Das Ministerium für Moral im Tal

Darf man das als Kommunalpolitiker, oder ist das unangebracht? Die Aktionen des Rottacher Bürgermeisters Christian Köck und von Gemeinderat Hermann Ulbricht auf Facebook sorgten diese Woche für ein wenig Aufregung im Tal.

Ein Kommentar über die Reaktion der Öffentlichkeit, Moral und Scheinheiligkeit der Medien.

Das Selfie von  Gemeinderat Hermann Ulbricht vor der Berliner Holocaust-Gedenkstätte  sorgte diese Woche für Aufregung. Bild: Hermann Ulbricht
Das Selfie von Gemeinderat Hermann Ulbricht vor der Berliner Holocaust-Gedenkstätte sorgte diese Woche für Aufregung / Bild: Hermann Ulbricht

Bereits Ende August postete der Rottacher Bürgermeister Christian Köck ein Video, wie er sich Eiswasser über den Kopf schüttet, auf Facebook. Sinn dieser „Ice Bucket Challenge“ ist es, der Krankheit ALS zu Aufmerksamkeit zu verhelfen und Spenden für ihre Erforschung zu sammeln.

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Das Problem: Köck leitete die Aktion scherzhaft mit den Worten „Water-Boarding made in Oberach“ ein und verglich sein Handeln damit mit einer grausamen Foltermethode. Dann wurde ein Selfie von Gemeinderat Hermann Ulbricht vor der Holocaust-Gedenkstätte in Berlin öffentlich. Im Anschluss daran mussten die Beiden dafür einige Kritik einstecken. Zu recht?

Wenn der Bigotterie-Blitz einschlägt

Es gibt eine Formel für Deutschland: Einer macht etwas Ungewöhnliches, multipliziert das mit digitaler Aufmerksamkeit und Verbreitung. Das ergibt: Zeter und Mordio von zehn anderen. So wie in vielen Online-Diskussionen nach wenigen Minuten der Nazivergleich aufkommt, mögen wir gern andere moralisch be-, aber vor allem verurteilen. Das hält uns frisch und sorgt für freien Blick auf dem hohen Sockel.

Jetzt schlug gleich zweimal der Bigotterie-Blitz am Tegernsee ein. Zwei Treffer gab es für den Frischlings-Bürgermeister Christian Köck. Der gießt sich Eiswürfel über den Kopf (hatte in seinem Leben sicher schon bessere Ideen, aber wer nicht?) und kündigt dies mit dem heiklen Vergleich „Water-Boarding made in Oberach“ an. Das eine kann man machen, das andere ist ein Verrutschen des Bildes, des Vergleichs. Kann passieren, muss nicht sein. Aber ist kaum mehr als zwei Sätze wert. In der Regel hat man daheim jemanden sitzen, der einem das ordentlich einordnet.

Aber für andere ist es ein feiner Grund, mal aus dem Hobbykeller die Moralkeule zu holen. Zeigen, was für ein belesener Mensch man ist. Für ein paar Kommentarminuten auch ein Gefühl der moralischen Überlegenheit haben, ist fast so gut, wie zum Klassensprecher gewählt zu werden. Zudem werden solche Themen von manchen Medien auch gerne zu Zeiten des Sommerlochs „bespielt“. Der Deutsche nimmt gern übel. Und gern auch im Sommer, wenn außer einer weltweiten Militärgefahr, einem existenziell bedrohenden Terror, ja sonst nichts los ist.

Viel Aufregung um ein Selfie

Der dritte Blitz schlug bei Gemeinderat Hermann Ulbricht ein. Der Bayer, auf Besuch in der großen Stadt, stellt sich vor das Holocaust-Denkmal und knipst sich selbst. Dieser Vorgang nennt sich neudeutsch „Selfie“. Das wäre gerade noch in Ordnung. Aber der geschichtsvergessene Polit-Tourist hat gegrinst. Und Lächeln heißt, sich lustig machen. Klingt wie ein Satz der Dominikaner: „Lächeln heißt, zum Teufel beten.“ Die Minister für Moral gackern und fordern ernste, nein, mehr noch, traurige Gesichtszüge. Oder am besten: gar kein Gesicht dazu.

Diese Gesichtsetikette ist natürlich nirgendwo nachzulesen. Sie entsteht in den müden Köpfen jener, die gern andere auf dem moralischen Exerzierplatz antreten lassen. Aufregung statt Argument. Meckern statt Milde. Und zu diesem Formaldienst auf dem Platz gehört auch das schuldbewusste Zähneknirschen der Sünder. Rechtzeitig den Kopf vor den Benimm-Beamten gesenkt, schützt vor Shitstorms anonymer Foristen oder den moralinsauren Ergüssen sommerlochgeplagter Zeitungsmacher.

Trotz allem stünde es den Politikern einfach gut, wenn sie den Rücken gerade machten und sagten, was die Allermeisten denken: Lasst mal die Luft raus, ihr Moralwindbeutel, wischt Euch den Geifer vom Maul und kümmert Euch um Wichtigeres!

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