“Die Leute rennen uns die Tür ein”

Unser baldiger Kanzler Olaf Scholz hat sich klar positioniert. Er stimme, so hat er es formuliert, für eine allgemeine Impfpflicht. Zudem wird gerade über einen erneuten Lockdown diskutiert. Wir haben einen Politiker und einen Arzt nach ihren Positionen dazu befragt.

Dr. Thomas Straßmüller und Bürgermeister Robert Kühn über eine Impfpflicht

Robert Kühn, Bürgermeister aus Bad Wiessee, hat sich in den letzten Monaten sehr aktiv um Impfangebote in Bad Wiessee gekümmert. Dr. Thomas Straßmüller, Arzt aus Gmund und medizinischer Leiter des Impfzentrums Hausham, kämpft seit einem Jahr für eine hohe Impfquote im Landkreis.

Ein Politiker. Ein Arzt. Wie stehen Sie zu einer allgemeinen Impfpflicht?

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Dr. Straßmüller: Ich war immer dagegen. Als Arzt und Individualmediziner gibt es wohl Weniges, das mir mehr widerstrebt als ein verpflichtender medizinischer Eingriff. Wir haben seit fast einem Jahr viel Zeit und Energie darauf verwendet, Entscheidungen zur Corona-Impfung im Einklang mit den Patienten zu treffen.

Aber es gibt auch einen anderen Betrachtungswinkel: Wir haben eine neue Situation, haben ansteckendere Varianten als noch vor einem Jahr, und die Unentschlossenheit einer Minderheit kostet derzeit viele Menschenleben, gefährdet wirtschaftliche Existenzen und die psychische Gesundheit vieler Kinder und Jugendlicher. Es sieht leider so aus, als wäre eine Impfpflicht ein vernünftiger Weg heraus aus dieser Dauerschleife.

Robert Kühn: Wir befinden uns mitten in einer weltweiten Pandemie. Solche eine Situation hat kein lebender Mensch bisher erlebt. Das ist Fakt, und das ist in meinen Augen eine unvorstellbare Dramatik. In einer Demokratie gilt immer der Schutz der Schwächsten als oberste Handlungsmaxime.

Das heißt jetzt konkret?

Robert Kühn: Wir müssen dafür sorgen, dass die vulnerablen Gruppen geschützt werden. Dies kann nur durch eine höchstmögliche Impfquote sichergestellt werden. Diese ist augenscheinlich zu gering und daher muss gehandelt werden. Ich bin ganz klar für eine Impfpflicht.

Was halten Sie beide von einem erneuten Lockdown?

Robert Kühn: Von einem erneuten Lockdown halte ich nichts. Allerdings muss die vollkommene Überlastung der Krankenhäuser unbedingt verhindert werden. Sollte es nötig sein, so müssen wir wieder in einen weiteren Lockdown gehen.

Und Sie, Dr. Straßmüller? Ich erinnere mich noch an Ihre Aussage im Podcast zu Beginn der Impfaktion…

Dr. Straßmüller: Wir hatten hier in Deutschland nie einen Lockdown. Dieser sollte auch nur in extremen Notlagen erfolgen. Die Kolleginnen und Kollegen aus dem Krankenhaus wünschen sich jedoch Kontaktbeschränkungen, um wieder durchatmen zu können, um Handlungsspielraum zu erlangen. Vor diesem Winter hatten wir uns vorgenommen auszuloten, auf welchem Inzidenzniveau man das Infektionsgeschehen bei einer teilgeimpften Bevölkerung laufen lassen kann. Bei 1000/100 000 Einwohnern sicher nicht. Bei 450/100 000 Einwohnern vielleicht schon eher. Meine Theorie zu den gesunkenen Inzidenzen ist übrigens, dass die Menschen im Landkreis ihr Verhalten in den letzten Wochen tatsächlich geändert haben.

Wie zufrieden sind Sie, Herr Kühn, mit den Impfmaßnahmen im Landkreis, hätten Sie Verbesserungsvorschläge?

Robert Kühn: Ich bin überhaupt nicht zufrieden. Wir hätten schon im Sommer viel stärker und eindeutiger zeigen müssen, wie wichtig die Impfung ist. Politiker, die Kirchen, Personen des öffentlichen Lebens hätten hier im Landkreis viel mehr dafür eintreten müssen.

Das ist ganz hübsch, aber hätte das gereicht? Sie haben ja brav im Sommer mit Uli Hoeneß Würstchen angeboten.

Robert Kühn: Die Impfzentren hätten nicht zurückgefahren werden dürfen. Die mobilen Inmpfteams hätten viel früher anfangen können, die Auffrischungsimpfungen zu verteilen. Jetzt gilt es so viele wie mögliche unterschwellige und leicht erreichbare Impfangebote anzubieten und als Verantwortliche klar Stellung zu beziehen. Dies möchte auch ich nochmals in aller Deutlichkeit tun: Es sterben täglich Menschen an dem Virus. Das muss nicht sein. Es hilft kein Hokuspokus, sondern nur die Impfung.

Das sehen Sie auch als Impfarzt für den Landkreis vermutlich anders, Herr Dr. Straßmüller?

Dr. Straßmüller: Die Impfmaßnahmen im Landkreis gehen gut voran. Die Leute rennen uns die Tür ein. Das Impfzentrum läuft auf 100 Prozent, in Hausham und den Außenstellen Bad Wiessee, Holzkirchen und Irschenberg. Rottach-Egern ist dem Beispiel von Bad Wiessee gefolgt und hat uns das Seeforum zur Verfügung gestellt. Auch die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte impfen sehr eifrig.

Hier haben wir für Dezember zusätzlich die Aktion Booster-Advent ausgerufen, bei der viele Praxen samstags öffnen, um zu impfen. Der evangelische Pfarrer Weber hat uns die Rottacher Kirche zum Impfen angeboten. Wir stehen erneut vor einer veränderten Situation: Das Nadelöhr ist momentan tatsächlich die Kontingentierung des Impfstoffs von BioNTech. Hier können die Bürger über 30 Jahren helfen, indem sie den Impfstoff von Moderna zum Boostern wählen. Dieser ist momentan noch leichter verfügbar und nicht schlechter als der von Pfizer/BioNTech.

Lieber Dr. Straßmüller, lieber Bürgermeister Kühn, wir danken Ihnen für das Gespräch.  

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