Video-Vorreiter pausiert nach Datenschutzproblemen

Manchmal geht es einen Schritt vor und zwei zurück: Noch im November hatten wir über Seelbach, eine Gemeinde im Schwarzwald berichtet, die erfolgreich Liveberichte aus ihrem Gemeinderat ins Internet übertragen hatte.

Schüler der Realschule hatten die Aufgabe für ein jährliches Budget von 5.000 Euro übernommen. Alle hatten Spaß und es war ein großer Schritt hin zu mehr Transparenz in der Lokalpolitik. Ähnliches wünschen sich manche auch für das Tegernseer Tal.

Letzte Woche war auf der Webseite der Gemeinde Seelbach dann aber – sehr überraschend – folgendes zu lesen:

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Die Übertragung von öffentlichen Sitzungen des Gemeinderats Seelbach in das Internet („Seelbach TV“) muss auf Betreiben des Landesbeauftragten für den Datenschutz (LfD) ab sofort eingestellt werden. Nach Ansicht des LfD entspricht das Gemeinderatsfernsehen „SeelbachTV“ nicht dem Landesdatenschutzgesetz und er beanstandete dies in zwei an die Gemeinde gerichteten Schreiben.

Jörg Klingbeil, der oberste Datenschutzbeauftragte des Landes Baden-Württemberg sieht das Recht zur freien Meinungsäußerung der Gemeinderäte gefährdet. Mit ähnlichen Argumenten wurde auch das Verbot jeglicher Liveberichterstattung in den fünf Talgemeinden begründet.

Außerdem gebe es laut Klingbeil “nichtherausgehobene” Mitarbeiter, wie Sachbearbeiter der Verwaltung, referierende Architekten oder sprechende Bürger, die generell nicht gefilmt werden dürfen, Und zwar unabhängig davon, ob die Beteiligten, wie in Seelbach, ihr Einverständnis gegeben haben oder nicht.

Das Recht am eigenen Wort und Bild wird in diesem Fall vom Staat wahrgenommen und nicht von den einzelnen Personen. Obwohl Übertragungen aus großen Parlamenten ins Fernsehen die Regel sind, sieht das für kleine Gemeinden nach Ansicht des Datenschützers anders aus

Der Gemeinderat „als Kollegialorgan ist ein Verwaltungsorgan der Gemeinde und kein Parlament im staatsrechtlichen Sinne“, schreibt Klingbeil in seinem aktuellen Tätigkeitsbericht. Deshalb helfe der Vergleich mit einer Übertragung aus dem Parlament nicht weiter.

Fraktionsübergreifend zeigten sich die Gemeinderäte in Seelbach erschüttert über die Entscheidng. “Ein Witz“, “Mit normalem Verstand nicht zu erklären” oder “Verbieten wir der Presse demnächst auch zu berichten?“, waren die Kommentare gegenüber der lokalen Zeitung. Der Bürgermeister Thomas Schäfer fasst es so zusammen:

„Es ist sehr schade, dass das interessante und überaus erfolgreiche Projekt „Seelbach TV“ jetzt abgebrochen werden muss, obwohl wir bisher nur positive Rückmeldungen, keine einzige Beschwerde und viel Lob erhalten haben.

Die Gemeinde Seelbach wollte stets nur die Bürgerinnen und Bürger am kommunalpolitischen Willensbildungsprozess teilhaben lassen, wie dies von Politik, Bürgerschaft und Medien immer verstärkt gefordert und gewünscht ist. Das ist uns in den letzten Jahren gelungen. Wir werden nun den Landesgesetzgeber bitten, die rechtlichen Grundlagen zu schaffen, damit wir das bisher erfolgreiche Projekt in der Zukunft wieder aufnehmen können.“

Positives Gegenbeispiel aus Pfaffenhofen

Trotz allem gibt es aber auch immer wieder positive Beispiele, wie Gemeinden mit mehr Transparenz den Bürgern gegenüber agieren möchten. Anfang Februar hat sich mit Pfaffenhofen auch die erste bayerische Gemeinde dazu entschieden dauerhaft alle Sitzungen öffentlich zu übertragen.

Außerdem veröffentlicht die Gemeinde seit April letzten Jahres alle Beschlussvorlagen, Beschlussfassungen und Sitzungsprotokolle im Internet.

In der 24.000-Einwohner-Gemeinde geht man für die Liveübertragung einen spannenden technischen Schritt, der auch Datenschutzbeauftragte zufriedenstellen könnte:

Mit Rücksicht auf gewisse Bedenken einiger Stadträte wird die Technik aber so eingerichtet, dass die Räte nicht ständig im Bild sind, sondern das Übertragungsbild grundsätzlich auf das Podium mit Bürgermeister, Verwaltung und Leinwand ausgerichtet wird und die Stadträte nur bei Wortmeldungen ins Bild kommen: Erst wenn ein Stadtrat den Mikrofonknopf betätigt, wird die Kamera automatisch auf diesen Sprechplatz ausgerichtet. Da sich immer zwei Stadträte ein Mikrofon teilen, sind dann beide Personen im Bild. Während der Umschaltzeiten zwischen den Rednern ist das letzte Bild des Vorredners kurz – für maximal drei Sekunden – eingefroren. Da keine Kameraschwenks übertragen werden, ist sichergestellt, dass nur aktive Redner zu sehen sind.

Wie man auch mit einem Nein zu Video- oder Tonaufnahmen aus den Sitzungen offen umgehen kann, zeigte sich letztens in Heilbronn. Im Vorfeld der Entscheidung gab es einige Diskussionen und Meinungen, die die Stadtredaktion.de, ein Heilbronner Onlinemedium, eingefangen hat:

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Mehr Informationen

Gerade der im Video angesprochene Punkt der Politik- und Politikerverdrossenheit sollte für die Verantwortlichen eigentlich schon Grund genug sein, über Veränderungen ernsthaft nachzudenken.

Ein offener Umgang mit dem eigenen Handeln, den Entscheidungen und das Verfügbarmachen von Informationen kann eine neue Vertrauensbasis zwischen Wähler und Politik herstellen. Das alleine sollte das ureigenste Interesse der Politik sein. Am Tegernsee genauso wie in den großen Parlamenten.

Mehr zum Thema gibt es auf dem Politblog [x Politics]. Dort geht es um Trends und Bewegungen, die fernab der parteipolitischen Tagesagenda die gesellschaftliche Zukunft gestalten und verändern.

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