Ein Sprung von Italien nach Tegernsee…

„Dieser verfluchte Hunger nach Aufmerksamkeit.“ Links und rechts von mir frönen meine Pastafreunde dem „Dolce far niente“. Mir gegenüber hängt der Parmaschinken ab. Ich aber gehöre zu der Sorte Nudeln, die man nicht zu lange liegen und kochen lassen sollte. Mein Name? Orecchietta.

Hat den Sprung in Tegernsee gewagt: Dario Valeri, Chef vom neuen italienischen Supermercato in der Hauptstraße 22 (rechts)

„Zwei Espresso, per favore.“ Espressi, denke ich. Espressi. So wie es Mafiosi, Paparazzi oder Antipasti heißt. Zu letzteren gehöre ich übrigens. Erlauben Sie mir, mich vorzustellen. Mein Name ist Orecchietta.

Über Feinkost Valeri in Tegernsee:
Wer wie in Italien einkaufen will, muss nicht weit fahren. Seit Juni gibt es ausgesuchte italienische Weine, Schinken, Wurst, Käse sowie frische Pasta in der Hauptstraße 22 in Tegernsee. Chef Dario Valeri führt damit – zusammen mit seiner Lebensgefährtin Brunella – die seit 120 Jahren bestehende Familientradition fort. Ihren Ursprung hat sie in der italienischen Stadt Fiuggi, etwa eine Stunde von Rom entfernt. „Tutto è italiano“. Nicht nur die Waren, auch die Mitarbeiter.

Ich bin eine echte Nudel und stamme aus der südöstlich in Italien gelegenen Region Apulien. Seit Stunden schon liege ich eingesperrt in diesem Kühlregal. Der Besitzer dieses Feinkostladens hier – Dario Valeri – meint, ich soll auf diese Weise frisch bleiben. Wenn der wüsste.

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Ganz ehrlich, ich fahre lieber die „al dente-Strategie“. Ich bleibe so lange kühl und unnahbar, bis sich die Eingangstür öffnet, mich eine Hand aus dem Regal zieht, und ich endlich BISS zum Genuss andere zum Kochen bringe.

Durch die Glastür vor mir höre ich die italienischen Klänge der eingelegten CD nur gedämpft, aber ich sehe, wie Darios Papa Marcello einer elegant gekleideten Dame mit Hut gerade einen Capuccino macht. „Hätten Sie nicht einen kleinen Keks oder sowas?“ höre ich sie fragen. Marcello antwortet irgendetwas auf italienisch. Wenn die Bar nur nicht soweit weg wäre…

Gestatten? In diesem Kühlregal liege ich mit meinen Pasta-Freunden.

Der Büffelmozzarella hat es gut. Der geht weg wie warme Semmeln – scusi Italia – „wie kalter Parmaschinken“ trifft es wohl besser. Apropos Parmaschinken. Ich schaue nach vorne.

Schon wieder schneidet Darios Angestellter Massimiliano dieses luftgetrocknete Stück Schwarte zum wiederholten Male in dünne Scheiben. Ich spüre, wie ich anfange zu zittern. Nicht vor Kälte, sondern vor Wut. Ja, ich bin neidisch. Zugegeben. Mich will niemand haben. Wenn ich wenigstens an den köstlichen Wein da drüben kommen würde…

Samstag ist Weinprobe – solange ich noch nicht verkauft bin, lässt man mich vielleicht mitmachen. Saufen ist immer noch besser als im Kühlregal den Adrenalinpegel ansteigen zu lassen. Nur, wie komme ich hier raus?

So nicht!

Gerade fährt ein Fiat vor. Endlich Besuch aus der Heimat. Aber wieso hat die Frau einen Fotoapparat um den Hals? War ja klar, eine „Paparazza“. Was höre ich da, „die Tagliatelle verkaufen sich großartig“? Meine lieben Freunde der italienischen Panini -so nicht! Nicht mit mir.

„Nimm mich“, möchte ich schreien und verstumme in Plastik. Für einen kurzen Moment muss ich wohl nicht aufgepasst haben. So ist mir der adrette Mann, der gerade durch die Regalreihen huscht, überhaupt nicht aufgefallen, als er zur Tür hereinkam.

Ich spüre, wie er mich anfasst. „La vita è bella cosi“ höre ich im Hintergrund Pippo Pollina singen. Aber Haaalt! Was um Himmels Willen tut er? Ohne mich zu fragen geht er mit mir zu Marcello an die Kasse. Hilfe! Hilft mir denn niemand?! Die Kälte lässt nach. Um mich herum wird es dunkel. Dieser verfluchte Hunger nach Aufmerksamkeit.

Was ich zurückgelassen habe, bevor ich in der Tasche verschwand:

Massimiliano (34) hat den Kollegen Parmaschinken in perfekte dünne Scheiben geschnitten.

Darios Papa Marcello (63) spricht nur italienisch und unterstützt seinen Sohn, wo er nur kann.

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