Im Tegernseer Bräustüberl sitzen sie alle an einem Tisch: Alt und jung, arm und reich, bekannt und weniger bekannt. Die Faszination der Gegensätze ist es, die wir zusammen mit einer Tegernseer Fotografin in unserer neuen Reihe “Originale am See” festhalten wollen. Heute: Roshan Kaivan.
Die Tegernseerin Bommi Schwierz ist Juristin und Fotografin. In ihrem Buch “Der Tegernsee und seine Gesichter” hat sie die Menschen im Tal mit ihrer Kamera festgehalten, denen sie ein Denkmal setzen wollte.
Er kennt sie alle. Und sie kennen ihn. Die Tegernseer Gaststätten, Lokale und Hotels sowie deren Gäste, an die Roshan Kaivan seit nunmehr 40 Jahren die Zeitungen des Tages verteilt. Wir haben ihn vergangenes Wochenende in Rottach-Egern getroffen und wollten wissen, wie sich das Tal in seinen Augen verändert hat.
Seit 6 Uhr morgens ist er schon unterwegs und hat am Münchner Ostbahnhof seine Zeitungen eingesammelt. So wie jeden Tag. Jetzt betritt der 70-Jährige eine Pizzeria in Rottach-Egern und wird wie ein alter Bekannter begrüßt. Damals habe er hier im Tal 250 bis 260 Zeitungen ausgetragen, erzählt der quirlige Iraner, inzwischen seien es nur noch um die 130 bis 150 pro Abend.
Früher gab es mehr Touristen
Es gab Zeiten, da habe er manchmal nur eine dreiviertel Stunde gebraucht, um seine ganzen Zeitungen an den Mann oder die Frau zu bringen. Besonders an den Wochenenden sei immer viel los gewesen, schildert er. „Es gab sehr viele Touristen im Tal.“
Heute sei das anders, sagt er etwas wehmütig. „Viele Lokale haben inzwischen zugemacht oder den Besitzer gewechselt.“ Der Einbruch sei mit dem Euro im Jahr 2002 gekommen, davon ist Kaivan überzeugt. Aber schon zwei Jahre vorher habe er festgestellt, dass die Besucher am See langsam und stetig weniger wurden. Ab diesem Zeitpunkt lief das Geschäft nicht mehr so gut.
Doch der 70-Jährige freut sich: Viele seiner heutigen Kunden waren früher Schüler, jetzt sind sie Hotel- und Restaurantbesitzer oder Küchenchefs.
Ich kenne sie alle, als sie noch jung waren – die haben mit mir immer Spaß gemacht.
Ihm gefallen die Leute im Tegernseer Tal. „Die sind alle nett“, findet er. Nie sei ihm ein „böser Mensch“ begegnet. Nur ein Münchner sei einmal nicht so freundlich gewesen. Der habe ihm eine Zeitung – damals kostete sie 60 Pfennig – für eine Mark mit den Worten abgekauft: „Den Rest darfst du behalten, damit du dir ein Auto leisten kannst.“ Über diese Aussage ist Roshan Kaivan heute noch verärgert. „Ich brauchte kein Geld für ein Auto. Ich habe Zeitungen verteilt, um arbeiten zu können.“
Doch auch reiche, berühmte Leute hat er getroffen – darunter Boris Becker, Rudi Carrell oder Uli Hoeneß. Er kannte viele prominente Namen, sagt er. „Einige sind auch schon tot.“ An mehr Berühmtheiten erinnere er sich allerdings nicht. Vermutlich hat er sie vergessen, wahrscheinlicher ist jedoch seine Verschwiegenheit. Schließlich habe man ihm vertraut, betont er.
Geschäftsmann schon mit 15 Jahren
Er sei immer selbstständig gewesen, erzählt er. Schon mit 15 Jahren habe er in Persien – im heutigen Iran – Fernseher, Schallplattenspieler und Radios aus Korea und Japan importiert und verkauft.
Ich war dort der Erste, der sowas gemacht hat. Ich war reich.
Doch dann kam die Revolution und er flüchtete nach München, wo er noch heute mit seiner Frau eine Reinigungsfirma samt Änderungsschneiderei betreibt. Und ganz nebenbei mit Autos handelt.
Im Laufe der Zeit hat Roshan Kaivan viele und vieles kommen und gehen sehen. Zweimal sei die Tennishalle in Rottach abgebrannt, sagt er. Traurig habe es ihn gemacht, als sie dann für das Hotel Bachmair ganz verschwinden musste. Bei Roshan Kaivan selbst ist zumindest das Outfit gleich geblieben.
“Ich kann nicht still sitzen”
Noch immer trägt er seine rote Jacke, auf der in rechter Brusthöhe „Abendzeitung“ und „Die Zeit“ eingestickt ist, genauso wie er seine Zeitungen unter dem Arm trägt – die Süddeutsche oder die tz. Heute ruft er nicht mehr „Aaaabendzeitung“. Die hat er abgegeben.
Gegen 23:30 Uhr ist für Kaivan Roshan dann Schluss. Pause macht er aber noch lange nicht. “Ich kann nicht still sitzen. Ich arbeite immer. Wenn ich keine Zeitungen austrage oder mich um meine Firmen kümmere, sitze ich am Computer und arbeite mit den Programmen.”
SOCIAL MEDIA SEITEN