Fast sieben Stunden dauerte der gestrige Prozess vor dem Miesbacher Amtsgericht. Angeklagt waren zwei aus Somalia stammende junge Männer: Der 23-jährige Igbo und der 21-jährige Aba (Namen von der Red. geändert), dem man zwei Straftaten zur Last legt. Beide hatten ihre Anwälte und einen Dolmetscher im Schlepptau.
Am 19. Oktober vergangenen Jahres hatten die Männer vor einer Asylunterkunft in Miesbach mit drei Arabern eine Auseinandersetzung. Weil der angetrunkene Igbo glaubte, sein Ausweis für die gerade erhaltene Aufenthaltsgenehmigung sei von den Arabern gestohlen beziehungsweise versteckt worden, spuckte er drauflos, trat um sich und schlug schließlich einem der Araber mit der Faust ins Gesicht. Zwei Tage lag dieser daraufhin stationär im Krankenhaus.
Ein „Kuddel-Muddel“ und ein „Durchgedrehter“
Eine Polizeibeamtin von der Polizeiinspektion Miesbach, die zu diesem Zeitpunkt zusammen mit einem Kollegen unterwegs war und über die Einsatzzentrale von dem Streit informiert wurde, erlebte bei ihrer Ankunft am Asylheim einen durchgedrehten 23-Jährigen, der wie wild um sich schlug, die Polizeibeamtin bespuckte und sich vor ihr entkleidete. Sie stellte später die Strafanzeige.
„Es waren ein Haufen Leute da“, sagt der am Tegernsee aufgewachsene Kollege gestern vor Gericht aus, „und ein richtiges Kuddel-Muddel“. Keiner hätte sagen können, was genau passiert sei. Die Araber hätten Igbo und Aba allerdings beschuldigt, mit einer Flasche zugehauen zu haben. Einer der Zeugen bestätigt später, dass sich Aba nicht am Streit beteiligt habe. Und auch die Bierflasche wurde nicht gesehen. Ein anderer sagt aus, Igbo habe seinen Geldbeutel samt Aufenthaltsgenehmigung selbst auf den Boden geschmissen.
Polizei fesselt Angeklagten und bringt ihn in Psychatrie
Den „durchgedrehten“ Igbo habe er irgendwann konsequenterweise festbinden müssen. „Ich habe ihm gesagt, ich muss ihn fesseln, wenn er nicht aufhört.“ Erst auf der Dienststelle sei ihm der Sachverhalt nach einem zweistündigen Verhör geschildert worden:
Ich habe noch nie so lange für die Aufnahme eines Vorgangs gebraucht wie für so einen einfachen Sachverhalt.
Laut Aussage des Angeklagten verbrachte er die anschließende Nacht in der Psychatrie in Haar, wo ihn die Polizei hinbrachte. Gleich zu Beginn der Verhandlung regt Igbos Rechtsanwalt Christian Beil ein Rechtsgespräch an. Abas Rechtsanwalt Max-Josef Höfl schließt sich an. Für ein paar Minuten wird die Sitzung unterbrochen. Eine Einigung wird nicht erzielt.
Dafür räumt der Angeklagte nun die Tat ein und entschuldigt sich bei dem Polizeibeamten. Er bittet ihn, dies auch der Polizistin auszurichten. Doch während der Verhandlung wird deutlich, dass er sich eher für unschuldig hält. Die Zeugenaussagen übersetzt der Dolmetscher fast simultan und mit energischer Stimme.
Angriff mit zerbrochener Bierflasche
Dann wird der zweite Fall verhandelt. Ungefähr zweieinhalb Monate vor dem Streit am Asylantenheim, am 31. Juli, wurde der 21-jährige Aba auf einem Parkplatz am Habererplatz in Miesbach wegen „körperlicher Misshandlung“ von der Polizei festgenommen.
Gegen 22:30 Uhr hatte er sich mit einem abgebrochenen Flaschenhals bewaffnet und seinem Kontrahenten – einem Bekannten aus der Asylunterkunft -gedroht: „Ich bringe Dich um“. Der Grund für den Ausraster: Ein Bier, das er an diesem Abend gerne noch gehabt hätte. Weil er keines mehr bekam, griff er nach der Biertüte – diese fiel zu Boden, und die darin befindlichen Bierflaschen zerbrachen in Scherben.
Die Doppeldeutigkeit von „Ich bringe Dich um“
Der Angeklagte nahm sich ein Stück und schnitt damit seinem Kontrahenten in die Hand und in die Schulter. Dieser verpasste dem Angeklagten daraufhin drei Schnittwunden am linken Unterarm. Das Verhältnis sei immer schlecht gewesen, schildert der 21-jährige Angeklagte, der am Tag darauf seine Ausbildung anfangen wollte. Er versichert aber, dass er „nie vorgehabt habe, den Anderen zu töten“.
Sowohl Verteidiger als auch Dolmetscher erklären Richter Klaus-Jürgen Schmid, dass diese Formulierung im Somalischen nur soviel wie „Ich schlage Dich“ bedeute. Man geht in die Beweisaufnahme. Der als Zeuge geladene Geschädigte gibt unter anderem an: „Meine Verletzung an der Brust musste man mit drei Stichen nähen.“ Nach knapp fünf Stunden des Zuhörens ist die Stimmung im Gerichtssaal leicht gereizt.
Rechtsanwalt Hösl weist Richter Schmid darauf hin, dass er den Zeugen die „polizeiliche Vernehmung“ nicht so vorlesen dürfe, dass diese nur mit JA und NEIN antworten könnten. Was folgt ist ein kurzer, hitziger Wortwechsel.
„Massive Gewaltanwendung“– vier Wochen Arrest
Die Staatsanwältin lobt zunächst die gute Beweisaufnahme, bevor sie mit ihrem Schlussplädoyer beginnt. Der 21-jährigen Angeklagte Aba habe durch seinen Angriff mit der gebrochenen Bierflasche ein „einseitiges aggressives Verhalten“ gezeigt, sagt sie. Auch wenn er selbst bei dem Streit verletzt wurde, sei er dennoch der Initiator gewesen.
Sein Geständnis komme ihm zugute, dennoch sei die „massive Gewaltanwendung“ mit einer Mindeststrafe von sechs Monaten für jede einzelne Tat zu ahnden. „Jemanden wegen so eines sinnlosen Anlasses so schwer zu verletzen ist gravierend.“ Eine Haftstrafe von mindestens vier Wochen halte sie hier für angemessen.
Igbos Fall sei schon etwas verwirrender, erklärt die Staatsanwältin. Sie habe erhebliche Zweifel an der Geschichte des Angeklagten. Erst räume er die Schuld ein, dann doch wieder nicht. Was ganz und gar nicht stimmig sei, dass der Angeklagte seine Aufenthaltsgenehmigung an diesem Abend wegschmeißen wollte, wo er sich doch nach eigener Aussage „so darüber gefreut habe“. Sie hält acht Monate ohne Bewährung für angemessen.
Acht Monate und vier Wochen Arrest
Zwar unterstreicht Rechtsanwalt Beil die Aussagen der Staatsanwältin, hält aber dennoch eine Aussetzung der Strafe auf Bewährung für angemessen. „Mein Mandant ist besoffen gewesen und irrational ausgeflippt.“ Er wolle auf keine Notwehrsituation hinaus, möchte aber trotzdem betonen, dass auch sein Mandant geschlagen worden sei.
Rechtsanwalt Hösl ist davon überzeugt, dass sein Mandant Aba von der „gefährlichen Körperverletzung“ freizusprechen sei. Er begründet dies damit, dass unklar sei, wer zuerst zur Glasscheibe gegriffen habe, zumal ja auch sein Mandant „schwer verletzt“ worden sei.
Stille im Gerichtssaal. Richter Schmid macht sich letzte Notizen, die Angeklagten sitzen mit gesenkten Köpfen da. Dann das Urteil: Igbo wird wegen vorsätzlicher Körperverletzung und Widerstand gegen die Polizei zu acht Monaten Haft verurteilt. Aba muss wegen gefährlicher Körperverletzung für vier Wochen in Arrest. Die Angeklagten tragen die Kosten des Verfahrens.
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