Die Angst vor der Großstadt

Der Landkreis befindet sich am Scheideweg: Wählt man das große Geld der Investoren oder behütet man die Landschaft vor weiteren Großbauten?

Daran reiben sich die Bürger – besonders im Tegernseer Tal. Das Thema hat Brisanz. Doch worüber wir heute diskutieren, sah ein Altlandrat schon vor 60 Jahren kommen.

Wie viel Beton verträgt das Tegernseer Tal?
Wie viel Beton verträgt das Tegernseer Tal?

„Aus dem Landkreis darf keine Großstadt werden, weil dadurch die Fremden abgestoßen würden. Gewisse Geldgeber von weiß Gott woher investieren ihr Kapital in unserer Gegend und bedrohen die Existenz unseres Fremdenverkehrsgebietes…“, da wusste man im Tegernseer Tal, wer gemeint war. Denn hier in Tegernsee ist in den letzten Jahrzehnten eine Be- und Verbauung der einzigartig schönen Landschaft in größtem Ausmaß erfolgt.

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Dies ist aktueller denn je. Doch der Artikel erschien bereits am 11. März 1954 in der Wochenzeitschrift „Die Zeit“. Es hat sich also an der Bauwut im Tegernseer Tal nichts geändert, trotz aller Warnungen von damals bis heute. Die düsteren Sätze stammen vom damaligen Landrat Anton Bauer (Landrat von 1952 – 1955), der diese Prophezeiungen bereits vor 60 Jahren im Kreistag aussprach:

Allein von 1946 bis 1953 hat sich die Zahl der Bauvorhaben durchschnittlich verdreifacht und in einigen Orten am See ist weiter eine ansteigende Tendenz zu beobachten.

Diese Entwicklung wurde von manchen mit Genugtuung, von anderen aber mit großer Besorgnis verfolgt. Nur in puncto Naturschutz war mit Landrat Bauer nicht zu spaßen. Er hat schon Anfang der 50er-Jahre in ganz Bayern von sich reden gemacht: Damals hat er auf eigene Faust 250 landschaftsverschandelnde Reklametafeln an den Straßen zwischen Bayrischzell und Tegernsee kurzerhand umreißen und wegfahren lassen. Auch jetzt, so „Die Zeit“ 1954, griff er das heiße Eisen Tegernsee resolut an: Er ließ „zur Sicherung der Existenz des Tegernseer Tales als Fremdenverkehrsgebiet für kommende Generationen“ den Tegernsee mit Umgebung unter das Landschaftsschutzgesetz stellen.

Wie weit darf Naturschutz gehen?

Er wollte damit „dem Land einen entscheidenden Liebesdienst erweisen“ – aber da geschah, was er wohl nicht erwartet hatte: Die Bürgermeister der Gemeinden um den Tegernsee forderten in einer Protestresolution an die Regierung die Aussetzung dieser Anordnung. „Wir bejahen zwar den Naturschutzgedanken“, sagten sie, „aber wir glauben, selbst zu wissen, wie weit der Naturschutz gehen darf.“

Ein Landtagsabgeordneter, den man zur Stärkung der Position zuzog, sprach gar davon, dass der Landschaftsschutz praktisch einer „Aufhebung des verfassungsmäßig garantierten Privateigentums“ gleichkomme, denn die Staatsbürger müssten „Erwerb aus der ihnen gehörenden Natur ziehen können“ und kein Gesetz dürfe in die wirtschaftliche Sphäre der einzelnen Privatpersonen eingreifen.

Hier wird der reale Hintergrund des Protestes sichtbar, und hier scheiden sich die Geister. „Freien Erwerb aus der Natur“ fordern die einen, der Landrat aber fragt, wie man beispielsweise das Verbauen landschaftlich wertvoller Punkte verhindern solle, wenn man keine gesetzliche Grundlage besitze. Etwa durch gütliches Zureden oder durch Appell an den Gemeinsinn? Aber um den Tegernsee koste der Quadratmeter Baufläche 16 bis 17 Mark, und es sei daher nach menschlichem Ermessen zu befürchten, dass die meisten Grundbesitzer sagen würden:

„Soll ich auf 50.000 oder 60.000 Mark verzichten um der Landschaft willen?“

Damit ist eine Situation entstanden, deren Lösung vom gesamten bayerischen Fremdenverkehrsgebiet mit größter Spannung verfolgt wird. Denn die Regierung von Oberbayern wird nun zu entscheiden haben, ob man wegen eines vielleicht verständlichen Nahzieles (nämlich möglichst ungehemmter wirtschaftlicher „Aufschwung“ der Fremdenverkehrsorte) ein wünschenswertes Fernziel (nämlich Erhaltung der landschaftlichen Schönheit als Existenzgrundlage für spätere Generationen) aufgeben soll und darf.

Anmerkung der Redaktion: Der Artikel ist aus der „Zeit“ vom 11. März 1954 und wurde nur am Anfang etwas verändert.

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