„32-Jähriger Bosnier raubt Supermarkt-Kasse im HEP aus“: Eine Schlagzeile, wie sie jederzeit geschrieben werden könnte. Die Redaktionen müssen dann selbst entscheiden, ob sie veröffentlicht wird, oder nicht. Die Polizei dagegen liefert in jeder Pressemitteilung das Herkunftsland des Täters mit. Wie jüngst berichtet kritisierte der Sprecher des Deutschen Presserats, Manfred Protze, in diesem Zusammenhang, die Polizei entwickle sich zunehmend zu einem eigenständigen Medium, das in Konkurrenz zur Presse stehe.
In der Theorie gibt es aber eine klare Richtlinie. Der entsprechende Paragraf des Deutschen Presserats lautet:
In der Berichterstattung über Straftaten ist darauf zu achten, dass die Erwähnung der Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu ethnischen, religiösen oder anderen Minderheiten nicht zu einer diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens führt. Die Zugehörigkeit soll in der Regel nicht erwähnt werden, es sei denn, es besteht ein begründetes öffentliches Interesse. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.
Die Richtlinie wurde verfasst, damit die Redaktionen eine „zeitgemäße und praktische Handlungshilfe“ haben. Ob sie diesem Anspruch jedoch gerecht wird, darf mit Fug und Recht bezweifelt werden. Denn der Begriff „begründetes öffentliches Interesse“ ist mit Absicht vage formuliert.
In der Zwickmühle
Ausdrücklich wird erklärt, dass bloße Neugier kein „begründetes öffentliches Interesse“ darstellt. Alles darüber hinaus müssen die Redaktionen im Einzelfall entscheiden. Und hier wird es kompliziert. Im Zweifel kann wohl fast immer ein “begründetes öffentliches Interesse” herbeiargumentiert werden. Genauso lässt sich dieses aber auch wegargumentieren.
Der Redakteur ist damit in der Zwickmühle. Wenn der Angehörige einer Minderheit in der Berichterstattung als Straftäter kenntlich gemacht wird, werden bei einem bestimmten Teil der Bevölkerung immer Vorurteile geschürt. Führt man als Journalist die Herkunft eines Straftäters oder Tatverdächtigen an, nimmt man unweigerlich das Risiko in Kauf, diese Vorurteile zu bestätigen – was Folgen haben kann.
Andererseits: Wird bei jenen Fällen, bei denen es angebracht wäre, die Herkunft eines Täters anzugeben, darauf verzichtet, ist die Gefahr groß, dass die Medien einer Berichterstattung nachgehen, die gesellschaftliche Realitäten verschleiert – was dazu führen kann, dass Zweifel und Misstrauen gegenüber der Presse anwachsen.
“Die Redaktion wird es Ihnen danken…”
Wie man es macht, macht man es also verkehrt. Linke und rechte Anfeindungen sind in Redaktionen an der Tagesordnung. Bei der Tegernseer Stimme haben wir uns entschieden, gemäß der Richtlinie die Herkunft eines – oft mutmaßlichen – Täters in der Regel nicht kenntlich zu machen. Ausnahmen stellen polizeiliche Statistiken dar, in denen die Straftaten in einen Gesamtkontext eingeordnet werden. Oder aber eben Einzelfälle, in denen beispielsweise Beute in das Herkunftsland des Täters geschmuggelt wird.
Am Ende ist aber auch diese Regel nicht perfekt. Und die Redakteure sind es auch nicht. Aus irgendeinem Standpunkt heraus wird die Entscheidung immer kritisiert werden. Wichtig ist, dass man sich über das Thema Gedanken macht und sensibel damit umgeht. Vielleicht können Sie ja einmal kurz darüber nachdenken, bevor Sie den nächsten verschwörerischen Kommentar (“und schon wieder die Herkunft nicht genannt, woran das wohl liegt!!!???”) in die Tastatur hacken. Die Redakteure werden es Ihnen danken.
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