Auf den Leib geschneidert – aber diskret!

Über dem eigentlichen Atelier wird das meiste immer noch in Handarbeit gefertigt.

Eine dicke Zigarre liegt auf einem Aschenbecher. Eine von der Sorte, wie sie Kanzler Ludwig Erhard immer rauchte. Eine Szene, irgendwann aus der Mitte des letzten Jahrhunderts. Der Ascher stand mal im Schaufenster der Wiesseer Schneiderei Scherer. Genauso wie der Kanzler zur Zigarre mal Kunde im Atelier Scherer neben dem Rathaus war.

Ludwig Erhard zählte zu den ersten “Promis”, die sich in Bad Wiessee die Anzüge auf den Leib schneidern ließen. Mit Kundennamen fürs Geschäft zu werben, war jedoch damals schon unerwünscht. Deshalb nur ein Symbol im Schaufenster.

Beim Zuschnitt direkt neben dem Atelier im Erdgeschoß
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Ohne die nötige Diskretion kommen betuchte Modekunden kein zweites Mal. Manche legen ihren Urlaubsort extra hierher, um mit einem passenden Trachtenanzug wieder nach Hause zu fahren. Eine einzige Anprobe reicht in der Regel, um die Figur des Kunden zu taxieren.

Bis zu 25 Stunden von A bis Z

Wenn der Kunde bereits Maß genommen hat, kann man auch auf die Ferne schneidern, so Markus Scherer, der das Atelier in dritter Generation führt. Jeder Körper ist anders. Jede Schulter. Jeder Arm. Jedes Bein. Der Kunde muss dann nur noch anrufen: „Ich brauche beispielsweise eine neue Hose.“ Und das Stück kann anhand seiner individuellen Maße genäht und verschickt werden.

Eine Maßanfertigung entsteht in vielen kleinen Schritten. Insgesamt bedeutet das allein für einen Tegernseer Janker an die 25 Stunden Herstellungszeit. Der Erstkunde wird erst einmal vermessen. Der Stoff wird ausgewählt. Für einen Tegernseer etwa ein leichter Loden oder Flanellstoff in Grautönen. Dann wird das Schnittmodell erstellt. Eine Einlage gefertigt, was bedeutet, dass einzelne Teile zusammengeheftet werden.

Dieses Modell bildet sozusagen das Grundgerüst für das fertige Kleidungsstück. Es ist das individuelle Innenleben. „Wenn das nicht stimmt, dann taugt das Ganze nix“, sagt Scherer. Und es muss laut Scherer von Hand gefertigt sein. Das ist seine Garantie für Passform und Lebensdauer. Ein guter Schneider sieht sofort, wo die Figur des Kunden von der Norm abweicht und Schnitt- oder technische Änderungen nötig sind.

Prominenz hat man, aber man redet nicht über sie

Prominente Kunden aus Wirtschaft, Politik, Showbusiness und Sport wissen das zu schätzen. Inzwischen kann man sich im Atelier Scherer alles auf den Leib schneidern lassen: vom Tegernseer Anzug bis hin zur Knickerbogger samt Käppi. Genäht wird, was der Kunde wünscht.

Da ist noch viel Handwerk im Spiel

Die Maßschneider – Senior- und Juniorchef sowie fünf Gesellen und zwei Auszubildende – verwenden ausschließlich Naturfaserstoffe, die europaweit aus Webereien bezogen werden. Im Laden liegen Dutzende von Musterstoffen, aus denen der Kunde auswählen kann.

Die Kunden wünschen immer leichtere Stoffe, die möglichst knitterarm sein sollten und sich nach dem Tragen möglichst wieder von selbst aushängen. Der Maßschneider versucht in seinem täglichen Job, diese Wünsche unter einen Hut zu bringen.

Umfassende Kenntnisse in unterschiedlichen Handwerkstechniken und Materialkunde, Stilsicherheit und persönliche Erfahrung sind die Grundlagen eines erfolgreichen Maßateliers. Lebenslanges Lernen ist gerade im Handwerk eine zwingende Notwendigkeit.

Die Kundschaft weiß das auf jeden Fall zu schätzen. Konkrete Namen will Scherer nicht nennen. Diskretion ist Ehrensache. „Solche Kunden möchten in Ruhe einkaufen und von Paparazzi verschont werden“, sagt Scherer.

Deshalb auch nur Zigarre und Aschenbecher in der Auslage. Die Leute wussten Bescheid. Für den Kanzler war’s in Ordnung. „Das haben Sie aber gut gelöst“, lautete sein Kommentar.

Die Scherer`s: Junior und Senior

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