Der Landrat, die Flüchtlinge und die ängstlichen Bürgermeister
Es riecht nach Wahlkampf: Karriere vor Solidarität

Zwischen Landrat und Landkreis-Gemeinden knirscht es. Vordergründig geht es um Flüchtlinge. Aber dahinter zeigen sich die nächsten Karriere-Ziele einzelner Bürgermeister. Das alles geschieht auf dem Rücken vieler Menschen – nicht nur die der Flüchtlinge. 

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Dicht an Dich, so wohnen Geflüchtete in den Turnhallen. Foto: Redaktion

Wenn der Bus kommt, sinkt die Laune des Landrats in den Keller. Die Regierung Oberbayern schickte dem Landkreis vor zwölf Tagen eine Buslandung voller Flüchtlinge, und am Anfang der Woche kam gleich der nächste. Bis zu 100 neue Menschen, die untergebracht und versorgt werden müssen. Aber Landrat von Löwis hat weder Platz für sie, noch kann er auf die Solidarität seiner Landkreis-Bürgermeister setzen. Die ducken sich weg.

Und das ist für einen Landkreis wie Miesbach, der von jeher CSU-Land war, erstaunlich. Denn hier gibt es Opposition von Grün-links nur in Promille-Dosen. Der Widerstand gegen die Aufnahme? Die kommt von den eigenen Parteifreunden …

Die Situation

Die Flüchtlingszahlen 2024 sanken bundesweit zum Vorjahr um mehr als 20 Prozent von 204. 461 auf 160.140 Erstanträge. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte: Die Weltsituation sieht derzeit nicht nach Entspannung aus. In der Ukraine tobt ein Krieg, der, vor allem bei einer Niederlage der Ukraine, massive neue Flüchtlingsströme erzeugen wird. In Nahost werden, Abkommen mit der Türkei hin oder her, mehr Menschen den Bomben der Kriegsparteien entfliehen wollen.

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Und hier im Landkreis? Spricht man mit den Verantwortlichen, spürt man die Hilf- und Ratlosigkeit. Ein Landkreis steht am unteren Ende der Entscheidungskette, eingezwängt zwischen einer Bundes – und auch Staatsregierung, die den Strom der Flüchtlinge schlecht oder gar nicht lenkt und kommunaler Funktionäre, die angesichts naher Gemeindewahlen meist nur blocken.

Von Löwis und all seinen Mitarbeiterinnen im Landratsamt Miesbach (LRA) werden zwischen der Wirklichkeit und dem Realitätsverlust verschiedener Interessengruppen aufgerieben. Jüngstes Beispiel: Die regelmäßige Bürgermeister-Dienstbesprechung. Vor einigen Wochen noch wollten alle 17 Kommunen eine Art Solidaritätsaussage treffen. Es ging um Quoten und eine gleichmäßige Verteilung auf alle Kommunen. Aber schon hier scheiterte es. Kommunen wie Hausham oder Rottach-Egern scherten aus, kochten ihre eigenen Suppen, verweigerten die Aufnahme von Kontingenten. Das hat Gründe:

Die Wahlen und die Regionen

17 Gemeinden hat der Landkreis. Einige von ihnen übernehmen massiv Flüchtlinge, auch gegen den Willen vieler Einwohner in den Orten. Sie sehen ihre Verpflichtung in einem größeren Rahmen. Damit gibt es einen Graben zwischen dem Norden und dem Süden des Landkreises, zwischen den Nordgemeinden wie Holzkirchen und den touristischen Orten im Tegernseer Tal oder am Schliersee. Das ärgert einige Kommunalpolitiker. Aber selbst im Süden zeigt sich ein Missverhältnis: Während die Stadt Tegernsee seit Jahren die örtliche Turnhalle für über 150 Flüchtlinge zur Verfügung stellt, zuckt man weiter südlich in Rottach-Egern nur mit den Schultern, verweist auf fehlenden Platz und die Verantwortung den Bürgern und Gastgebern gegenüber. 

Anders in Bad Wiessee. Dort sind über 150 Flüchtlinge von Afghanistan bis zur Ukraine untergebracht. Kein Verbrechen oder Belästigung wurde bisher gemeldet. Alles ruhig am Westufer. Landrat von Löwis, der in diesem Jahr 70 Jahre wird, steckt in einer Zwickmühle: Von oben werden ihm die Flüchtlinge bald im Wochenrhythmus ‘auf den Hof gestellt’. Von unten schauen seine Bürgermeister weg, helfen ungern, verweisen auf andere.

Warum? In knapp zwei Jahren sind Wahlen auf kommunaler Ebene. In den 17 Gemeinden stehen dann Neuwahlen an: Gemeinderäte und Bürgermeister werden neu gewählt. Jedes Blockieren kommt bei Teilen der heimischen Bevölkerung gut an. Jedes Aufnehmen von Menschen wird als Schwäche des örtlichen Bürgermeisters ausgelegt, so hört man es von den Verantwortlichen. Alle eint, dass sie ungern öffentlich darüber reden.

Ein Brief ohne Substanz 

Lieber schreibt man Briefe an den “sehr geehrten Herrn Landrat”. Denn die Bürgermeister sind in einer machtvollen Position. Von Löwis kann ihnen die Menschen nicht einfach zuweisen. Sie können blockieren, und das tun sie auch. Bestes Beispiel ist Vize-Landrat Jens Zangenfeind (52), der sich erst kürzlich gegen eine Unterbringung in dem ehemaligen Impfzentrum zur Wehr setzte (mit einer Veränderungssperre). Damit brachte er die Stimmung im Landkreis zum Kippen. Weil Zangenfeind mit seiner Abwehrstrategie Erfolg hatte, rückte Schliersee nach. Zu groß sei die Angst vor dem Unwillen der Wählerinnen und Wähler, hört man aus den Kommunen.

Doch das Ausscheren von Zangenfeind ist nicht nur unsolidarisch, es wird von Kollegen als eiskaltes Kalkül beschrieben: Der Jurist aus der einstigen Bergarbeiter-Gemeinde schart mit den Hufen, will von Löwis beerben. Er will der nächste Landrat werden. Ein FW-Landrat in der einstigen CSU-Herzkammer, den Landkreis Miesbach?

Das wäre für Figuren wie Aiwanger ein Triumph. Während sich also Jens Zangenfeind aus Hausham als Blockierer positioniert, ringt von Löwis verzweifelt mit den neuen Flüchtlingskontingenten. Egal, wo er anklopft, keiner will ihm leichtfertig die Tür öffnen. Zur letzten Bürgermeister-Besprechung Ende September war von Löwis zwar eingeladen, aber dann doch ausgeschlossen. In dieser Sitzung entsteht ein wachsweicher Brief an von Löwis, der der Redaktion vorliegt. Er beschreibt das Machtgefälle zwischen Landrat und Kommunen.

Hier sollte ein Erstaufnahmezentrum entstehen – eigentlich…Foto: Redaktion

“Schriftfüher” und Vize-Landrat kommt hier recht dickhosig daher, schlägt viel Abstimmung vor, sagt sonst nur Vages zu und fordert, dass “konstruktive Kritik immer möglich sein müsse”. 

Zuerst einmal kritisiert Zangenfeind Kommunikation zwischen LRA und den Gemeinden. Man wolle mehr Termine zum Thema Unterbringung von Flüchtlingen haben. Er fordert die “Klarstellung der Rechtslage” über eine Verpflichtung der Gemeinden zur Aufnahme anerkannter Flüchtlinge. Dann kommt er auf “das Weilheimer Modell” zu sprechen. 

Weilheimer Modell eher etwas für die Zukunft

Im dortigen Landkreis sollen mit Geldern der Regierung Oberbayern Fertig-Holzhäuser entstehen, die bis zu zehn Jahre für die Unterkunft von Geflüchteten genutzt werden, dann aber allen Menschen. Es geht hier um bezahlbaren Wohnraum für die Zukunft. Auf einer “Klassenfahrt aller Bürgermeister des LK Miesbachs konnte sich die Herren erst kürzlich ein Bild davon machen. Die Regierung Oberbayern zahlt, die Gemeinde übernimmt. So etwas gefiel auch Zangenfeind. Vor allem – die Gemeinde Waakirchen im Westen des Landkreises, schön weit weg von Hausham, soll das Projekt übernehmen.

Nur – das ist eine mittelfristige Lösung, sie hilft dem Landrat von Löwis aktuell nicht. Er braucht jetzt die Solidarität der Kommunen. Nun ist Zangenfeind bei den meisten Kollegen nicht sehr beliebt, so scheint es. Der Karriere-orientierte Jurist aus Hausham sieht sich schon längst in Miesbach. Doch nicht alle wollen dem Rechtsanwalt aus Hausham folgen. Zwar gehen einige seinen Blockade-Weg mit, fürchten sich vor den Stimmen aus der eigenen Kommune. Aber Landrat der Freien Wähler Landrat? In Miesbach? Der CSU-Herzkammer?! 

Ein Blick zurück in die (CSU-selige) Kreidlzeit

Jeder, der mit der örtlichen Kommunalpolitik der letzten Jahre vertraut ist, kann sich ausmalen, wie Löwis’ Vorvorgänger, Jakob ‘Jacko’ Kreidl, vorgegangen wäre. “Der hätte sofort die Daumenschrauben angezogen, und im Zweifel seinen Bluthund Georg Bromme von der Kreissparkasse auf den Kollegen losgelassen”, erklärt ein Bürgermeister aus dem Südkreis. Konkret: Kreidl hätte sich die fehlende Solidarität seiner Bürgermeister niemals gefallen lassen, hätte sie recht schnell und hart Maß nehmen lassen. Denn so ein Bürgermeister einer kleinen Gemeinde, der will ja auch mal was vom Landrat. Und da war man dann eben nicht erreichbar in Miesbach, “bis das Bürgermeisterchen nach Miesbach auf allen Vieren kroch”… 

Diese seligen CSU-Zeiten aus der Kreidlzeit sind vorbei. Neben den Freien Wählern ist rechts von der CSU noch die AfD dazugekommen. Auch sie wartet nur auf schlechte Flüchtlingserzählungen, will das Hetze-Feuer schüren. Noch ist die Rechtsaußen-Truppe personell schwach, aber die Erfolge im Osten lassen Hemmungen bei vielen fallen. Nicht unwahrscheinlich, dass sich einige Konservative im Landkreis in den nächsten Monaten eher bei der Höcke-Partei wohlfühlen. Unterstützt werden sie von heimischen Unternehmern, die nach und nach ihre Zurückhaltung gegenüber Rechts fallen lassen. Diesen Macht- und Personalverlust fürchtet die CSU, so wie sie auch einen Freien Wähler Landrat nicht in Miesbach sitzen haben will. 

Wohin geht die Reise?

Während sich der “liebe Jens” aus Hausham inhaltlich vom Landrat von Löwis absetzen will, um seine Chancen auf eine Landrats-Nachfolge zu verbessern, schauen einige Amtsträger mit Schaudern auf die kommenden Kommunalwahlen 2026. Die Wahlen in Sachsen und Thüringen in diesem Jahr lassen nichts Gutes erahnen. Mit Zangenfeinds Move geraten die Bürgermeister unter Druck in der eigenen Kommune. Die Stimmung sieht nicht nach Solidarität, sondern nach Ablehnung aus. Mit Solidarität gewinnt keiner etwas, so scheint es.   

Wer fängt den Flaschengeist wieder ein?

Der Jurist Jens Zangenfeind hat mit seinem “Nein” einen unsolidarischen Geist aus der Flasche gelassen. So etwas kann auch nach hinten losgehen, emotionalisiert ein Thema, das Sachlichkeit und Pragmatismus benötigt.  

Die Führung der CSU hingegen sollte sich hingegen wohl überlegen, ob es klug ist, einen der ihren so von den eigenen Partei-Minions im Landkreis vorführen zu lassen.  

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