Liefert er nicht rechtzeitig, verzögert sich durch eigenes Verschulden die Eröffnung der “Parkplätze mit angeschlossenen Supermärkten”, muss er Strafen an die Kommune zahlen. Wie man hört, gilt dies auch im Zwischenverhältnis zu den Discountern, die ebenso auf ein konkretes Eröffnungsdatum bestanden haben sollen.
Ende Mai 2023 will Marcel Dittrich zusammen mit den Verantwortlichen des “Seegut”-Hotelprojekts an die Öffentlichkeit gehen. Die Investoren möchten ihre Pläne in einer Bürger-Infoveranstaltung präsentieren. Johannes von Miller konnte da nur den Kopf schütteln: Ob dem Bürger oder der Bürgerin das dann missfällt, oder ob der ein oder andere eine bessere Idee hat: Egal. Dann sei schon alles entschieden.
Der Investor aus Irschenberg muss nun liefern. Die Genehmigungen sind da. Der Wiesseer Rat hat mehrheitlich grünes Licht gegeben. Noch schwimmen Enten in seiner mit Regen vollgelaufenen Baubrache an der Münchner Straße.
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