Das Tegernseer Tal verdankt seine Rettung in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges einem roten Kreuz auf weißem Grund und einem weißen Kreuz auf rotem Grund: Es war das rote Kreuz des Schweizers Henry Dunant, das auf den Dächern der Tegernseer Reserve-Lazarette und Kliniken aufgemalt war, und es war das weiße Kreuz der Schweizer Fahne am Wagen des Vizekonsuls Dr. Paul.
Dank dieser beiden Symbole konnte eine Bombardierung des Tegernsser Tals doch noch abgewendet werden.
Über 20.000 Verwundete zum Kriegsende im Tal
Das Tal bot in den letzten Kriegsmonaten das Bild einer einzigen „Lazarettstadt“. In das Herzogliche Schloss – genauer gesagt in die Gebäudetrakte um Kirche und Bräustüberl – war wegen der zunehmenden Luftangriffe auf München die chirurgische Universitätsklinik verlegt worden.
Im damaligen Tegernseer Bahnhofshotel befand sich die psychiatrische Universitätsklinik. Auf dem Gelände der späteren Hotelfachschule gab es eine Röntgenabteilung, und die heutige LVA-Klinik am Leeberg diente als Kampfflieger-Erholungsheim.
Das Hotel „Haus Bayern“ (heute: Das Tegernsee) und das seinerzeitige Hotel „Steinmetz“ waren Reserve-Lazarette. Im Hotel „Überfahrt“ in Egern wurden neurologische Fälle wie Nervendurchschüsse behandelt, in Bad Wiessee hatten die U-Bootfahrer ein Sanatorium.
Insgesamt lagen im Tegernseer Tal gegen Kriegsende schätzungsweise 20.000 Verwundete in Hotels, Erholungsheimen und Pensionen. Hinzu kamen Evakuierte in Säuglings- und Mütterheimen, die Kinder der Kinderlandverschickung und aus Waisenhäusern.
Auch Flüchtlinge aus dem Osten waren vor Ort. Nach den Schätzungen Professor Freis befanden sich insgesamt 34.000 Zivilisten, überwiegend Frauen und Kinder, zwischen den Fronten der deutschen Panzerdivision in den Bergen und der 12th Armored Division der Amerikaner am Eingang des Tales.
Zwei Männer retten das Tegernseer Tal
Wie dramatisch die letzten Stunden vor der Entscheidung „Bombardierung des Tales oder Kapitulation“ waren, geht beispielsweise aus den Berichten des Majors Hannibal von Lüttichau hervor. Dieser lag mit einer Kopfverletzung als Verwundeter in einem Tegernseer Lazarett und beobachtete zunächst die Situation.
Wegen der drohenden Luftangriffe waren alle Verwundeten aus den oberen Etagen verlegt worden. Lüttichau schrieb: „Die Unklarheit und der Zustand der in den feuchten Kellern lagernden Verwundeten und Kranken, die nur notdürftig gebettet waren, vielleicht noch sehr viel länger so verweilen mussten, und schließlich die Erkenntnis der Passivität der maßgeblichen Stellen veranlassten mich, dem Chefarzt folgenden Vorschlag zu machen …“
Nach Absprache mit dem Chefarzt Professor Frei schlug sich der Major trotz seiner Verwundung mit einer großen weißen Fahne gleichfalls durch die Hauptkampflinie zum US-Gefechtsstand bei Gmund durch. Dort überbrachte er das Rückzugsangebot der deutschen Truppen der Einheit von US-Second Lieutnant Dick Dougherty und bat ihn, den Luftangriff auf die „Lazarettstadt Tegernseer Tal“ abzuwenden.
Auch Frei fuhr von Rottach-Egern aus den vorrückenden US-Truppen entgegen, um ihnen das Rückzugsangebot der im Tal verschanzten SS-Panzer-Grenadier-Division „Götz von Berlichingen“ zu überbringen.
Schließlich wurde das Tal kampflos übergeben. Die Amerikaner vertrauten seinem Offizierswort, und das Bombardement konnte noch abgeblasen worden.
Archiv der Gestapo im Keller des Tegernseer Schlosses
Eine fast absurde Szene aus diesen letzten Tagen des Krieges schildern Angehörige des schweizerischen Generalkonsulates: „Bei einem Blick über den See fallen kleine Rauchsäulen auf, die da und dort aufsteigen, insbesondere vor dem Schloss in Tegernsee.“
In dessen Keller, unterhalb des Lazaretts, war das Geheimarchiv der Münchner Gestapo aufbewahrt worden. Belastende Dokumente wurden verbrannt. Auf den Wellen des Tegernsees schaukelten einzelne Blätter und Bücher. Nazi-Schriftgut dümpelte auf dem Tegernsee.
Quelle: Bräustüberl Zeitung, Ausgabe 9, April 2005
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