Das Ziel an diesem Samstag ist die auf 1650 Meter Höhe gelegene Tegernseer Hütte. In Fels eingebettet schmiegt sie sich fast unauffällig in die Berggipfel von Roß- und Buchstein. Aufgrund ihres außergewöhnlichen Standorts nennt man sie auch Adlernest.
Da wir keine Adler sind, bleibt nur der Weg zu Fuß. Drei Wege führen zu diesem exponierten Platz in luftiger Höhe. Der erste geht vom Parkplatz Klamm – zwischen Kreuth und Achenpass -an der B307 aus. Von dort aus passiert man die in 1260 Meter Höhe gelegene Buchsteinhütte.
Der zweite Weg ist der Aufstieg über Fleck. Die dritte und steilere Route startet vom Parkplatz Bayerwald (867 Meter) aus und führt über die Sonnbergalm. Für letztere Variante haben wir uns entschieden. Drei Euro zahlen wir für das Tagesticket am Parkautomaten.
Über Stock und Stein
Der Aufstieg durch den Wald beginnt steil. 774 Höhenmeter müssen überwunden werden. Der Weg ist schmal und mit einer Naturtreppe versehen, die vermutlich vor Erosion schützen soll. Was das Gehen erschwert, ist die Unregelmäßigkeit der Treppenabstände sowie deren unterschiedliche Höhen. Steine und Wurzeln sind Stolperfallen, auf die man ständig achtgeben muss. Dafür ist es angenehm schattig und kühl im Wald.
Nach 17 Minuten „nonstop steil nach oben“ kommt die erste Rastmöglichkeit: eine Holzbank. An dieser Stelle hat man zum ersten Mal freie Sicht nach unten. Die zweite Lichtung, auf der eine unbewirtschaftete Hütte zu sehen ist, folgt etwa zehn Minuten später. Es geht weiter permanent bergauf. Die ersten Schweißtropfen rinnen am Hals entlang, die rhythmische Atmung hat sich derweil in ein Schnaufen verwandelt.
Nach zirka eineinhalb Stunden kommt das erste flache Wegstück und die Erkenntnis: Das ist definitiv kein Sonntagsspaziergang! Beim Blick auf die Uhr nach einer Stunde und fünfzig Minuten stellt man erfreut fest, dass man die Sonnbergalm (1483 Meter) erreicht hat. Diese gemütliche Jausenalm liegt am Fuße von Ross- und Buchstein und ist der erste Zwischenstopp für alle Wanderer, die weiter auf die Tegernseer Zwillingsberge wollen.
Von hier aus hat man nicht nur eine fantastische Sicht auf dieses Felsmassiv, sondern auch auf den Blaubergkamm. Die Alm wird von zwei Frauen bewirtschaftet, die von Juni bis September ihre Zeit dort verbringen. Trotz der etwas raubeinigen Art der beiden bekommt man durch den Service und das liebevolle Ambiente das Gefühl, als Gast willkommen zu sein.
Es sind nicht nur die Holzherzen, die am Terrassengeländer im Wind baumeln, oder der ins Holz geschnitzte Spruch auf dem Tisch, die das Wanderherz höher schlagen lassen. Es ist auch die Geschichte zum Johannes-Oerding-Brot, das auf der Tafel angeboten wird.
Bei einem Konzert des Sängers seien die beiden fasziniert gewesen von seinem Lied „Kreise“. Der Liedtext habe sie dazu inspiriert, einen Brotzeitteller anzubieten, auf dem sich neben Schinken, Käse und Quark lauter Kreise aus Zwiebelringen, Gurkenscheiben und Radieserl befinden. Beim Radler bleibt Zeit, den Songtext zu googlen:
Oft sind Anfang und Ende der gleiche Punkt, seit der Geburt dasselbe Blut, das durch die Adern pumpt, wir fangen jedes Jahr, zur gleichen Zeit an zu frieren. (…) Ey, wenn sich alles in Kreisen bewegt, dann gehst du links, dann geh‘ ich rechts. Und irgendwann kreuzt sich der Weg – wenn wir uns wiedersehen.
Auch wenn uns kurz darauf die Rechnung für zwei Radler samt Oerding-Teller für stolze 16 Euro präsentiert wird, ist uns bewusst: Wir gehen erst einmal nach oben, dann sehen wir uns wieder. Zum Abschied winken wir dem schwarzen Jagdhund zu, der gerade dabei ist, im Brunnen zu kneipen. Spielen darf man allerdings nicht mit ihm: „Stecken schmeißen verboten“, so heißt es auf einem Schild. Reicht ja auch, wenn einem selbst die Puste ausgeht.
Mit dem Tipp der Wirtin, in welche Richtung es denn nun weitergeht, setzen wir unseren Weg zur Tegernseer Hütte fort. Etwa 15 Minuten später steht man an einer Weggabelung. Der kürzeste Weg führt über einen drahtseilgesicherten Steig nach oben, der absolute Trittsicherheit erfordert.
Der Vorteil: Man braucht nur dreißig Minuten. Der Nachteil: Mit Höhenangst klebt man am Felsen wie ein Steinbock, der gerade beschlossen hat, seinen gigantischen Standort nur unter der Voraussetzung aufzugeben, falls irgendeine dahergelaufene Ziege es wagen sollte, ihn als Schluchtenscheißer zu bezeichnen.
Für die nicht so Schwindelfreien unter uns ist es deshalb besser, lieber die doppelte Zeit einzuplanen und stattdessen einmal um den Roßstein herumzuwandern. Denn ein Zurück ist an dem drahtseilgesicherten Steig für Ungeübte fast unmöglich. Wahre Kletterer hingegen haben ihre Freude.
Ein Adlerhorst im Fels
Hat man bis dahin überlebt, sind es über einen Holzsteg nur noch ein paar Meter bis zur Tegernseer Hütte. Wie ein Adlerhorst liegt sie in 1650 Meter Höhe eingebettet zwischen Felsen. Nach diesem steilen Aufstieg erwartet man eigentlich, dass die Hütte leer ist. Weit gefehlt. Es ist brechend voll. Wo auch immer die vielen Leute herkommen, sie belagern die Terrasse, rennen auf die Toilette oder richten ihr Kletterzeug her.
Im Gegensatz zur Sonnbergalm ist das Ambiente hier eher schlicht gehalten. Auf den Holztischen ist kein Schnickschnack zu finden. Das Essen und die Getränke muss man sich selbst holen. Dafür stimmt das Preis-Leistungsverhältnis und der selbstgebackene Birnenkuchen schmeckt hervorragend.
Wer keine Lust mehr hat, wieder nach unten zu kommen, der hat hier von Mai bis November die Möglichkeit, zu übernachten. Von Sonntag auf Montag ist dies allerdings seit vergangenem Jahr nicht mehr möglich. Geöffnet ist die Tegernseer Hütte während der Saison montags ab 10.30 Uhr bis sonntags 18 Uhr.
Zurück nehmen wir den Weg, der um die Tegernseer Hütte und den Roßstein führt. Konzentration ist auch hier erforderlich. Da der Pfad sehr steinig und steil ist, ist das Laufen alles andere als entspannt. Nach ein paar Metern passieren wir ein Schild, das auf die Buchsteiner Hütte hinweist, bevor es kurze Zeit später zunächst einmal wieder bergauf geht.
Eine tolle Aussicht belohnt die Strapazen. Zwei Stunden und 15 Minuten dauert der Rückweg von der Tegernseer bis zum Parkplatz. Kniebeschwerden beim Bergabgehen muss man einkalkulieren. Inklusive zweier Pausen auf dem Hinweg hat die Tour insgesamt sechs Stunden gedauert.
Unser Fazit: Die Wanderung eignet sich für alle, die Kondition und Ausdauer haben. Wegen der körperlichen Anstrengung sollte man unbedingt ein Ersatz-T-Shirt und genügend Wasser mitnehmen. Obwohl der Weg durch den Wald wenig Abwechslung bietet, wird man dafür am Ende mit einer super Aussicht belohnt. Ein Sonntagsspaziergang ist es jedenfalls nicht.
Der Weg nach oben (Fotos: Nicole Kleim):
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