Heute berichtet der SPIEGEL über sexuelle Übergriffe, Machtmissbrauch und Gewalt von Sternekoch, Christian Jürgens, aus dem Hotel “Überfahrt”. Dort wird das Personal derzeit vom CEO in einer Personalversammlung aufgeklärt.
Seit 16 Uhr informiert der CEO der Althoff-Gruppe, Frank Marrenbach, die gesamte Belegschaft des Hotels Überfahrt über den aktuellen Stand der Affäre Jürgens. Ob angesichts der Vorwürfe polizeiliche Ermittlungen anstehen, ist unklar.
Noch vor wenigen Wochen wurde am südlichen Ende des Tegernsees mächtig gefeiert. Christian Jürgens hatte zum zehnten Mal drei Sterne für seine Arbeit vom Gourmet-Führer Michelin erhalten. Nur Pfannenwürfe entfernt hatte Thomas Kellermann vom Restaurant “Dichter” zwei Sterne, und Alois Neuschmid vom “Haubentaucher” einen Stern, bekommen. So eine Dichte von Superküchenkunst ist selten, wird nur von Baiersbronn im Schwarzwald übertroffen*. Und nun das:
SPIEGEL-Online wirft in seiner heutigen Ausgabe dem Sternekoch Christian Jürgens massive Vergehen gegen seine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen vor. Von Ohrfeigen, sexuellen Übergriffen und Beleidigungen ist die Rede. Es wird das Bild eines Kochstars gemalt, der seine Gefühle nicht unter Kontrolle hat, extrem dominant und herrschsüchtig auftritt. Es sind, sollten die Vorwürfe stimmen, keine Kleinigkeiten, nichts, was man mit einem Schulterzucken abtun könnte. Die SPIEGEL-Autoren behaupten, seit Monaten mit “zwei Dutzend Mitarbeitern aus Küche und Service gesprochen” zu haben. “Es liegen”, so das Blatt, “ihre Arbeitszeugnisse vor, Chatverläufe, eidesstattliche Erklärungen. Viele Betroffene möchten anonym bleiben, zu groß ist die Angst vor einem Karriereende – und vor dem ehemaligen Chef selbst.”
Ein Sommelier berichtet, Jürgens habe ihm zwischen die Beine gegriffen. Das sei auch anderen Kollegen passiert, so der SPIEGEL. Ein anderer Kollege erklärt, Jürgens habe ihn geschlagen. Immer wieder, so Mitarbeiter, sei Jürgens ausfallend und beleidigend gegenüber dem Team geworden. Und das Hotel? Ex-Angestellte, so der SPIEGEL, hätten den Autoren gegenüber berichtet, “dass die Hoteldirektion am Tegernsee von manchen Vorfällen gewusst und Jürgens gedeckt haben soll.”
Überfahrt stellt Jürgens frei
Wir haben die Überfahrt um eine Stellungnahme gebeten. Dort reagiert man prompt:
“Zunächst möchten wir klar sagen, dass uns die Vorwürfe nach wie vor erschüttern. Mit Wirkung vom 05. Mai 2023 haben wir daher entschieden, Christian Jürgens freizustellen. Die Anschuldigungen müssen im Detail geprüft und eindeutig aufgeklärt werden.”
Und weiter:
“… haben wir unverzüglich eine renommierte Kanzlei mit einer Prüfung der Vorwürfe beauftragt – nachdem diese uns bekannt geworden sind. Sie können sich vorstellen, dass auch wir als Unternehmen das größtmögliche Interesse an einer baldigen Klärung dieser Vorwürfe haben.”
Auch eine weitere Aussage lässt aufhorchen:
“Wir möchten der Form halber darauf hinweisen, dass unsere Organisationsstruktur unterschiedliche betriebswirtschaftliche Einheiten mit jeweiligen Führungskräften vorsieht. Dieses gilt auch für das Seehotel Überfahrt und das angeschlossene Restaurant „Überfahrt – Christian Jürgens“. Um Missverständnissen vorzubeugen – ungesehen unserer Verantwortung und Fürsorgepflicht – weisen wir darauf hin, dass der Geschäftsführer des Hotels keinerlei Weisungsbefugnis über den Geschäftsführer des Restaurants hat oder hatte.”
Für das renommierte Hotel ist die Geschichte zweifellos ein PR-Desaster. Jürgens selbst streitet alle Vorwürfe ab, hat eine Anwältin beauftragt. Die sagt dem SPIEGEL: “Die geschilderten Vorgänge hätten sich »zu keinem Zeitpunkt« ereignet. Jürgens könne sich auf “zahlreiche, glaubwürdige ehemalige und gegenwärtige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter berufen.” Die Behauptungen seien rufschädigend und “geeignet, die berufliche Existenz” des Gastronomen zu zerstören.
Zehn Jahre blinkten drei Sterne über Christian Jürgens Küche. Fraglich ist, ob sie nach diesen massiven Vorwürfen zukünftig zu sehen sind. Die Vorwürfe, so sie denn wahr sind, wiegen schwer, haben in der Tat das Potenzial, die langjährige Karriere eines Sternekochs zu zerstören, aber ebenso menschenunwürdige Systeme zu verändern und betroffenen Menschen ein gewisses Maß an Genugtuung zu geben.
*Korrektur: In einer früheren Ausgabe schrieben wir, dass die “Sternedichte” am Tegernsee im ländlichen Deutschland einzigartig sei. Das ist nicht richtig. Baiersbronn im Schwarzwald kann auf acht Sterne verweisen. Dank geht raus an unseren Leser Herrn Wetter, der uns freundlich darauf aufmerksam machte.
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