Das Ende des Schreckens

Haltung sollte Kriegsverbrechen vergessen machen. Obwohl die SS-Division eine Blutspur bis zur Glashütte gezogen hatte, suchte man vergeblich nach Reue, sondern fand Selbstlob auf eine völlig sinnlose Kampfhandlung im Tegernseer Tal. Doch die Menschen wussten Bescheid. Sie ehrten ihren wahren Helden.

Vizekonsul Dr. Paul Frei mit seiner Gattin bei einer Beerdigung 1947 in Rottach-Egern.
Der Held des Tegernseer Tals: Vizekonsul Dr. Paul Frei mit seiner Gattin bei einer Beerdigung 1947 in Rottach-Egern.

Am Sonntag, den 6. Mai 1945, erging der letzte Befehl des SS-Oberführers Georg Bochmann. Vorausgegangen waren die mit den Amerikanern ausgehandelten Kapitulationsbedingungen für seine 17. SS-Panzergrenadierdivision Götz von Berlichingen. Am nächsten Tag sollten seine verbliebenen SS-Männer im tiefverschneiten Kreuther Tal den Weg in die Gefangenschaft antreten.

Dafür verlangte Bochmann, „dass das letzte geschlossene Auftreten der Division ihren bisherigen Kampfleistungen würdig ist. Der Anzug ist vorher in Ordnung zu bringen, Fantasieanzüge sind verboten. Durch straffe Haltung, Disziplin, Marschordnung usw. ist der ungebrochene Wille zum Aufbau eines neuen Deutschland kundzutun“. Bochmann wollte offenbar mit fliegenden Fahnen in die Gefangenschaft wandern.

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Abmarsch sollte am nächsten Tag, den 7. Mai, um 13:00 Uhr bei Glashütte sein. Bei Kreuth würde seine Division dann von der US-Armee in Empfang genommen werden. „Sammellager werden zunächst im Raum Tegernsee errichtet“, schrieb Bochmann, „Waffen und Fahrzeuge sind unzerstört mitzuführen“. Doch nicht alle hielten sich an Bochmanns letzten Befehl. Viele setzten sich vorher bereits ab und flohen über Almen und Berge.

Hilferuf von Rottachs Bürgermeister

Am Montag, den 7. Mai, richtete Rottachs neuer Bürgermeister Peter Schiffmann einen Hilferuf an die Befreier, die zwei Tage zuvor sämtliche Rathäuser besetzt hatten: Der Ort sei nicht mehr in der Lage, sich auch nun im Frieden aus eigenen Mitteln zu ernähren. „Durch die Evakuierten zählt heute die Gemeinde eine dreifache Belegschaft, dazu kommen noch hunderte Kinder, sowie einige tausend Kriegsgefangene“, schrieb Schiffmann an die „Besatzungsbehörde“.

Seit Wochen stocke jede Lebensmittelzufuhr. Seit 13. April erfolgte kein Transport mehr. Die Reserven der Gemeinde sind erschöpft. „Die Gefahr einer Hungersnot erfordert sofortige Abwehrmaßnahmen. Ist es der provisorischen Gemeindeverwaltung erlaubt, Fett, Kartoffel, Mehl, etc. aus der näheren und weiteren Umgebung zu holen?“, so der Bürgermeister.

Für die Militärregierung wurde die Versorgung der Bevölkerung zum größten Problem. Um eventuellen Plünderungen und Unruhen begegnen zu können, fragte Schiffmann die Amerikaner, „da die Ortspolizei nicht mehr ausreicht, ob Rottach aus einwandfreien Bürgern einen bewaffneten Selbstschutz bilden dürfe?“

Ausgedientes Kampfgerät bei Scharling vor der Weißachau zum Spielen und Posieren.
Ausgedientes Kampfgerät bei Scharling vor der Weißachau zum Spielen und Posieren.

In Kreuth und der Glashütte zeugte noch längere Zeit „eine Unmenge von zerstörten Lastwägen, Panzern, Geschützen und sonstigem Kriegsmaterial an den Straßenrändern, in den Straßengräben und freien Plätzen vom Ende des unseligen Krieges“, notierte Pfarrer Wilhelm Englmann in Kreuth. Auch an der damaligen Straße über Scharling türmten sich noch lange die Hinterlassenschaften der SS-Panzergrenadier Division. Vielfach nutzten die Kinder Panzer als Turngeräte.

Als Vertreter des verbliebenen Oberkommandos der Wehrmacht unterzeichnete Generaloberst Alfred Jodl am 7. Mai 1945 im Westalliierten Hauptquartier in Reims die bedingungslose Kapitulation. Sie trat am 8. Mai 1945 um 23 Uhr in Kraft. Als an diesem Tag die Waffen endlich schwiegen, versank das tausendjährige Nazi-Reich in einem Meer aus Blut und Tränen. Mehr als 60 Millionen Menschen in Europa waren tot. Gefallen an der Front, ermordet in Konzentrationslagern, verbrannt in Bombennächten, gestorben an Hunger, Kälte und Gewalt auf der großen Flucht.

Dr. Paul Frei wird Ehrenbürger

Nach seiner erfolgreichen Friedensmission schrieb Vizekonsul Dr. Paul Frei an seine Vorgesetzten in der Schweiz: „Ich persönlich bin glücklich, in Erfüllung einer humanitären Pflicht, wahrscheinlich vielen Menschen das Leben gerettet zu haben“.

Tegernsees kommissarischer Bürgermeister Otto Stiegler dankte Frei für seinen „bewundernswerten Einsatz zur Erhaltung unseres Tales. Dieser Dankbarkeit Ausdruck zu geben, ist der Wunsch von uns allen. Mit uns danken Ihnen die vielen Verwundeten, die vielen Mütter, Kinder und Flüchtlinge, die sich alle in den Schutz unserer Berge und Gemeinden gerettet haben“.

Rottach-Egern verlieh Paul Frei das Ehrenbürgerrecht. Zur Erinnerung an seinen humanitären Einsatz steht Freis Büste im Rathaus. Dank des Schweizers ist dem Tal trotz aller Kriegswirren viel Leid erspart geblieben. Ende Mai zogen die US-Streitkräfte aus dem Tegernseer Tal ab. Geblieben war die Not der Menschen nach Kriegsende.

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