Dünner werden in dünner Luft

Mit künstlich erzeugter Höhenluft können sich Profisportler, Bergsteiger und Ausdauersportler das Höhentrainingslager sparen. Das Training in der „dünnen Luft“ dient zur Vorakklimatisierung für Hochgebirgstouren. Viele nutzen das Programm aber auch, um erfolgreich abzunehmen. Unsere Redakteurin Tina Hansch hat sich “in dünne Luft begeben” und getestet.

Während des passiven Trainings kann man auch lesen oder fernsehen / Quelle: Tina Hansch

Höhenluft schnuppern in 5000 Metern Höhe, ohne Risiken, aber mit einem gewaltigen Trainingseffekt – das ist in Weissach zwei Stockwerke über dem Kino möglich. Flavio Mannhardt, studierter Sportwissenschaftler, ist seit 2018 Inhaber des Instituts für Höhentraining, dessen Stammhaus 2008 in München gegründet wurde. Nun gibt es seit April die Möglichkeit, das Höhentraining auch am Tegernsee zu absolvieren.

Was ist Höhentraining?

Die Triathletin Jutta Stephan, Gründerin des Instituts und aktive Höhentrainerin, entwickelte ein Trainingskonzept aus passivem und aktivem Training mit künstlich erzeugter Höhenluft. Zum einen kann man im Sitzen über eine Maske Luft mit weniger Sauerstoffgehalt einatmen und sich so beispielsweise über einen Zeitraum von fünf Wochen mit drei Terminen pro Woche für eine Tour im Hochgebirge akklimatisieren. Außerdem hat der künstliche Sauerstoffmangel den Effekt, dass der Körper, wie in echten Höhen über 2500 Metern, seinen Puls erhöht, um das Herz ausreichend mit Sauerstoff zu versorgen. Der Kreislauf fährt hoch und dem Körper wird so vorgegaukelt, Sport getrieben zu haben, ohne dass dies wirklich der Fall war. Die Fettverbrennung wird somit ohne zusätzliche körperliche Aktivität angekurbelt.

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Zum anderen trainiert man aktiv auf einem Laufband oder einem anderen Ergometer, ebenfalls „verdünnte“ Luft einatmend. Das ist besonders für Ausdauersportler interessant: die Leistungsfähigkeit wird gesteigert, die Sauerstoffversorgung der Muskulatur wird optimiert, ebenso das Herz-Kreislaufsystem, da der Herzmuskel gestärkt wird und mehr Blut pumpen kann. Dieser Aspekt ist auch für eine schnellere Regeneration nach Verletzungen optimal, denn durch die neu entstehenden Blutgefäße ist die Durchblutung besser und die Regeneration geht schneller vonstatten. Dieser Prozess ist bereits durch das passive Training möglich, so dass verletzte Athleten auch nur im Sitzen trainieren können.

Höhenluft als Coach

Der Sauerstoffanteil in der Luft bleibt bis etwa 15km Höhe konstant bei knapp 21%. Allerdings kommt es bei steigender Höhe zu einer parallelen Abnahme des Sauerstoff(teilchen)drucks und dadurch letztendlich zu einem Sauerstoffmangel (Hypoxie) im Gewebe. Eine Höhe von 2000 bis 2500 Metern ist normalerweise der Bereich, in dem Ausdauersportler ihr Höhentraining absolvieren. Zwischen 3000 Metern und etwa 5500 Metern, also im Hauptbereich von Trekkingtouren, kann sich ein gesunder Mensch nach einer entsprechenden Akklimationszeit vollständig den Verhältnissen anpassen und nahezu normal leistungsfähig sein.

Oberhalb von 5500 Metern ist eine vollständige Anpassung an die Höhe respektive den Sauerstoffmangel nicht mehr möglich, stattdessen kommt es zu einem kontinuierlichen Abbau der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit. Deshalb wird auch im Hypoxicum maximal bis zu einer simulierten Höhenluft von 5500 Metern trainiert. Und dies dann auch nur passiv, auf Laufband oder Ergometer kann ein Training in 5000 Metern „Höhe“ nicht stattfinden.

Akklimatisierung ohne Berg

Die normale Anpassung an größere Höhen erfolgt anfangs vor allem durch stark erhöhte und vertiefte Atmung, so dass mehr Sauerstoff aufgenommen werden kann. Dazu kommt eine erhöhte Herzfrequenz. Aus diesen beiden Faktoren entsteht ein gesteigertes Atemminutenvolumen. Am Ende dieser Anpassungskette erfolgt nach einigen Tagen ein Anstieg der roten Blutkörperchen mit Erhöhung der Sauerstofftransportfähigkeit.

Diesen Akklimatisierungsprozess können Bergsteiger bereits im Hypoxicum durchlaufen. Zu Beginn wird ein Höhenverträglichkeitstest gemacht, dann ein individueller Trainingsplan mit gewünschter Reisehöhe erstellt. Durch das Training kann das Risiko der akuten Höhenkrankheit minimiert und der Urlaub im Himalaya oder auf dem Kilimandscharo auch wirklich genossen werden. „Manche Kunden trainieren in kompletter Montur auf dem Laufband, mit gepacktem Rucksack und Wanderschuhen”, erklärt Flavio Mannhardt. Bergsteiger können auch zu Hause trainieren und einen Höhenluftgenerator mit Zubehör mieten. Das passive Training kann dann gemütlich vor dem Fernseher stattfinden. Ausdauersportler wie beispielsweise Triathleten, Schwimmer oder Radfahrer nutzen das Höhentraining als begleitendes Training ein bis zwei Mal die Woche, oder als Spezialtraining vor Wettkämpfen. Das Hypoxicum erstellt dazu Trainingspläne und eine Leistungsdiagnostik.

Dünner werden in dünner Luft

Das Training in Höhenluft ist wesentlich effizienter als in normaler Luft: der Körper verbraucht mehr Kalorien durch eine vermehrte Mitochondrienaktivität, das Hormon Leptin wird verstärkt ausgeschüttet, welches einen positiven Effekt auf unser Sättigungsgefühl hat, was weniger Appetit bedeutet, und Höhenluft wirkt diuretisch, also entwässernd. So kann in fünf bis sechs Monaten bei zweimaligem Training pro Woche eine nachhaltige Bikinifigur erreicht werden, Mannhardts Kundinnen verlieren im Schnitt zwischen drei und zehn Kilos. Der Sportwissenschaftler gibt jedoch zu bedenken, dass Höhenluft kein Wundermittel ist.

Sie kann vieles begünstigen, doch letztendlich kommt es auch immer auf die richtige Ernährung an. Für das Gewichtsmanagement bietet das Hypoxicum Stoffwechselanalysen und einen entsprechend individuellen Trainingsplan an. Hinter dem Team des Instituts für Höhentraining, bestehend aus Sport- und Gesundheitswissenschaftlern, steht ein weiterer Zusammenschluss von Spezialisten, so dass das Institut bei besonderen Fragen oder Problemen immer auf Experten aus jedem Fachgebiet zurückgreifen kann, zum Beispiel Orthopäden und Sportmediziner.

Aktives Training auf dem Laufband in gefühlt 3000 Metern Höhe / Quelle: Tina Hansch

Das Höhentraining ist grundsätzlich für jeden geeignet, also auch für Untrainierte oder völlig Unsportliche. Das passive Training findet, wie bereits erwähnt,im Sitzen statt. Von einem Moment auf den anderen befindet man sich in 4000 Metern Höhe, zumindest atmet man über eine Maske entsprechend sauerstoffangepasste Luft, in diesem Fall mit einem Sauerstoffgehalt von 12,9% anstatt 20,9%. Via Infrarot wird mittels eines Pulsoxymeters am Zeigefinger die Sauerstoffsättigung im Blut gemessen. Sie ist der entscheidende Indikator, nicht der Blutdruck beziehungsweise die Herzfrequenz.

Nach fünf Minuten findet eine kurze Pause statt, die Sauerstoffsättigung ist mit durchschnittlich 90% im grünen Bereich, weiter geht‘s auf 4600 Meter Höhe. Der dritte Durchgang findet in 5000 Metern Höhe statt, ebenfalls für fünf Minuten. Hier merkt man dann, dass die Luft dünner ist, zumindest fällt es schwerer, sich beim Mitschreiben zu konzentrieren :-). Üblicherweise kann nach mehreren Trainingseinheiten die Intervallzeit gesteigert werden, außerdem finden normalerweise mehr als drei Intervalle erschwertes Schnaufen statt. „Der beste Effekt wird durch die wechselseitige Kombination, passiv – großer Reiz für die Zellen – und aktiv – großer Reiz für die Muskulatur, erreicht”, weiß Mannhardt.

Aktives Training auf dem Laufband

Beim anschließend aktiven Training auf dem Laufband geht es bis auf eine Höhe von 3000 Metern mit 20 Prozent Steigung bei einer Laufgeschwindigkeit von zwei Stundenkilometern. Solange die Sauerstoffsättigung zwischen 80 und 90 Prozent und der Körper sich somit in einem guten Trainingsbereich befindet, kann die Höhe auch noch gesteigert werden. Fällt die Sauerstoffsättigung unter 75 Prozent, beginnt der Körper so sehr zu kämpfen, dass kein positiver Trainingseffekt mehr stattfindet. Das Training auf dem Laufband fühlt sich tatsächlich wie Bergsteigen in großen Höhen an, die Atemfrequenz ist sehr hoch und teilweise bleibt der Ungeübten fast die Luft weg. Und: Schon nach einer relativ kurzen aktiven Trainingseinheit von 30 Minuten merkt man auch die körperliche Anstrengung.

Der gebürtige Tegernseer Flavio Mannhardt betreut seine Kunden mit Bedacht und weiß, wovon er spricht. Er hat an der TU in München Sportwissenschaft studiert und trägt bergsteigerische Gene in sich. Anderl Mannhardt ist ein Cousin seines Opas und hat 1961 gemeinsam mit Toni Kinshofer die erste Winterbegehung der Eiger-Nordwand geschafft, 1962 erreichte er, ebenfalls mit Kinshofer, den Gipfel des Nanga Parbat (8125m) über eine neue Route in der Diamirflanke, was international für große Aufmerksamkeit sorgte.„Man muss es ausprobieren, um es zu verstehen. Mit Höhenluft kann man wirklich viel erreichen, es ist wahnsinnig effektiv.“

Geschäftsführer Flavio Mannhardt in seinem Hypoxicum in Weissach / Quelle: Tina Hansch

Von seinen Kunden bekommt Mannhardt viel positives Feedback. Nepalreisende berichten, dass sie im Gegensatz zu anderen Bergsteigern, die kein Höhentraining absolviert haben, keine Höhenprobleme wie Übelkeit und Kopfschmerzen hatten. Kilimandscharo Gipfelstürmer konnten ihren „Summit Day“ ohne Einschränkungen genießen. Athleten sind zufrieden mit der Trainingsbegleitung für Triathlon- und Laufwettkämpfe. Auch eine kurzfristige Mont Blanc Besteigung war dank Höhentraining körperlich kein Problem. Andere haben durch die Vorbereitung die Gipfel Perus erfolgreich erklommen, ebenso ein Karwendelmarsch wurde mühelos bewältigt.

Ein Kunde hat durch ein auf ihn abgestimmtes, moderates Höhentrainingsprogramm innerhalb von vier Monaten 13 Kilo abgenommen. Auch Tobias S. aus Attenkirchen ist begeistert vom Höhentraining, obwohl er erst skeptisch war. Aber: Er konnte mühelos die Annapurna Runde im Himalaya mit seinem Mountainbike bewältigen. „Wer hoch hinaus und dies auch genießen will, sollte sich definitiv ein paar Trainingseinheiten ,leisten‘. Geht ja auch im Wohnzimmer …“

À propos Kosten

Das Institut für Höhentraining in Weissach bietet verschiedene Pakete für diverse Analysen oder ein Schnuppertraining an. Eine Zehner-Karte für jeweils 90 Minuten Training kostet 299,- Euro. Ein Zwei-Jahres-Abo ohne automatische Verlängerung kostet 80,- Euro pro Monat und beinhaltet zwei Trainingseinheiten pro Woche à 90 Minuten.

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