Kreuths neues Gewerbegebiet - ein kommunales Lehrstück
Eine Wiese macht Millionäre

8.000 Quadratmeter Wiese in Deutschland – am Tegernsee ist das ein Lottogewinn. Voraussetzung: Eine Gemeinde, die es in Bauland umwandelt. Damit wären wir in Kreuth und seinem neuen Gewerbegebiet.

Macht diese Wiese Millionäre?

Der Bauer S. aus dem Nachbarort Rottach-Egern: Über Jahrzehnte mäht er die Wiese zwischen Jordis Steakhouse, der Wiessseer Straße und der Weissach. Dann stirbt er, hinterlässt eine Erbengemeinschaft. Die hat mit Landwirtschaft nichts am Hut, will aber das Erbe versilbern. Sie spricht 2021 beim Bürgermeister in Kreuth vor, bietet die Wiese zum Verkauf an. Er müsse es nur in Bauland umwidmen lassen, dann könne er dort Gewerbe ansiedeln lassen, so wie Kreuth es schon östlich davon gemacht hat. Ach, und ein kleiner Streifen an der Weissach, den solle er bitte für die Erbengemeinschaft freistellen. Die will dort auch ein wenig bauen. Genauer: Zwei Doppelhäuser.

Sepp Bierschneider verwaltet eine Gemeinde, die überschaubare Gewerbesteuer-Aufkommen hat. Die wirklich Reichen mit ihren Steuerzahlungen wohnen lieber in Rottach-Egern als im Bergsteigerdorf, und jene, die in Kreuth große Geschäfte machen, weisen gern Verlustvorträge aus, zahlen also kaum oder keine Gewerbesteuer. Selbst Wiessee mit seinen zweistelligen Millionen-Schulden hat erhebliche Gegenwerte in Form von Grundstücken dagegen stehen. Kreuth hat eine leerstehende Klinik. Bierschneiders Dorf ist die arme Kirchenmaus im kommunalen Tal-Tierreich.

Während man im Nachbarort ein Rathaus für satte 11,5 Millionen Euro mit Kutschenumfahrt plant, fehlt in Kreuth das Geld an allen Ecken und Enden. Allerdings inszeniert das Bierschneider auch gern, um von unliebsamen Beteiligungen an talweiten Projekten weitgehend verschont zu bleiben. Aber hier, auf dieser Wiese, da kann sich der CSU-Politiker neue Steuereinnahmen durch Gewerbe gut vorstellen.

Anzeige

So erwirbt die Gemeinde im Herbst 2021 die Wiese, nimmt sie aus dem Landschaftsschutzgebiet. Sie zahlt nicht den hohen Preis für Bauland, aber auch nicht den extrem billigen für Grünland. Bierschneider will über den genauen Kaufpreis nichts sagen, fürchtet Nachteile in kommenden Verhandlungen.

Was will die Gemeinde dort?

“Wir haben bei der Entwicklung des östlich gelegenen Gewerbegebiets von vielen einheimischen Handwerkern Beschwerden erlebt”, so Bierschneider. Zu viele Betriebe von außerhalb seien dort angesiedelt worden, Raum für die heimischen Gewerbetreibenden sei nicht vorhanden gewesen. Diesem Vorwurf wolle man nun nicht mehr hören.

Angedacht ist ein Gebäude, das die Gemeinde selbst errichtet und Flächen vermietet, allerdings sind die weiteren Planungen hierzu, so Josef Bierschneider, noch nicht endgültig erfolgt. Die Gemeinde hat also nicht den Kaufpreis zu leisten, sondern muss auch selbst als Bauherr auftreten. Primär sollen zuerst fünf Gewerbetreibende aus Kreuth auf Erbbaurechtsbasis ein Grundstück zur Verfügung gestellt bekommen. Man konnte sich bewerben, die Bewerber wurden nach einem vom Gemeinderat vorher festgelegten Punktesystem bewertet. 

Lange Warteliste oder mühsamer Abverkauf?

Mittlerweile sind alle Grundstücke vergeben. Bierschneider: “Es sind drei Unternehmen aus Kreuth und zwei ehemalige Kreuther Betriebe, die wir jetzt wieder zurücklocken konnten.” Auch wenn noch nicht alle Verträge notariell festgelegt wurden, weiß man in Kreuth, um wen es sich so handelt: Ein Holzbau-Unternehmen, ein Unternehmen für Garten- und Landschaftsbau, eines für Spezialtiefbau, ein Handwerksbetrieb mit Produktverkauf und ein Spezial-Einzelhandelsbetrieb. Gemeinderäte sind hier nicht zum Zuge gekommen.

Josef Bierschneider legt auf einen Punkt sehr viel Wert: “Wir verkaufen das Land nicht einfach. Alles läuft über Erbpacht. Und über diesen Erbpachtzins werden wir in den nächsten Jahren auch den Kaufpreis für die Wiese refinanzieren, bzw. auch dauerhaft Einnahmen für den Gemeindehaushalt generieren. Zum anderen haben wir mit der Erbbaurechtslösung auch dauerhaft sichergestellt, dass die Grundstücke nicht später mit Gewinn von den jetzigen Erwerbern weiterverkauft werden.”

Der Kreuther Bürgermeister Josef Bierschneider

Aber wenn nur zwei Betriebe von außerhalb wieder zurückkommen, wird es wirklich einen deutlichen Schub für die Steuereinnahmen geben? “Das kann”, so Bierschneider, “keiner wirklich abschätzen. Das ist eine Erwartung, die wir hier haben.” Zudem glaubt der Kommunalpolitiker an die Kraft der Marktwirtschaft: “Wenn Betriebe – wie es hier der Fall ist – nun die Möglichkeit haben, zu expandieren, besteht sehr wohl die Möglichkeit, dass sich dies positiv auf die Gewerbesteuer auswirkt. Zum anderen erreichen wir, dass diese Betriebe bei uns in der Gemeinde bleiben und nicht abwandern. Auch somit sichern wir Gewerbesteuer.”

Die Erben freut`s

Wären noch die zwei Doppelhäuser der Erbengemeinschaft. Die hat nicht nur das Geld aus dem Verkauf der Wiese an Kreuth in ihren Büchern stehen. Es kommt nun auch der Wert der vier Wohneinheiten auf der Wiese dazu. Hier runzeln viele im Tal die Stirn. Eine Gemeinde wandelt Grünland in Bauland um, und gewährt ohne jede Auflage den Bau von Doppelhäusern? Da muss der Druck gemeindeseitig wohl groß sein. Oder hat hier jemand nicht hart genug verhandelt? Ein Makler aus dem Tal dazu: “In der Lage wird der Wert der Immobilien schon fast zweistellig. Ich kann mir vorstellen, dass man das für acht, neun Millionen Euro an kaufkräftige Münchner verkauft bekommt, selbst in einem Gewerbegebiet.” So erfreut man eine Erbengemeinschaft.

Drängte die Gemeinde denn auf ein Einheimischenprojekt? Bierschneider verneint. Das wäre nicht möglich gewesen. Er sei froh, dass fast alle Hinweise und Änderungswünsche seitens der Träger öffentlicher Belange bereits in die Planung eingearbeitet worden sei. Von der Regierung Oberbayern, über den Kreisbrandrat, den Denkmalschützern bis zur Handwerkskammer wurden alle gefragt. Im Januar diesen Jahres wurde das auch in einer Niederschrift dem Gemeinderat in Kreuth mitgeteilt.

Die Gegner stehen in den Startlöchern

Also, alles läuft nach Plan? Naja. Wären da nicht die nervigen Naturschützer. Da wäre der BUND Naturschutz. Der “lehnt die Herausnahme der Flächen aus dem LSG ‘Tegernsee und Umgebung’ grundsätzlich ab.” Die Naturschützer glauben, dass weitere Herausnahmen aus Landschaftsschutzgebiet vorprogrammiert sind, und es nur noch eine Frage der Zeit sei, “bis auch die verbleibenden Flächen zwischen Zamenhofweg und Aribostraße aus dem LSG herausgenommen und einer Bebauung zugeführt werden.”

Auch die “Schutzgemeinschaft Tegernseer Tal” (SGT) kann sich mit dem Bierschneider-Plan nicht anfreunden, moniert einen erneuten Flächenfraß: “Nimmt man die waagerechte und waldfreie Fläche der Gemeinde Kreuth zwischen dem Ortskern und dem Ringsee grob geschätzt mit fünf Quadratkilometern als Referenzfläche an, so trägt dieses Bauvorhaben mit 8000 Quadratmetern bereits mit 0,16 Prozent Versiegelung bei…. Für ein LSG gilt definitionsgemäß natürlich ein Ziel von null Prozent Versiegelung pro Jahr oder Dekade.” Die SGT fordert von Gemeinde wie auch dem Landratsamt, eine Politik der Nutzung und ggf. Intensivierung bestehender Versiegelungsflächen zu betreiben …”

Josef Bierschneider weist im Gegenzug darauf hin, dass eine Ausgleichsfläche südlich des Chiemsees für die Herausnahme auch schon gefunden sei. Die Pläne sind schon sehr weit fortgeschritten. Vermutlich schon in diesem Jahr kann mit der Erschließung begonnen werden. 8000 Quadratmeter Wiese werden verschwinden. Fünf Gewerbetreibende werden neue Werkstätten bekommen. Das alles wurde einstimmig vom Kreuther Gemeinderat so beschlossen.

SOCIAL MEDIA SEITEN

Anzeige
Aktuelles Allgemein Lokalpolitik

Diskutieren Sie mit uns
Melden Sie sich an und teilen Sie
Ihre Meinung.
Wählen Sie dazu unten den Button
„Kommentare anzeigen“ aus

banner