Ermittlungen wie bei einem riesigen Puzzle

Die Ermittlungen gegen die Seniorenresidenz Schliersee dauern weiter an. Währenddessen wurde die Einrichtung am Mittwoch erneut durchsucht. Der Verdacht steht im Raum, dass die mit den Krankenkassen abgerechneten Leistungen nicht erbracht wurden. Was ist dran an den Vorwürfen?

Seniorenresidenz Schliersee -Ort von Ermittlungen von zwei Staatsanwaltschaften

Der Leitende Oberstaatsanwalt Richard Findl von der Zentralstelle zur Bekämpfung von Betrug und Korruption im Gesundheitswesen in Bayern (ZKG) bestätigt auf Nachfrage die laufenden Ermittlungen gegen den Betreiber der Seniorenresidenz in Schliersee. „Nach den Erkenntnissen, die die Staatsanwalt München II bei ihren Durchsuchungen im Rahmen ihrer Ermittlungen aufgrund der Verdachtsfälle im Bereich der Tötungsdelikte und der zigfachen Körperverletzung gewinnen konnten, haben sie Kontakt mit uns aufgenommen“, erklärt Findl.

Nach Durchsicht der Dokumente, die die Münchner Beamten bei ihren Ermittlungen sicherstellen konnten, ergab sich auch bei den Nürnberger Ermittlern der Anfangsverdacht auf Abrechnungsbetrug, so der leitende Staatsanwalt weiter. Bei einem Verdacht auf Abrechnungsbetrug geht es darum, ob die mit den Krankenkassen abgerechneten Leistungen auch wirklich erbracht wurden.

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Damit begannen die Ermittlungen, die gestern zu der erneuten Durchsuchung der Einrichtung in Schliersee führten. Gemeinsam mit 33 Kripobeamten aus Rosenheim wurden Berge von Dokumenten und teilweise auch digitales Material gesichtet und sichergestellt.

Zu wenig Personal – zu hohe Abrechnungen

Die Frage, die sich den Ermittlern stellt, ist: Kann ein Pflegeheim, das nachweislich große Personalprobleme hat, eine solche Vielzahl von Diensten wirklich leisten, wie mit den Kassen abgerechnet wurden? Während des Corona-Ausbruchs musste sogar die Bundeswehr in Schliersee mit Personal aushelfen.

Eine komplexe Frage. Augenscheinlich gewann die Ermittlungsbehörde aber die Erkenntnis, dass es eine große Diskrepanz zwischen dem ermittelten Personalschlüssel und den tatsächlich abgerechneten Leistungen in der Einrichtung in Schliersee gab.  Dieser begründete Verdacht ermöglichte schlussendlich die Durchsuchung. „Das besondere bei der Dokumentation der Abrechnungen im Gesundheitsbereich ist es, dass alles noch in Papierform abgewickelt wird“, berichtet der leitende Staatsanwalt.

Das bedeute, jede einzelne Rechnung, sei es für Spritzen oder das Anlegen von Stützstrümpfen oder jede andere Leistung durch die Einrichtung, werde auf Papier erstellt und dokumentiert, führt Findl weiter aus. Das erschwere die Ermittlungsarbeit ungemein und eröffne andererseits kriminelle Handlungen. „Papier ist geduldig. Uns sind bei Ermittlungen schon komplett gefälschte Dokumentationen untergekommen“, berichtet der Oberstaatsanwalt von früheren Fällen.

“Schlaraffenland für Kriminelle”

Die Nürnberger Behörde ZKG wurde im erst im September vergangenen Jahres gegründet. Die Zentralstelle beschäftigt sich ausschließlich mit Betrugsstraftaten im Gesundheitswesen. Der nun übernommene Fall in Schliersee ist die erste große Ermittlung in einem Pflegeheim.

Ein aufsehenerregender Schlag gegen die Korruptions- und Betrugskriminalität im Gesundheitswesen gelang der ZKG und anderen beteiligten Ermittlungsbehörden zuletzt bei einem Augsburger Pflegedienst. Bei der damaligen Razzia konnten rund acht Millionen Euro in bar sowie Wertgegenständen sichergestellt werden.

Der leitende Ermittler der Staatsanwalt München I Hans Kornprobst bezeichnet in diesem Zusammenhang das deutsche Gesundheitswesen in Teilen als „Schlaraffenland für Kriminelle.“ Allein im Jahr 2018 betrug laut Statistischem Bundesamt das Gesamtumsatzvolumen im Gesundheitswesen 390,6 Milliarden Euro.

Papierberge türmen sich bei Ermittlern

Die Ermittlungen im Schlierseer Verdachtsfall werden sich laut Findl noch lange hinziehen. „Stellen sie sich die Unmengen an Dokumenten vor, die die Rosenheimer Kripo jetzt sichten, zuordnen und bewerten muss. Jede Dienstleistung muss, soweit das möglich ist, gesondert geprüft und dann mit dem jeweiligen Personalschlüssel abgeglichen werden.“ Das sei wie ein riesiges Puzzle mit unglaublich vielen Teilen, das zusammengesetzt und überprüft werden muss.

Insgesamt umfassen die Ermittlungen einen Zeitraum von fast zwei Jahren – beginnend im Mai 2019. Damals hat die italienische Firma Sereni Orizzonti 1 SpA in Udine die Seniorenresidenz Schliersee übernommen. Eine Zusammenarbeit mit den italienischen Behörden findet momentan laut Findl noch nicht statt. “Zurzeit konzentrieren sich die Ermittlungen auf die Einrichtung in Schliersee.”

Auch ein weiteres Altenheim in Augsburg, das von dem gleichen Betreiber geführt wird, ist noch nicht im Fokus der Staatsanwaltschaft. In diesem Zusammenhang macht der Leiter des ZKG noch einmal deutlich, dass es sich bei Betrug in der Gesundheitswirtschaft nicht um Kavaliersdelikte handelt:

Die überwiegende Mehrheit der Betreiber und Mitarbeiter im bayerischen Gesundheitswesen leisten eine wunderbare Arbeit für die Gesellschaft. Aber es gibt wirklich schwarze Schafe in dem Bereich, die versuchen Profit zu machen auf Kosten der Krankenkassen, Versicherungen und damit der Gemeinheit. Und sie nehmen dabei Gesundheitsschäden bei Patienten in Kauf. Dagegen werden wir in Zukunft konsequent vorgehen.

Das Landratsamt Miesbach hat in Bezug auf möglichen Abrechnungsbetrug übrigens keine Befugnisse, wie Sprecherin Sophie Stadler betont: “Wir bzw. die FQA (Fachstelle für Pflege- und Behinderteneinrichtungen – Anm. der Redaktion) ist ausschließlich für die Pflege- und Wohnqualität in Einrichtungen zuständig. Von evtl. Abrechnungsmängeln erhalten wir keinerlei Kenntnis – wir haben davon aus den Medien erfahren. Selbst wenn wir es gewusst hätten, würde uns jede rechtliche Grundlage fehlen, um daraus Konsequenzen zu ziehen. Hierfür sind andere Behörden zuständig.”

Eine Anfrage der Tegernseer Stimme an die italienische Betreiberfirma Sereni Orizzonti 1 SpA zu den gegen sie erhobenen Vorwürfen der deutschen Staatsanwaltschaft wurde bisher noch nicht beantwortet.

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