Ein Kommentar von Benno Kirschenhofer:
Bewaffnet mit Fotoapparaten haben wir uns an den Bahnhof begeben. Mal morgens, mal tagsüber, mal abends. Hier eine zerbrochene Bierflasche, dort ein Häufchen Wohlstandsmüll, das in die Fahrradständer geweht wurde. Ein paar Kaugummis, die obligatorisch am Boden abgesteckten Claims aus Kippen und Speichel und in der Unterführung eine kleine Notdurft, die aufgrund vom Faktor Wandhöhe mal Harnmenge einer Dame zuzuordnen war und eine Geschichte erzählt: Sausalitos Türkenstrasse, sieben Hugos, letzte S-Bahn erwischt, Zammzwicken ab Fasangarten.
Wir waren uns einig: Lecker ist das alles nicht, aber weit davon entfernt, ein Inferno zu sein.
Die Holzkirchner Bahnhofsanlage, so wurde erst kürzlich belastbar ermittelt, betreten, durchqueren und beleben jeden Tag Menschen im fünfstelligen Bereich. Pendler, Umsteiger, Kioskeinkäufer, Bankkunden, Schüler und andere Menschen, die die Unterführung als Brücke von der East- zur Westside nehmen. Das sind um ein vielfaches mehr Menschen als an so mancher kleiner Provinzhaltestelle, die sich ohne Probleme so geschleckt halten lässt, dass man fast die Schuhe ausziehen möchte, wenn man auf den nächsten Zug in zwei Stunden wartet.
Tausend Temperamente
Gehen wir von 10.000 Leuten am Tag aus. Da ergibt es sich allein aus der zahlenmäßigen Dimension, dass jeden Tag jemand akkurat in der Unterführung scheußlichen Harndrang verspürt oder ausgerechnet dort die Eistee-Packung leer ist. Bei konservativ be- und das Wochenende miteingerechnet 50.000 Menschen pro Woche ist eben auch mal einer dabei, dem mit Pauken und Bröckchen zwischen Gleis 1 und 3 schlecht wird.
Tausende Menschen bedeuten aber auch nicht nur statistische Unpässlichkeiten, sondern eben auch unterschiedliche Auffassungen von Kinderstube, Sauberkeit, Sicherheit oder Umweltschutz. Ein gutes Beispiel hierfür sind ja wir Raucher: Während es für die einen Common Sense zu sein scheint, dass Stummel kein Müll sind und ergo überall hingeworfen werden dürfen, machen sich andere trotzdem die Mühe, die Zigarette nach erfolgtem Genuss auszudämpfen und wie jeden anderen Müll in den nächsten Abfall zu werfen.
Einer wird’s schon wegräumen?
Dennoch ist ein hochfrequentierter Bahnhof faktisch leider kein Wunschkonzert der Idylle, die man sich mit immer mehr Sicherheits- und Reinigungspersonal nur so herbeizuwünschen braucht. Einfach nur immer mehr Putzleute fordern, die hinter immer mehr Saubären zusammenräumen, ist zu kurz gesprungen und die sprichwörtliche “Vollkaskomentalität”.
Auch aus den hohen Monatskosten für eine Zeitkarte erwächst einem eben leider nicht das Recht auf den eigenen Traumbahnhof oder darüber verfügen zu können, wer dort rumhängen darf und wer nicht. Die einen wünschen ihn sich lebhaft, die anderen vor allem sicher, die andern sauber, für die einen ist er Treffpunkt, für die anderen ein Grund nach Holzkirchen zu ziehen und für wiederum andere ist der Bahnhof fast Holzkirchens einziger „Späti“.
Bahnhof bleibt Bahnhof
Am Bahnhof konzentriert sich die Vielschichtigkeit unseres Marktfleckens auf wenigen hundert Quadratmetern, kumulieren die Temperamente und kollidieren die Vorstellungen, wo die Grenze liegt zwischen sozialer Akzeptabilität und Inakzeptabilität.
Diese Grenze sollte unmißverständlich dort verlaufen, wo Belästigung und Gewalt beginnen. Hier sind Courage und Bürgersinn gefragt. Für alles andere gilt: Wo gependelt wird, da fallen Späne. Und letztere selbst wegzuräumen ist leider nicht jedem in die Wiege gelegt. Aber dafür BOB und DB bis ultimo in die Pflicht zu nehmen, wäre der falsche Ansatz.
Kurz gesagt, so absurd es beim Anblick mancher Hinterlassenschaft klingen mag: Es ist eben ein Bahnhof – und unserer ist relativ sauber.
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