Am Tegernsee eröffnen sich ganz neue Denkwelten. Die internationalen Krisen docken in der kommunalen Politik an. Dort, wo eigentlich die Uhren noch gemächlich dem technischen Fortschritt Widerstand leisten und die kulturelle Identität als wichtigster Taktgeber gilt. Ortsbild verändernde Maßnahmen werden zumeist kontrovers diskutiert.
Doch ein steigender Stromverbrauch durch den Ausbau der E-Mobilität und der Umrüstung von Gas- und Ölheizanlagen hin zum Einsatz von Wärmepumpen sowie energieintensiven Geothermieanlagen, sorgt in der aktuellen Energiekrise vermehrt dafür, dass provokativ daherkommende Projekte auf der politischen Tal-Agenda auftauchen. So auch auf der gestrigen Stadtratssitzung in Tegernsee. Dort war Bürgermeister Johannes Hagn gegen 19:30 Uhr die Entschlossenheit quasi ins Gesicht geschrieben, als er den Punkt 9 der Tagesordnung aufrief.
Solarpark Tegernsee – Projektvorstellung
Ein Gesichtsausdruck, der den Stadträten und regelmäßigen Beobachtern der Sitzungen durchaus vertraut ist. Wenn Hagn so schaut und mit dieser leicht angeschärften Stimme spricht, wie es gestern im Stadtrat der Fall war, dann ist dem CSU-Bürgermeister das vorgestellte Projekt mehr als wichtig. Rasch wurde klar:
Hoppla – hier läuft etwas anders.
Im Tal wie anderswo im Land werden die Themen, die im öffentlichen Teil der Gemeinde- und Stadtratssitzungen behandelt werden, fast immer zuvor in den Gremien durch choreografiert. Überraschungen und streitbare, offene Auseinandersetzungen sollen, so macht es den Eindruck, geflissentlich vermieden werden. Doch die Präsentation des “Tegernseer Solarpark-Projektes” bildete gestern im Stadtrat eine große Ausnahme. Das war eindeutig Chefsache.
Präsentation des Projektes im Schnelldurchgang
Hagn bat Geschäftsführer Manfred Pfeiler und Projektleiter und stellvertretenden Betriebsleiter Thomas Wimmer vom E-Werk Tegernsee, die mit anderen Kollegen im Zuschauerraum Platz genommen hatten, nach vorn und das Projekt des Solarparks zu präsentieren. Ein, wie es schien, komplett ausgearbeitetes Konzept eines 1 Hektar großen Solarparks inmitten der Stadt Tegernsee. In bester Seeblick- und Sonnenlage sollen auf der Amerikanerwiese bis zu 1.304 Solarmodule aufgebaut werden. Jedes einzelne Solarmodul besitze eine Leistung von bis zu 650 WP, wie Projektleiter Wimmer im Zuge der Präsentation erläutert.
Es sei möglich bis zu 935.000 kWh lokalen Strom mit der Anlage zu erzeugen. Was einer jährlichen Einsparung von 374 Tonnen CO₂ entspreche und theoretisch den Bedarf von 267 Haushalten in Tegernsee abdecke. Bei der Planung und Realisierung des Solarparks will das lokale Unternehmen mit der SOLEA AG aus Niederbayern zusammenarbeiten. Für einen Lacher, wenn auch einen etwas unterdrückten, sorgte noch vor der eigentlichen Vorstellung des Projektes der E-Werk Geschäftsführer mit dem Satz:
Keine Angst – wir werden uns nicht am Tisch festkleben, wenn ihr das Projekt ablehnt.
Bevor der Bürgermeister die Diskussion zum vorgestellten Solarprojekt freigab, unterstrich er die Alternativlosigkeit der Amerikanerwiese als Standort für einen Solarpark in der Stadt. Hagn verwies dabei auf frühere Projekte, die entweder im Außenbereich und damit in den Landschafts- oder Naturschutzgebieten angesiedelt waren oder man in H100 Bereichen „mit den Füßen im Wasser stand“. Zudem sei bereits ein Flächennutzungsplan für das im städtischen Besitz befindliche Grundstück an der Leebergstraße ausgewiesen. Alles Voraussetzungen, die für den Standort sprechen, erklärt Hagn.
Die Gegner
In der nun im Rat anschließenden Diskussion zeigte sich dem neutralen Besucher eine große Meinungsvielfalt aus oft überraschenden politischen Lagern. Zum Beispiel zeigten sich Thomas Mandl von der SPD sowie Manuela Brandl und Florian Kohler von der Bürgerliste und auch Peter Hollerauer von der FWG eher kritisch dem Projekt gegenüber. Mandel kritisierte:
Das ist, wie das Kind mit dem Bade auszuschütten.
Damit werde die schöne Landschaft verschandelt. Man solle solch großflächige Anlagen doch lieber an Straßen und Autobahnen errichten statt mitten in Tegernsee, macht der SPD-Stadtrat deutlich. Mandl zeigte sich auch verschnupft darüber, dass der Bürgermeister mit diesem Vorstoß im Stadtrat den Arbeitskreis Energie übergangen habe. Brandl argumentierte ähnlich wie der SPD-Kollege. Für sie sei das Verschwinden des „Grüns“ in der Stadt schon jetzt kaum zu ertragen. Da “blute ihr das Herz” bei der Vorstellung der mit Solarmodulen zugebauten Wiese. Auch für Stadtrat Hollerauer scheidet der Standort Amerikanerwiese grundsätzlich aus.
Der Zahlen-Skeptiker
Florian Kohler hingegen konzentrierte sich in seiner Argumentation mehr auf das Konzept an sich, weniger auf den Standort. So zweifelte der Unternehmer die Richtigkeit der vom E-Werk vorgestellten Zahlen an. Besonders in Bezug auf die Nutzung und die Versorgung von 270 Haushalten in Tegernsee durch den geplanten Solarpark meldete Kohler Zweifel an:
Das ist einfach nur alles positiv im Konzept dargestellt. Und die Zahlen stimmen nicht.
Der lokal produzierte Strom sei, nur wenn er auch lokal voll genutzt werde, wirtschaftlich, fuhr Kohler fort. Zudem halte er einige der vom E-Werk vorgebrachten Argumente für sachlich falsch. Und überhaupt sei erst einmal zu prüfen, wie die einerseits wirtschaftlichen und andererseits ökologischen Aspekte des Projektes sich gegeneinander abwägen lassen.
Die Nachdenklichen
Eher nachdenkliche Töne kamen sowohl von Carolin Machl (CSU) als auch Michael Bourjau (FWG). Der zweite Bürgermeister gab zu, dieses Projekt als „Provokation“ zu empfinden, aber machte gleichzeitig deutlich:
Hier gehen bei mir Herz und Verstand auseinander. Doch ich beginne langsam zu lernen angesichts der notwendigen Energiewende.
Doch sei der Eingriff in das Stadtbild, wie Bourjau weiter Einblick in sein Innenleben gewährte, doch schon sehr massiv. Auch Machl kann sich nicht wirklich mit einem Solarpark auf einem der „Filetgrundstücke der Stadt“ anfreunden. Doch die CSU-Rätin ist ebenfalls überzeugt, dass man in der heutigen Zeit wahrscheinlich neue Wege einschlagen und genau überlegen müsse, was in der Zukunft machbar und notwendig sein wird.
Die (eher) Befürwortenden
Rudolf Gritsch, Mitglied der CSU-Fraktion des Rates, bezog eine vorsichtig positive Position zu dem Projekt. Als Stadt Tegernsee sei es wichtig, sich mit dem Thema zu beschäftigen. „Nicht immer auf die anderen weisen – sondern fragen: ‚Was können wir tun‘?“ Auch Gritsch, sieht, wie Parteikollege Hagn, die Amerikanerwiese als besten Standort für einen Solarpark. Allerdings verweist der CSU-Rat mit der Überdachung des Parkplatzes an der Point auf ein weiteres mögliches Solarprojekt in der Gemeinde hin. Das solle man bei der aktuellen Diskussion nicht aus den Augen verlieren.
Pro Solarpark äußerte sich erwartungsgemäß Markus Staudacher (Grüne), auch wenn er die optische Vorstellung als „grauslich“ empfindet. Aber daran werde man sich wohl gewöhnen. Andreas Obermüller (FWG) sieht aktuell eine Zeitenwende gekommen, in der eine Pilotanlage wie der Solarpark ein sinnvolles Projekt sei. Die Zeiten des „Wasch mich – aber mach mich nicht nass Denkens“ seien vorbei.
“… aber mit mir nicht”
Das letzte Wort hatte der Bürgermeister in der Diskussion. Genau diese Art der Diskussion habe er erwartet, machte Hagn deutlich.
Genau das habe ich erwartet. Eine Diskussion wie beim Windrad – aber mit mir nicht!
So laufen diese Diskussionen leider immer, konkretisierte der Bürgermeister seine Äußerung. Zum einen gebe es ein “Ja” zur Notwendigkeit der Energiewende, dem dann immer ein “doch bitte nicht hier in meinem Ort” folge. Und lieber sterbe man in Schönheit, als Verantwortung zu übernehmen. Klare Worte vom Chef der Stadt.
Und wie geht es jetzt weiter in Tegernsee? Der Rat hat sich in seinem Beschluss mit einer eindeutigen Mehrheit für die weitere Prüfung des Projektes entschieden. Was, so stellt Hagn leicht versöhnlich klar, nicht etwa ein Ja für den Solarpark bedeute, sondern die weitere Prüfung des Projektes ermögliche. So werde eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben.
Rache für die Überfahrt?
Denn, und das soll nicht unerwähnt bleiben beim Bericht über die gestrige Sitzung: Der Solarpark auf der Amerikanerwiese birgt neben den ästhetischen, wirtschaftlichen, städtebaulichen und ökologischen Faktoren noch ein weiteres Konfliktpotenzial. Ein Tal-internes sozusagen, was mit der möglichen Blend-Gefahr für die Rottacher Bürger zusammenhängt. Einer der Räte formulierte das Problem so:
Nicht, dass die Rottacher jetzt glauben, dass der Solarpark die Rache für die Überfahrt ist.
Die TS wird euch das Gesamtprojekt des Tegernseer Solarparks in der nächsten Woche detailliert vorstellen. Der Vorstoß der Tegernseer Räte wird sicherlich zu einer talweiten Diskussion führen. Vielleicht haben auch schon andere Gemeinden wie Rottach oder Gmund bereits ähnliche Pläne in der Schublade. Jetzt kommt die Zeit, sie herauszuholen und zur Diskussion zu stellen. Diskutiert mit, liebe Community, das Tal gehört allen.
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