Überall wachsen neue Bauten am Ufer des Tegernsee. Tradition verschwindet. Stattdessen: Architektur-Tristesse aus der Konserve. Überall? Nicht in Altwiessee. Hier kommen zehn Höfe unter Denkmalschutz. Kein Platz für Spekulanten?
Erhaben thronen die Höfe auf dem Hügel. Hier lebte und starb man über Jahrhunderte in Wiessee, ehe es sich nach Süden und Norden ausdehnte, den Bäder-Titel im Namen bekam. Der Rest war über Jahrhunderte Sumpf, Wald und Wiesen.
Altwiessee ist der Kern. Hier am Dorfplatz 1 gab es das erste Telefon. Nun werden die zehn Höfe, von denen in fünf noch Landwirtschaft betrieben wird, besonders geschützt. Kreisbaumeister Christian Boiger verkündete die frohe Botschaft in der jüngsten Gemeinderatssitzung in Bad Wiessee. Der gesamte Bereich um den Dorfplatz wird vom Denkmalschutz als schützenswertes Ensemble bewertet. Das hat erhebliche Folgen für jedwede bauliche Veränderung dort.
Beim Begriff “Ensembleschutz” geht es um die Erhaltung einer Gruppe von Gebäuden, die aufgrund ihres Zusammenspiels als erhaltungswürdig erachtet und geschützt werden sollen, z. B. ein Ortskern, ein Platz oder eine Klosteranlage.
Der Gesetzgeber sagt dazu: “Innerhalb eines Ensembles bedarf die Veränderung oder Beseitigung eines jeden Einzelelementes einer Erlaubnis nach Art. 6 und 7 des BayDSchG (= fachliche Abstimmung von Maßnahmen an Bau- und Bodendenkmälern) auch dann, wenn solche Maßnahmen ansonsten nach der Bauordnung genehmigungsfrei wären. Dies gilt auch für Maßnahmen energetischer Verbesserungen von einzelnen Gebäuden oder die Anbringung von Anlagen zur Energiegewinnung (Solarmodule).”
Und schützenswert ist dieses Ensemble in der Tat, repräsentiert es doch wie fast nirgendwo mehr im Tal eine zusammenhängende bäuerlich-bauliche Tradition von fast einem halben Jahrtausend. Es wäre also eine Bereicherung für den Ort, für das Tal. Aber Denkmalschutz markiert eben auch Grenzen für die Bewohner des Ensembles. Und deren Euphorie hält sich zuweilen in Grenzen. Was darf ich fortan noch an meinem Hof ändern? Dürfen Photovoltaikanlagen auf die Dächer gebaut werden? Das waren die Fragen, die auch in der jüngsten Gemeinderatssitzung zur Sprache kamen. Das Landratsamt beruhigt: “der bauliche Charakter des Ortsteils Altwiessee mit seinen teils hunderte Jahre alten Bauernhöfen sollte nach Ansicht der unteren Denkmalschutzbehörde unbedingt erhalten werden.” Die Höfe in Kombination – wortwörtlich also das „Ensemble“ – sind gemeinsam so schützenswert, sie sind nicht ortsbildprägend. Kreisbaumeister Boiger spricht in diesem Zusammenhang von der “Herzkammer” des Ortes.
Aber, so betont es das Landratsamt in einem Schreiben an die TS: “Dies bedeutet aber nicht, dass keine Veränderungen mehr möglich sind. Für jede bauliche Veränderung braucht es mit und ohne Ensemble-/Denkmalschutz einen Bauantrag und ein Verfahren bei der bzw. eine Genehmigung durch die Baubehörde. Beispielsweise sind auch Solar-/Photovoltaikanlagen weiterhin möglich. Ziel des Ensembleschutzes ist es, den gemeinsamen Charakter zu erhalten und nicht beispielsweise durch ortsuntypische Bauten oder massive Bebauung zu verändern.”
Nun firmieren in diesem Areal (siehe Foto) bereits Höfe unter dem Denkmalschutz, teils liebevoll und detailreich erhalten, teils noch perspektivisch restaurierungsbedürftig wie am südlichen des Areals der Fischerhof. Letzterer war lange Zeit im Fokus verschiedener Investoren, die den Hof, der direkt über dem Seeufer thront und damit eine nahezu perfekte Lage für einen Bauspekulanten bietet, gern der Eigentümerin abgekauft hätten. Der Ensembleschutz könnte einem möglichen Bauherrn (oder Baufrau) noch weitere, enge Grenzen setzen. Eine Architektur-Sünde, wie der Neubau an der Seestraße, nur einen Steinwurf vom Altwiessee-Dorfplatz entfernt, wäre nicht möglich.
Der Landkreis bemüht sich schon seit Jahren, wesentliche Bereiche unserer Heimat vor dem Zugriff diverser Spekulanten zu schützen. Der Ensembleschutz gilt z.B. für das Areal Wildbad Kreuth und soll, so der Wille des Kreisbaumeisters Christian Boiger, auch um das Forsthaus Valepp in Kraft treten. Wichtig ist den Denkmalschützern, dass die Bürger mitgenommen werden, und nicht das Gefühl gewinnen, etwas werde über sie gestülpt. Bürgermeister Robert Kühn plant auch deswegen einen Ortstermin mit Boiger und dem Gemeinderat in Altwiessee.
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