Casting für Wohnungen am Tegernsee

Bezahlbaren und lebenswerten Wohnraum am See finden? Das ist wie im Lotto zu gewinnen. Besonders, wenn man ein Tal-Normalo ist, der ein Haustier oder gar mehrere Kinder hat. In Bad Wiessee versucht man, durch ein kommunales Unternehmen Abhilfe zu schaffen. Gelingt das?

Diese beiden Häuser in der Dr.-Scheid-Straße werden im Oktober bezugsfertig sein

Erschwinglicher Wohnraum im Tal ist rar gesät. Trotz oder gerade wegen der regen Bautätigkeit, die überall zu beobachten ist. Man muss nur die Baukräne zählen, die man von der Tegernseer Seeseite aus sehen kann.

Geht man aber im Internet auf die Portale des freien Immobilienmarktes, scheint es einen Baustopp für Wohnungen zwischen 40 bis 80 Quadratmeter zu geben. Meistens finden sich dort nur Luxusbehausungen, die normale Menschen nicht mal ansatzweise der Bauqualität entsprechend einrichten – geschweige denn die monatliche Miete aufbringen – könnten.

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Lange Zeit stiefmütterliches Dasein

Natürlich besteht auch in Bad Wiessee dieses Problem, auch wenn die Zeitschrift Capital noch im Januar 2017 verkündete:

Viele Immobiliensuchende wollen explizit nicht nach Wiessee, so die Erfahrung mehrerer Makler. Das zeigt sich auch in den Mieten. Selbst neuere Gartenwohnungen sind für unter 11 Euro den Quadratmeter zu bekommen.

Schön war die Zeit. Das ist selbstverständlich verkürzt ausgedrückt und in besagtem Artikel wird sehr wohl auf das Bad Wiesseer Luxuswohngebiet Abwinkl hingewiesen. Aber vor nicht einmal vier Jahren war Bad Wiessee noch die nicht ganz so tolle Schwester der anderen Talgemeinden – zumindest für den kommerziellen Wohnungsmarkt Tal.

Es geht bergauf am Westufer – auch mit den Mieten

2021 stellt sich die Situation schon anders dar. Heute ist der Mietspiegel deutlich über dem 2017 genannten Wert. Bad Wiessee schickt sich zudem an, mit mehreren Groß-Investorenprojekten und der Neugestaltung des Dorfkerns einen Platz in der ersten Reihe der Seeorte einzunehmen. Was aber im Rückschluss bedeutet, dass Neubaugartenwohnungen für unter 11 Euro pro Quadratmeter auch in Bad Wiessee Geschichte sind.

Seit 2015 will die Gemeinde dem sich abzeichnenden Trend bei der Mietpreisentwicklung mit dem Kommunalunternehmen Bad Wiessee (KUBW) entgegensteuern. Dieses hat seinen Sitz im Rathaus der Gemeinde und betreut die 180 Bestandswohnungen in 17 Objekten. Mieteinahmen gehen nicht in die Gemeindekasse, sondern verbleiben im Budget der KUBW.

Wir wollen es den Wiesseer Bürgern ermöglichen, im Ort bezahlbaren und trotzdem hochwertigen Wohnraum zu mieten. Deshalb hat die Gemeinde schon frühzeitig das Kommunalunternehmen Bad Wiessee gegründet. Neben Neubauprojekten steht für uns die Erhaltung und Renovierung von bestehendem Wohnraum ganz oben auf der Liste.

So beschreibt Bürgermeister Robert Kühn (SPD) das klare Ziel und zentrale Aufgaben der KUBW bei einer Pressekonferenz vergangene Woche.

Casting für 16 Wohnungen läuft an

Anlass für den öffentlichen Auftritt war die Mietersuche für ein Neubauprojekt in der Dr.-Scheid-Straße. Die beiden Häuser seien im Oktober bezugsfertig. Hierfür suche die Gemeinde 16 neue Mietparteien – bevorzugt aus Bad Wiessee, wie es heißt. Im Angebot sind Wohnungen mit zwei, drei und vier Zimmern, barrierefrei und alle mit Terrasse oder Balkon ausgestattet.

Die Nettokaltmiete für den neugeschaffenen Wohnraum liegt bei 12,50 Euro pro Quadratmeter, berichtet Kühn. Ein Stellplatz kostet 60 Euro zusätzlich. Was bei 80 Quadratmetern einer Warmmiete von zirka 1.200 Euro entspricht. Die durchschnittliche Nettokaltmiete in Wiessee liegt aktuell ungefähr zwischen 13 und 18 Euro. Wobei Vergleichswerte im Tegernseer Tal immer mit Vorsicht zu betrachten sind – auch hier geht die Schere sehr weit auseinander. Wer das nötige Einkommen hat, kann sich unter diesem Link bei der KUBW für eine der 16 Wohnungen bewerben.

Weitere Projekte in der Pipeline

Ob dieser Quadratmeterpreis nun geeignet ist, Menschen mit einem niedrigen oder mittleren Einkommen lebenswerten Wohnraum zu ermöglichen, wie der Bürgermeister es einschätzt, muss jeder selbst entscheiden. Die eigentliche Herausforderung für die KUBW lässt sich jedoch erst auf dem zweiten Blick erahnen.

Denn auf der gleichen Pressekonferenz wurde das neueste Bauprojekt vorgestellt. In der Hagngasse 45 und 47 soll bis 2024 wieder neuer Wohnraum geschaffen werden. Die Konzepte liegen vor.

Auf Einweihung folgt Abrißbirne

Dafür aber müssen die dort bereits bestehenden und bewohnten Häuser abgerissen werden. „Eine Sanierung lohnt sich laut Gutachten nicht mehr“, führt Thomas Lange, der seit letztem Jahr mit einer 30-Prozent-Stelle dem KUBW vorsteht und gleichzeitig Leiter des Hauptamts im Rathaus ist. Die 16 betroffenen Mieter seien bereits von der Gemeinde über den Abriss der Wohnungen unterrichtet worden. „Wir werden alle Mieter der Hagngasse 45 und 47 bei der Suche nach neuem Wohnraum begleiten und unterstützen. Das Recht auf Wohnen ist ein Grundrecht“, betont Bürgermeister Kühn nachdrücklich.

Doch fast immer, wenn die KUBW ein Neubauprojekt vorstellt, ist es gekoppelt mit dem Abriss von bestehendem Wohnraum. Zum Beispiel wurde 2018 das Haus in der Dr.-Scheidt-Straße 7, wo im Oktober die neuen Mieter einziehen sollen, abgerissen. Einige Mieter zogen in das Mehrgenerationenhaus in der Dr.-Scheid-Straße, das erste Neubauprojekt der KUBW, das im gleichen Jahr fertiggestellt wurde. Beim aktuellen Projekt wurden aus acht bestehenden Wohnungen 16 neue. Das Investitionsvolumen liegt bei 5,8 Millionen Euro. Der Gesamtbestand an kommunalen Mietwohnungen in Bad Wiessee ist seit der Gründung 2015 nicht angestiegen. Damals wurde die Anzahl mit rund 200 Wohnungen angegeben.

Sanierung erhöht Wohnstandard und Miete

“Wir sehen unsere Gemeinde in der Verantwortung, den von uns verwalteten Wohnraum nachhaltig, sozialverträglich und umweltbewusst zu gestalten”, erklärt Kühn. Deshalb sei es so wichtig, die bestehenden Objekte zu sanieren, erklärt er weiter. Die bisher sieben Sanierungsobjekte des Unternehmens werden aufwändig und teilweise energetisch umgebaut. Fünf Projekte sind bereits abgeschlossen. Doch auch diese baulichen Maßnahmen des KUBW führen unweigerlich zu einem Anstieg der bestehenden oft niedrigen Mieten.

“Wir werden bestimmt für unsere Projekte keine Architekten aus Italien oder Mexiko beauftragen”, sagt der Bürgermeister schmunzelnd und spielt damit auf den schon wieder verworfenen Plan eines örtlichen Milliardärs und Bauherrn an. Auch lokale und regionale Handwerksbetriebe bekämen, wenn möglich bei den Vorgaben des Ausschreibungsrechtes, den Vorrang bei der Vergabe. Laut Kühn ein weiterer Vorteil im kommunalen Wohnungsbau: Als Bauherr die Regeln bestimmen zu können, so der Bürgermeister abschließend.

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