Eine “Schuhschachtel” kommt selten allein

Ein im Garten eingegrabener Schiffscontainer, eine mechanische Drehscheibe in der Einfahrt, um den Luxuswagen wenden zu können, und die weit über die Grenzen des Tegernseer Tals hinaus bekannte “Schuhschachtel”.

Das Tegernseer Tal hat in Sachen “Baukünste” einiges zu bieten. Aber wie sind derartige, zum Teil skurril anmutende Bauten überhaupt möglich? “In der Sache haben wir keine große Handhabe”, und “eigentlich können wir das nicht verbieten”, so die Aussagen aus dem Tegernseer Stadtrat.

Skurril waren auf alle Fälle einige Anträge auf der letzten Bauausschuss-Sitzung in Tegernsee. Konkret ging es zunächst um einen “Häuslebauer”, der abweichend zur Baugenehmigung einen Schiffscontainer in seinem Garten in die Erde gegraben hat, um so zusätzlichen Lagerraum zu schaffen. Auf dem Container ist mittlerweile eine Holzterrasse entstanden. Seit wann der Container im Garten steht, weiß die Stadt derzeit nicht.

Schiffscontainer im Garten – Entscheidung vertagt

Dagegen unternehmen kann Tegernsee laut den Aussagen der Räte kaum etwas. Der Ausschuss einigte sich zwar auf einen Vororttermin im Garten des Eigentümers, um den Container genauer unter die Lupe zu nehmen. Dass der Schiffscontainer bald wieder ausgegraben werden muss, ist derzeit allerdings eher unwahrscheinlich.

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“Ich will hier der Entscheidung des Ausschusses nicht vorgreifen”, sagt Tegernsees Erster Bürgermeister Peter Janssen auf Nachfrage und ergänzt: “Wir müssen uns das noch mal genauer anschauen und überprüfen, wie die Bauelemente von außen wirken.” Da sich der Container im Untergrund befindet und nur eine vier Meter hohe Steinmauer samt Eingangstür oberirdisch zu erkennen ist, ergeben sich für das Ortsbild keine negativen Einflüsse. Noch dazu befindet sich der Garten in einem Bereich, der von der Straße aus nicht einsehbar ist.

Dennoch fragen sich Verantwortliche, zu denen auch die Stadträte in Tegernsee zählen: “Wie kommt man überhaupt auf so eine Idee?”

Platznot macht erfinderisch. Eine Drehscheibe zum Wenden des Autos in der Neureuthstraße in Tegernsee.
Platznot macht erfinderisch. Eine Drehscheibe zum Wenden des Autos in der Neureuthstraße in Tegernsee.

Die gleiche Frage kann man sich auch beim nächsten Bauwunsch eines Hausbesitzers stellen. Dieser wollte, ebenfalls in Tegernsee, mehr als die Hälfte seines Gebäudes auf Stelzen errichten. Die Herausforderung im Steilhang: mehr Platz schaffen durch eine größere Garage unterhalb des Hauses. Denn das Platzproblem wird bereits in der Einfahrt sichtbar. Dort wurde bereits eine Drehscheibe errichtet, weil Wendemanöver kaum durchführbar sind.

“Die Plattform schadet nicht. Man sieht sie nicht”, sagt Janssen und spricht von einer insgesamt “technisch sehr aufwendigen Lösung”. Am Ende wurden zwar die ursprünglich beantragten Stelzen abgelehnt. Alternativ gaben die Stadträte der Errichtung “normaler” tragender Hauswände grünes Licht.

“Tegernsee will keinen uniformen Lederhosen-Einheitsstil”

Stellt sich die Frage: Warum ist die Stadt in der einen Sache so konsequent, und auf der anderen Seite entstehen Häuser wie die “Schuhschachtel”? Wie passt das zusammen?

Grundsätzlich besteht hier ein “Konflikt” zwischen dem Baugesetzbuch auf der einen Seite – das “Häuslebauern” viel Freiraum lässt – und den von den Gemeinden erlassenen Ortsgestaltungssatzungen auf der anderen Seite. “Wir versuchen, über die Satzungen zu erreichen, dass traditionelle Bauformen möglichst erhalten bleiben”, so Janssen. So wolle man sich letztlich baulich auch von anderen Regionen unterscheiden, die sich längst von dieser Handhabe verabschiedet hätten.

Eine andere Möglichkeit, als lenkend über die ortseigenen Regelungen einzugreifen, habe man als Gemeinderat nicht. Doch alles komplett über die Ortsgestaltungssatzung zu reglementieren, sei laut Tegernseer Bürgermeister auch nicht zielführend. “Wir erwarten auch, dass Bauherren und Architekten sich an die ungeschriebenen Richtlinien der heimischen Bebauung richten”, so Janssen. Ein gut gemeinter Wunsch, der, wie man sieht, wohl nicht überall Gehör findet.

Denn: Eigentlich soll nicht jede Kleinigkeit – wie zum Beispiel die Art der Fenstersprossen – geregelt werden. “Das ist nicht erwünscht, und wir wollen einer bauliche Entwicklung weiterhin Raum lassen. Gleichzeitig lehnen wir einen uniformen Lederhosen-Einheitsstil ab”, macht Janssen klar.

Tegernsee kämpft um jeden Einzelfall

Auf die “Schuhschachtel” angesprochen, meint Janssen, dass die Wünsche des Bauherren zu weit gegangen seien. Eine Genehmigung für das Flachdach habe man nicht gegeben. Aber die Satzung habe zu diesem Zeitpunkt “Schwächen” gehabt, die dann nachträglich ausgebessert wurden. So sind neben der grundsätzlich vorgeschriebenen Dachneigung mittlerweile auch noch eine konkrete Gradzahl und ein Dachüberstand in der örtlichen Satzung verankert.

Das Flachdach der Tegernseer Schuhschachtel beschäftigt seit geraumer Zeit die Gerichte.
Das Flachdach der Tegernseer Schuhschachtel beschäftigt seit geraumer Zeit die Gerichte.

Der “Schuhschachtel”-Bauherr nutze alle Schlupflöcher und gerichtlichen Instanzen aus, um über einen langen Prozess eine endgültige Entscheidung zu verzögern. “Die Rechtsordnung bietet hier zahlreiche Möglichkeiten. Das können wir nicht ändern”, so Janssen. Insgesamt wolle die Stadt Tegernsee weiter um den Erhalt der typisch regionalen Bebauung kämpfen, den eigenen baulichen Charakter bewahren und sich hierfür auch immer den konkreten Einzelfall ansehen. “Das ist uns viel Kraft und auch Streitigkeiten wert”, betont der Tegernseer Bürgermeister.

Völlig verhindern lässt sich jede einzelne bauliche Skurrilität – wie man an den genannten Beispielen in Tegernsee sieht – allerdings nicht. Denn am Ende sind auch Faktoren wie genügend Geld, Erfahrung des Architekten und eine möglichst kreative Auslegung des gültigen Baurechts von Vorteil, möchte man kein Einheitshaus im Tegernseer-Landhausstil sein Eigen nennen.

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