Morgen streiken die Apotheken – auch im Tal
“Es geht um unsere Existenz”

Morgen sind viele Apotheken zu. Grund ist ein bundesweiter Protesttag, der auf die schwierige Situation der Apotheken aufmerksam machen will. Auch im Tegernseer Tal beteiligen sich Apotheken.

Andreas Obermüller, Apotheker aus Tegernsee

Das Motto der Aktion lautet “Apotheken kaputtsparen? Mit uns nicht!”. Initiiert hat den Protest die Bundesvereinigung Deutscher Apothekenverbände (ABDA). Auch im Tal wird gestreikt. Wir haben Andreas Obermüller, Apotheker aus Tegernsee, nach den Gründen gefragt.

Warum streiken Sie? Und: Dürfen Sie das überhaupt?

Es geht um nichts weniger als den Fortbestand der zeitnahen Versorgung mit Arzneimitteln in Deutschland durch die Apotheken vor Ort. Grundsätzlich müssen Apotheken zu bestimmten Zeiten geöffnet sein und Notdienste leisten, das ist ihr Auftrag. Im Gegenzug ist der Staat gesetzlich verpflichtet, die Vergütung hierfür auskömmlich festzulegen. Das ist nun nicht mehr gewährleistet, sodass die Aufsichtsbehörden den Streik genehmigt haben.

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Es gibt im Volksmund den Begriff der „Apothekerpreise“. In der Wahrnehmung vieler Menschen haben Sie und Ihre Zunft immer gut verdient. Das gilt vor allem in einer Region mit einer wachsenden Gruppe alternder Menschen. Wie sehen Sie das in Zusammenhang mit Ihren Forderungen?

Über Apothekerpreise können Sie mit Baron Münchhausen in seiner Gruft sprechen. Die Situation hat sich radikal gewandelt und die Klischees von gestern helfen heute niemandem weiter. Von früher 16 Apotheken am Tegernsee haben acht für immer geschlossen. Aus der Altersstruktur am Tegernsee ziehen wir keine besonderen Vorteile.

Von früher 16 Apotheken am Tegernsee haben acht für immer geschlossen. Aus der Altersstruktur am Tegernsee ziehen wir keine besonderen Vorteile.

Ältere und weniger mobile Menschen beliefern wir gerne. Dafür ist es schwieriger, junge Leute für eine Ausbildung zu gewinnen. Denn Apotheken sind spannende und interessante Arbeitsplätze.

Das Gesundheitsministerium behauptet, Apotheken hätten insbesondere in der Pandemie-Zeit überdurchschnittlich profitiert. Bei Zertifikaten + Impfstofflogistik war kein Finanzeinsatz zu leisten gewesen, lediglich der Arbeitseinsatz wäre erforderlich gewesen. Das habe sich extrem auf das Betriebsergebnis der Apotheken ausgewirkt. Wie sehen Sie das?

Die Impfstoffe wurden ganz normal bestellt und abgerechnet. Die Margen für Impfstoffe sind sehr niedrig. Für eine 10er-Packung gegen Gürtelrose bekommen wir 1.517,74 Euro und müssen 1.504,24 dafür bezahlen. Also bleiben mir 13,50 Euro, während der Staat 288 Euro Mehrwertsteuer kassiert. Bei Corona-Impfstoffen war es ähnlich. Zum Teil nur schwer und mit großem Aufwand zu bestellen und alles in großer Hektik. Hieraus nun zwei Jahre später einen „Winterspeck“ zu konstruieren, von dem man jahrelang zehren könnte, ist abwegig. Für mich waren 2021 und 2022 vom Betriebsergebnis die schlechtesten Jahre seit 1993.

In der Tat ist die Anpassung des Fixpreiszuschlags nicht bzw. wenig angehoben worden. Aber Sie haben doch einen Anstieg der Nacht- und Notdienstpauschalen erhalten? 

Der Fixzuschlag von 8,10 Euro wurde 2004 zusammen mit dem Versandhandel eingeführt, damit Versandapotheken bereits ab einer Packung portofrei versenden können. Das wurde unter Bundeskanzler Gerhard Schröder so bestimmt. Dazu gab es noch 3 Prozent als umsatzabhängige Komponente. 2010 wurde auf 8,35 Euro erhöht, seit 1. Januar 2023 wurden uns wieder 0,23 Euro abgezogen, sodass wir im Jahr 2023 auf der Vergütung von 2004 sitzen. Wenn ein Pharmakonzern einen Preis um 10 Euro erhöht, bekommt die Apotheke 30ct, der Staat aber 1,90 Euro mehr Mehrwertsteuer und ist zufrieden. Also ist die Apotheke dauerhaft von jeder wirtschaftlichen Entwicklung abgekoppelt, soll aber höhere Kosten und jetzt 10 Prozent Inflation bestreiten können. Kein Handwerker oder Dienstleister kann jetzt mit den Einnahmen von 2004 auskommen.

Und die Präsenz-Pauschale?

Die Nacht- und Notdienstpauschale wird aus einem Fonds bezahlt, nicht von der Regierung und nicht von den Kassen und beträgt ca. 400 Euro für 24 Stunden. Wer arbeitet an einem Sonntag für 16,67 Euro brutto Stundenlohn? 

Wo geht die Reise hin? Was ist die Zukunft der Apotheken? Werden Sie, wie viele Einzelhändler auch, von ausländischen Online-Riesen wie „Shop-Apotheke“ langfristig verdrängt? 

Es ist der erklärte Wille der Regierung, das bestehende System abzuschaffen. Das läuft gegen die Interessen der Menschen in unserem Lande. Das lassen wir nicht zu. Den feindlichen Standpunkt der Regierung kann man schon darin erkennen, dass nichts gegen die Arzneimittelknappheit unternommen wird.

Stimmt Sie diese Entwicklung traurig?

Ich bin nun seit über 30 Jahren Apotheker und habe ganz andere Zeiten erlebt, wo noch der Mensch und sein Wohlergehen im Mittelpunkt standen. Ja, es macht mich traurig, aber auch zornig, dass man ein bewährtes System einfach so vor die Hunde gehen lässt.

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