Betreff: Anonymität in Kommentaren

Lieber Florian Widmann,

Sie haben unlängst als Fraktionsvorsitzender der Tegernseer CSU ihrem Ärger Luft gemacht: Über die Möglichkeit als Leser und Bürger die eigene Meinung auf der Tegernseer Stimme in anonymen Kommentaren zu hinterlassen.

Für ihre persönliche Abneigung gegen unsere Auffassung von Meinungsfreiheit haben Sie bewusst die öffentliche Fraktionssitzung der CSU gewählt. Wir wollen gerne ebenfalls den öffentlichen Weg wählen, um Ihnen zu erklären, warum wir auch in Zukunft weiter daran festhalten werden, dass auf der Tegernseer Stimme jeder seine Meinung sagen darf. Wenn derjenige das möchte, auch anonym. Weil es wichtig ist.

In einer Gesellschaft wie der unseren läuft Meinung schon sehr lange auch im anonymen Rahmen ab: Der Meckerkasten am Rathaus oder im Hotel, das Demonstrationsrecht, die demokratische und anonyme Wahl, die Wortmeldung oder der Zwischenruf auf Bürgerversammlungen, zu der man sich glücklicherweise nicht mit dem Personalausweis anmelden muss. Selbst Bücher und Zeitungsartikel werden seit jeher anonym – unter Pseudonymen – veröffentlicht, wenn es der Autor so will. Wissen alle, wer der Seegeist ist? Wussten Sie, dass Erich Kästner auch schon als Berthold Bürger, Peter Flint, Melchior Kurtz und Robert Neuner Bücher schrieb?

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Gegen all diese Beispiele, in denen Anonymität gewollt ist, stehen ihre unterschwelligen Argumente: Anonyme Kommentatoren pöbeln grundsätzlich rum. Wer anonym schreibt, mache das nur, weil er etwas zu verbergen hat und andere persönlich beleidigen will. Am Telefon meinten Sie zu einem Redaktionskollegen sogar, dass die Kommentarschreiber auf der Tegernseer Stimme die Stadträte in Tegernsee gegeneinander aufhetzen würden.

An manchen Orten im Netz mag das zutreffen. Genauso, wie der Tonfall in der Gegend rund um den Münchner Hauptbahnhof ein anderer ist als oben auf der Neureuth. Dagegen schreiben die Leser auf der Tegernseer Stimme in den allermeisten Fällen sehr differenzierte Meinungen, bringen Ideen und Vorschläge ein und wissen sich zu benehmen.

Die Betonung liegt auf: „in den allermeisten Fälle.“ Ausnahmen bestätigen dabei die Regel. Und das sollte man auch nicht ausblenden, sondern aktiv regeln. Denn wer über die Stränge schlägt, wird von uns ermahnt, verwarnt oder auch mal gelöscht. Wie im echten Leben fliegen die notorischen Pöbler raus. Kritik, sofern sie nicht diffamierend wird, ist jedoch ausdrücklich erlaubt. Und der allergrößte Teil der Tegernseer Stimme Leser hält sich daran.

Was steckt also wirklich dahinter, wenn öffentliche Meinung für Sie und manch anderen so lästig wird, dass man sich wünscht, man könne sie wieder abschalten? Was erhoffen Sie sich davon, wenn unter jedem Kommentar ein Auszug des Melderegisters eingebunden wird? Dass dann nur noch positive Kommentare erscheinen? Das alles Negative rausfällt, weil die „echten Menschen“ alle zufrieden sind mit den politischen Entscheidungen im Tegernseer Tal?

Wollen Sie wirklich wissen, von wem die Meinung kommt oder wollen Sie vielleicht einfach lieber weniger Meinung? So wie in der guten alten Zeit, als Leserbriefe von der Zeitung bewusst selektiert wurden. Als Kritik schnell vergessen war, da Sie nicht mehr aufgefunden werden konnte. Nach dem Motto: aus den Augen, aus dem Sinn.

Nicht verschweigen darf man bei dem Thema, dass Sie Herr Widmann, mit ihrer Sichtweise, der Unsicherheit und dem großen Wunsch alles wieder so werden zu lassen, wie es einmal war, nicht alleine dastehen: das politische Berlin haben Sie zumindest hinter sich, wie der Spiegel kürzlich schrieb.

Doch auch das wird nichts an unserer Herangehensweise ändern. Uns als Tegernseer Stimme ist die Meinung der Leser – manche davon auch ihrer Wähler – sehr wichtig. Wir sehen uns als öffentlicher Raum, den jeder betreten darf und in dem sich jeder äußern kann, um auf einen Missstand aufmerksam zu machen. Wer sich an ein paar Regeln hält, kann selbst entscheiden, ob er das anonym tut oder nicht.

Wer eine starke Meinung zu vertreten hat, tut das auch mit seinem echten Namen – um Mitstreiter und Unterstützer zu finden. Wer aber seine Meinung anonym mitteilt, hat seine Gründe. Manche Kommentarschreiber sind vielleicht unsicher und haben Angst alleine dazustehen. Andere wiederrum wollen in den nächsten Monaten bauen und befürchten negative Auswirkungen, wenn sie sich mit Ihnen oder der Gemeinde öffentlich „anlegen“. Doch was auch immer der Grund ist, eine Meinung muss aufgrund ihrer Anonymität nicht besser oder schlechter sein, mehr oder weniger Wert haben.

Gerade in einer kleinen Gemeinschaft, wie wir es hier rund um den Tegernsee sind, wird oft einiges unter den Teppich gekehrt, weil man sich nicht mit „denen da oben“ anlegen möchte. Man kennt sich eben. Das macht sicher vieles einfacher. Den politischen Diskurs, den Austausch über kontroverse Themen macht es manchmal aber auch schwerer. Anonym ausgesprochen kommen aber auch die kritischen Themen eher mal zur Sprache.

Doch eines gilt es zu beachten: Es gibt kein „halb“ bei der Sache mit der Anonymität. Entweder erlauben wir jedem seine Meinung zu sagen und daraus, im Diskurs, gemeinsam etwas zu erarbeiten. Oder wir beenden es ein für alle Mal, und lassen jeden immer und überall zuerst den Personalausweis zeigen, bevor er etwas sagen darf. Egal, ob er in Tegernsee ins Internetcafe oder auf die nächste Bürgerversammlung möchte. Ein bisschen anonym, ein bisschen öffentlich, ein bisschen Meinung, ein bisschen Kritik – das geht nicht.

Lieber Herr Widmann, wir laden Sie hiermit recht herzlich dazu ein, sich persönlich an den Debatten und Diskussionen zu beteiligen. Nutzen Sie die Chance, die sich Ihnen bietet, indem Sie auch im virtuellen Raum den direkten Austausch mit Wählern und Bürgern suchen. Gehen Sie doch einfach mal mit gutem Beispiel voran, indem Sie das mit Ihrem echten Namen und für alle nachvollziehbar tun. Sie werden sehen, dass der öffentliche Austausch nicht nur aus Pöbelei und Beschimpfung besteht. Anonym oder nicht, spielt dabei keine große Rolle.

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