Bürger sollen Trasse freihand malen

„Wir entwickeln aus ihrer Idee eine Linienführung.“ Was sich nach dem Slogan einer Werbeagentur anhört, war der gestrige Aufruf des Staatlichen Bauamtes Rosenheim an die Waakirchner Bürger, ihre Wunschtrasse selbst auf Papier zu malen.

Sie stellten gestern Abend drei mögliche Trassenvarianten vor (von links): Bernhard Bauer vom Straßenbauamt Rosenheim, Gutachter Gerd-Michael Krüger und Christian Reichl, ebenfalls vom Straßenbauamt, sowie Waakirchens Geschäftsleiter Markus Liebl.

Jetzt sind die Waakirchner Bürger gefordert. Bis Ende Oktober sollen sie ihre „Linie“ finden und auf Papier bringen. Jede Wunschvariante einer Umfahrung von Waakirchen werde sodann vom Staatlichen Bauamt Rosenamt geprüft, und soll letzendlich das Verkehrsproblem lösen.

Das ist das Ergebnis der gestrigen Bürgerversammlung im Waakirchner Pfarrheim. Landschaftsarchitekt und Gutachter Gerd-Michael Krüger stellte gleich zu Beginn anhand einer Raumwiderstandskarte drei mögliche Trassenverläufe dar. Ohne dabei die Schutzgebiete zu bewerten, wie er betonte. Der von den Waakirchnern gewünschte Tunnel wurde dabei nicht berücksichtigt.

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Drei Varianten konfliktfrei möglich

„Aus Umweltgesichtspunkten sind drei Varianten in Korridoren mit wenig Raumwiderstand möglich“, erklärte er den Zuhörern im voll besetzten Saal das Fazit der Untersuchungen. „Relativ konfliktfrei und risikoarm in der Planung“ zeichne sich eine Trasse im Norden von Waakirchen ab, sagte er, obwohl ein Fließgewässer durchschnitten werden müsse. Eine andere Überlegung sei die geplante Trasse im Süden. Und die dritte Variante im Osten verlaufe direkt durch den Ortsteil Häuserdörfl.

Auf der Raumwiderstandskarte sind die Flächen farblich unterteilt. Rot bedeutet indiskutabel. Orange hat einen mittlerenRaumwiderstand und wäre abzuwägen. Bei Gelb ist ein konfliktfreier Trassenverlauf möglich. Weiß hat den geringsten Raumwiderstand. Auf der linken Karte sind die drei Trassenverläufe schwach sichtbar. Rechts in rot ungefähr nachgezeichnet.

Aber auch hier würden sich bei jeder Trasse neue Konfliktschwerpunkte ergeben. „Jede Trasse führt zu neuen Belastungen und hat Auswirkungen auf die Landschaft“, so Krüger. Christian Reichl vom Staatlichen Bauamt Rosenheim ergänzte: „Der nächste Schritt besteht darin, eine vernünftige Trasse zu finden.“ Zwei Trassenvorschläge seien ja bereits eingegangen und „andiskutiert“ worden.

„Fachwissen unnötig, Menschenverstand reicht“

Man sei jetzt in der Phase, Bürgeranregungen sammeln zu können. Jeder könne sich einbringen. Ende 2017 solle dann der Vorentwurf für die bevorzugte Trasse stehen. Niemand solle eine Variante „übergestülpt“ bekommen, fügte Bernhard Bauer vom Staatlichen Bauamt hinzu. Ziel sei es, die Öffentlichkeit in der frühen Phase der Planung mit einzubeziehen, um die Akzeptanz zu erhöhen.

Der von Bürgermeister Sepp Hartl (FWG) geäußerte Satz „Wir halten uns da raus“, sei der falsche Ansatz, so Bauer. Man müsse kein Fachmann sein, um sich einzubringen, da reiche der normale Menschenverstand. Als Beispiel führte er erfolgreiche Bürgerbeteiligungen von Ortsumfahrungen in Kirchseeon und München an. Er schlug vor den Waakirchnern Bürger vor, „ihre Trasse“ freihand auf Papier zu malen.

Karikatur macht’s möglich: Trasse über Häuser und Berge hinweg

Das Staatliche Bauamt Rosenheim werde die Linien dann auf a) Lärm-, Wasser- und Landschaftsschutz b) Kosten und c) verkehrliche Wirksamkeit, sprich Nutzen, prüfen und das Ergebnis bis Ende des Jahres präsentieren. Er appellierte bei „aller emotionaler Vorbelastung“ an die Fairness und versuchte am Ende seiner Rede die Stimmung mit einer Karikatur aufzulockern. Sie zeigte eine Straße, die über eine Glaskuppel führte, unter der sich Häuser und Berge befanden.

Bürgermeister Hartl warf ein, ob es denn außer den gezeigten Trassen überhaupt noch Spielraum für eine weitere Variante gebe, ohne auf „Raumwiderstand“ zu stoßen. Gutachter Krüger verwies auf die weißen, relativ konfliktfreien“ Flächen, und erklärte, hier seien Abweichungen möglich. Schwierigkeiten könnte es an anderer Stelle mit dem Baurecht geben. „Aber vielleicht kommen ja Ideen?“

Vierte Variante fehlt

Hartl konterte: „Die Idee ist ja da. Wir haben 3.500 Unterschriften für einen Tunnel.“ Auch Rudi Reber (ABV) zeigte sich irritiert über die fehlende vierte Trasse. Ein Tunnel sei doch die umweltverträglichste Lösung. Ob denn auszuschließen sei, dass sich die Gemeinde plötzlich mit 20 Millionen Euro an einer neuen Trassenvariante beteiligen müsse, wenn sie einen Tunnel einzeichne, richtete er seine Frage an den Gutachter.

Der Waakirchner Pfarrsaal war voll besetzt.

Inzwischen war es im Saal unruhig geworden. Einige standen auf, gingen vor die Tür und diskutierten, während ein Zuschauer sogar den Heimweg antrat. Krüger erklärte, der Bund sei der Baulastträger. „Wir machen uns dann Gedanken, wenn es soweit ist, und sich die Kosten auf einmal verdoppeln sollten.“ Ungeachtet dessen sollte die Möglichkeit ins Auge gefasst werden, dass ein Tunnel gar nicht im Bundesverkehrswegeplan (BVWP) berücksichtigt werde.

Alpenkonvention contra Trassenverlauf?

Lars Hülsmann, Vorsitzender des Vereins „Entlastung der B472“ und Tunnel-Befürworter, zeigte sich über die seit Jahren diskutierten Trassenvorschläge des Straßenbauamtes ganz und gar nicht überrascht. „Dass Biotope durchschnitten werden, ist klar.“ Vielmehr interessierte es ihn, ob die Linien einer rechtlichen Prüfung standhalten würden. „Sind Sie hundertprozentig sicher, dass die Trassen in der geschützten Egartenlandschaft nicht im Widerspruch zur Alpenkonvention stehen?“

Dessen war sich der Gutachter sicher. „Dafür gebe es Kriterien. In der Alpenkonvention stehe drin, was erlaubt ist und was nicht.“ Hülsmann hakte nach: „Das heißt, Sie können sicher ausschließen, dass der Gesetzgeber keine Einwände hat?“ Daraufhin lenkte Krüger ein. “Dass „artenschutzrechtliche Komponenten“ durchaus noch einen Einfluss haben könnten, könne er nicht ausschließen. Der Gesetzgeber entscheide aber nach der „räumlichen Entwicklung“ in einem vernünftigen Maß und versuche, Unfallschwerpunkte zu vermeiden. Und die seien in Waakirchen gegeben.

Hartl findet’s “bärig”, wenn jeder Bürger eine Trasse suchen darf

Ein Zuschauer aus Stuttgart wendet ein, er habe zwar die Diskussion nicht von Anfang an verfolgt, merke aber, dass eine neue Umfahrung scheinbar keine bessere Lösung sei als die alte. Warum man dann nicht doch einen Tunnel in Betracht ziehen wolle? Klatschen im Saal. Eine Tunnelvariante gehe ja auch in die Machbarkeitsstudie ein, so die Antwort des Straßenbauamtes. „Es gibt allerdings Orte, die haben einen Tunnel nötiger.“

Wie berichtet, beläuft sich die geschätzte Investitionssumme der Südtrasse auf 6,6 Millionen. Schon die anderen beiden Trassen würden diese Kosten übersteigen, so das Straßenbauamt. Und natürlich sei auch ein Tunnel eine Kostenfrage. Aber der müsse außerdem beim Bund neu angemeldet werden. Bürgermeister Hartl beendete den Abend mit den Worten: „Jeder Bürger hat jetzt die Möglichkeit, eine Trasse zu finden. Das finde ich bärig.“

Er halte sich an den Gemeinderatsbeschluss: Man wolle einen Tunnel, sei aber offen für die bestmögliche Lösung des Verkehrsproblems.“ In der nächsten Gemeinderatssitzung wolle man die Trassenvarianten erneut abwägen und beraten, welche Lösung einen Sinn mache.

Die Raumwiderstandskarte mit den möglichen Korridoren ist übrigens ab heute im Laufe des Tages auf der Webseite des Staatlichen Bauamtes Rosenheim einzusehen.

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