Blitz und Donna, der Finsterer Michä

Wir schreiben den 31. Oktober. Es ist die Nacht, in der die Welt der Lebenden mit der Welt der Toten zusammentrifft. Und die einzige Chance für die Toten, von der Seele eines Lebenden Besitz zu ergreifen. Den Lebenden bleibt nur eines: Sie dürfen sich nicht zu erkennen geben.

Einst traf ein Blitz den Finsterer Michä aus Rottach-Egern. / Zeichnung links: Hans Reiser; Foto rechts: Mein Tegernsee.

Sein Loch im Gewand ist faustgroß und ausgefranst, der Rand angesengt. Der Finsterer Michä – einst Schreiner in Rottach-Egern – hatte die Folgen jenes Blitzschlages, der ihm eines Tages aus heiterem Himmel durch Hinterkopf und Rücken schoss, überlebt. Heute steht nur noch sein Gewand im Tegernseer Heimatmuseum. So glaubt man zumindest.

Man munkelt, dass ihm das Brotmesser, das er zu jenem Zeitpunkt in seinem Rucksack getragen hatte, das Leben gerettet haben könnte. Man munkelt aber auch, dass er nur deswegen überlebt hat, weil er ein Abkommen mit dem Tod hatte. Und genau am 31. Oktober taucht dieses Gefühl wieder auf, dass wohl auch er gehabt haben musste, als der Blitz in ihn einschlug: Angst.

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Ein elekrisierender Anblick

Nicht die Sorte von Angst, die etwa mit der Flugangst vergleichbar wäre, und bei der man sich am liebsten unter der Bettdecke verstecken möchte, sondern jene, bei der man in ohmächtiges Gruseln verfällt, sobald ein löchriges Gewand vor einem steht. Jene, die einen überkommt, wenn man weiß, dass der Finsterer Michä an Halloween sein Unwesen treibt und jeden, den er berührt, wie das Bein eines toten Frosches mit seinem elektrischen Reiz zum Zappeln bringt.

Die Furcht im Tegernseer Tal war seit jener Zeit sehr groß. Irgendwann wird etwas passieren, dessen war man sich sicher. Irgendwann würde der Finsterer Michä sein Brotmesser zücken und eine Seele nach der anderen in seine Welt holen. Dazu hatte ihn der Blitzschlag verdammt. Das wussten sie. Aber nicht nur das. Der Finsterer Michä besaß seither die Fähigkeit, in die Köpfe der Menschen zu schauen und deren Gedanken zu lesen. Er konnte sie also aufspüren.

Die Geheimsprache der Lebenden

Über Generationen hinweg hatten sich die Talbewohner vor ihm zu schützen versucht. Bis sie auf die Idee kamen, sich Masken überzuziehen, um nicht von ihm erkannt zu werden. Doch der Finsterer Michä spürte sie trotzdem immer wieder auf. So mancher versuchte, ihm in der Wallbergbahn zu entkommen, andere tauchten im Tegernsee ab oder versteckten sich in der Gmunder Kirche. Vergeblich. Also entwickelten sie eine Geheimsprache.

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Verdammt… das Brotmesser

Es war die Geheimsprache, die die Lebenden schützte. Wenn also in der Nacht der Wind aufkommt, wenn der Himmel sich verdunkelt, wenn wir glauben, eine Verabredung mit dem Blitz zu haben, dann wissen wir, dass der Finsterer Michä nicht weit ist. Dann sollten wir schleunigst die Geheimsprache anwenden, um wieder ein Jahr vor dem drohenden Unwetter geschützt zu sein.

Verdammt. Das Brotmesser. Wie konnte das übersehen werden? Vielleicht entkommt man den Gräueln des Tages auch einfach nur dadurch, indem man dem Finsterer Michä einen Kürbis opfert.

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