Die Eier legende Wollmilchsau

Drohnen, die das neue Paar Schuhe innerhalb von Minuten liefern. Lokale Einzelhändler, die an Kunden in die ganze Welt verschicken. Eine Generation, die lieber mietet statt zu kaufen.

Glaubt man den Visionären der Deutschen Post, wird sich der lokale Handel in den kommenden zehn Jahren radikal verändern müssen. Auch im Tegernseer Tal.

Die Deutsche Post sieht die Zukunft im Onlinehandel
Die Deutsche Post sieht die Zukunft im Onlinehandel.

Unter dem Titel “Global E-Tailing 2025” (hier gibt es das Dokument als PDF) hat die Deutsche Post DHL eine Studie zu den Veränderungen im Handel der kommenden zehn Jahre veröffentlicht. Erwartungsgemäß sieht die Post großes Potential im Onlinehandel und dadurch steigende Paketlieferungen – ihr Kernbusiness. Auch wenn die Studie sicher nicht zu 100 Prozent objektiv ist, sind die Visionen des weltgrößten Logistikunternehmens auch für Händler im Tegernseer Tal spannend.

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Eine der Kernthesen der Studie ist, dass der Onlinehandel und der stationäre Handel in Zukunft miteinander verschmelzen werden. Händlern, die diese Entwicklung verschlafen, prognostizieren Experten daher kaum Zukunftschancen. In der Handelsbranche hat sich für diese Entwicklung längst ein Fachbegriff etabliert: Omnichannel-Handel.

Marktplätze setzen sich zunehmend durch

Darunter versteht man die Verknüpfung aller Vertriebswege: Ladengeschäft, Verkauf über Apps und die eigene Webseite und die Präsenz auf übergreifenden Webseiten, sogenannten Marktplätzen. Diese Marktplätze können, wie in Bad Wiessee mit dem Marktplatzl bereits geschehen, lokal verwurzelt sein oder einzelne Branchen umfassen. Farfetch.com ist beispielsweise ein Branchenmarktplatz, der international für Aufsehen sorgt.

Anders als die Wiesseer Einzelhändler, die den lokalen Verbund suchen, haben sich auf Farfetch rund 300 Nobelboutiquen aus der ganzen Welt zusammengeschlossen. Für den Kunden bieten sie, neben ihren lokalen Geschäften, einen einheitlichen Onlineshop mit gigantischer Auswahl. Geliefert wird anschließend von der Boutique, die das Produkt im Sortiment hat. Etwa 30 Prozent ihres Umsatzes machen die angeschlossenen Unternehmen inzwischen online.

Andere Anbieter sind kleidoo.de, ein Marktplatz für Bekleidungsgeschäfte aus Deutschland oder Cap d’Oro, ein Zusammenschluss von Schmuck- und Uhrenhändlern. Der Ansatz ist bei allen Anbietern der Gleiche: Dem Kunden ein umfassendes Sortiment bieten, das jedes einzelne der Mitgliedsunternehmen nicht bieten kann. Abgewickelt werden die Onlinebestellungen von den lokalen Händlern. Auch rund um den Tegernsee gibt es noblen Schmuck und Modehändler, für die solche Konzepte einen zweiten Blick wert sind.

Lieferung in wenigen Stunden wird zum Standard

Was sich in der Branchensprache “Same-Day-Delivery” nennt, ist bereits in mehreren deutschen Großstädten Realität: Die Lieferung von online bestellter Ware innerhalb weniger Stunden. Der amerikanische Universalversender Amazon bietet den “Evening Express”, bei dem Bestellungen vom Vormittag noch am gleichen Abend eintreffen, Media-Markt und Saturn testen in sieben Städten die Lieferung innerhalb von nur drei Stunden. Bis Jahresende sollen 18 weitere Städte hinzu kommen.

Auch wenn diese Blitzlieferungen heute noch einiges an Aufschlag kosten, bei Media-Markt beispielsweise 10 Euro, wird die radikale Verkürzung der Lieferzeit den Handel gewaltig umkrempeln. Das Hauptargument “beim Händler um die Ecke habe ich es schneller”, ist damit womöglich auch am Tegernsee bald hinfällig. Es ist nur ein Frage der Zeit, bis die Express-Kosten sinken oder schlicht in die Produktpreise mit eingerechnet werden.

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Die Lieferung per Drohne, wie sie einige Anbieter in den letzten Monaten angekündigt hatten, darf man aktuell noch als geschickte PR betrachten. Rund um den See wird zumindest sobald keine landen. Für eine zeitnahe Umsetzung fehlt es an technischen Möglichkeiten und vor allem auch an gesetzlichen Grundlagen. Ein Teil der Post-Vision ist es dennoch und auch in den USA testen verschiedene Anbieter die Möglichkeiten.

Um die schnellen Lieferungen möglich zu machen, sind aber auch große Onlinehändler, gerade in ländlichen Gebieten wie hier, auf Unterstützung durch Einzelhändler angewiesen, die näher am Kunden sind. Ähnlich wie im Szenario der Marktplätze ist ein Zusammenschluss verschiedener Anbieter denkbar. Denn egal, wo online bestellt wird: Am Ende zählt für eine schnelle Lieferung die Nähe zum Kunden.

Teilen und mieten vor kaufen und besitzen

Der Trend weg vom Besitz und hin zur Nutzung bei Bedarf ist inzwischen vor allem in Großstädten zu beobachten. Den Vorreiter machen Car-Sharing-Anbieter. Studien zufolge verliert das Auto gerade bei jungen Menschen zunehmend den Charakter des Statussymbols. Anstatt viel Geld für den Kauf auszugeben, wird es gemietet, wenn es gebraucht wird.

Ähnliche Modelle gibt es längst unter dem Begriff “Share-Economy” für alle möglichen Produkte des Alltags: Bohrmaschinen, Gasgrills, Fahrräder, selbst Designer-Kleidung und Handtaschen gibt es zu mieten. Das wird langfristig auch Auswirkungen auf den Handel haben. Viele Produkte werden in Zukunft nicht mehr verkauft, sondern vermietet oder im Leasing überlassen. Teilweise von Privatpersonen untereinander, aber auch von gewerblichen Anbietern.

Verschmelzung von On- und Offlinehandel, Lieferung nach Hause noch am selben Tag, clevere Miet- und Leasingangebote. Die Herausforderungen, die auf traditionelle Einzelhändler auch am Tegernsee in den kommenden Jahren zukommen, sind enorm. Initiativen, wie das Marktplatzl Bad Wiessee, der Tegernseer Kreis oder andere Zusammenschlüsse, sind in Zukunft wichtiger denn je. Als Einzelkämpfer werden viele diesen Wandel zur Eier legenden Wollmilchsau nicht stemmen können.

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