Bergsteigerdörfer sollen kleine Gemeinden im Alpenraum sein, die auf natürlichen Tourismus ausgerichtet sind und damit den Erhalt von Natur und Landschaft fördern. Groß geschrieben werden dort auch der Bergsport ohne Seilbahnen, regionale Wertschöpfung und gelebtes Brauchtum. Bisher wurden in Deutschland Ramsau bei Berchtesgaden, Sachrang und die Nachbarkommune Schleching in das Netzwerk der Bergsteigerdörfer aufgenommen.
Die Initiative wurde 2005 vom Österreichischen Alpenverein ins Leben gerufen, der DAV hatte sie übernommen. In Österreich gibt es bereits 20 Bergsteigerdörfer. Inzwischen sind auch die Alpenvereine von Südtirol, Italien und Slowenien dabei. Etliche Vertreter davon mischten sich heute unter die zahlreichen Ehrengäste. Gut hundert Personen machten sich auf den Weg von der Molkehalle in Wildbad Kreuth zur 1115 Meter hochgelegenen Königsalm. Beide Gebäude gehören Herzogin Helene in Bayern. Und deren “Refugien” sorgten für einen dem Anlass entsprechenden Rahmen, eingefangen von zahlreichen TV-Sendern.
„Ich habe einen Traum“
Da Kreuth Bürgermeister Josef Bierschneider sein Projekt und Lieblingskind in den letzten Monaten energisch vorantrieb, freute er sich um so mehr, dass sein Bemühen nun mit dem Siegel Bergsteigerdorf gekrönt wird. „Es war eine lange Zeit der Prüfung“. Sein Bestreben war es, die Menschen für einen Urlaub in Kreuth zu begeistern, „für die der verantwortungsvolle Umgang mit der Natur wichtig ist und diese nicht als Konsumobjekt sehen“.
Bierschneider machte sich den Spruch des schwarzen Bügerrechtlers Martin Luther King von 1963 zu Eigen: „Ich habe einen Traum“. Durch Veränderung in den Köpfen der Menschen sollte die Welt besser werden. Bierschneiders Traum ist es, „Kindern die Schönheit und Werte unserer Heimat weiterzugeben und Ererbtes zu bewahren“. Dass die Bergsteigerdorfidee im Ort „schon Wurzeln geschlagen hat“, zeige für ihn ein Schild am Waldfest: „Letztes Brathendl vorm Bergsteigerdorf“.
Zwiespalt zwischen Blechlawinen und Naturtourismus
Von der Authentizität Kreuths war Wirtschaftsminister Franz Josef Pschierer beeindruckt. „Bewahrt euch die Regionalität“, meinte er beim Blick auf das Catering der Naturkäserei Tegernseer Land. Pschierers Credo: „Tourismus im Einklang mit Mensch und Natur“. Sein Haus werde keinen „Eventtourismus wie in Nachbarländern“ subventionieren.
Damit Kreuth Marketingmaßnahmen zur Stärkung des „naturverträglichen Tourismus“ durchführen könne, überreichte Pschierer einen Scheck von 30.000 Euro. Mehr hatte sein Kabinettskollege Marcel Huber zu bieten. Der Umweltminister will vor allem das Mobilitäts- und Verkehrskonzept gefördert wissen. Dafür spendierte er 84.000 Euro. Denn, so Huber weiter:
Der Verkehr ist eine Herausforderung unter dem Gesichtspunkt des naturverträglichen Tourismus.
Schecks hatte Ilse Aigner beim ihrem „Heimspiel“ zwar keinen dabei, dafür aber ein Lob für Bierschneider: „Sepp, du hast es hier schön erwischt“. Die Gemeinde sei ein „Schmuckkasterl“. Drei Gemeinden hatte sie schon mit dem Siegel geadelt, nun noch Kreuth in „meinem Stimmkreis. Das ist schon ganz was Besonderes“. Denn die Menschen wollen sich hier in einer Bilderbuchkulisse erholen.
Klasse statt Masse – Genuss statt Hektik, so lautet das Motto der Bergsteigerdörfer. Dass dies im Freiluft-Wohnzimmer der Münchner auch möglich ist, davon musste Bierschneider im vergangenen Jahr den DAV erst überzeugen, denn bis dahin sei Kreuth mehr aus der Bundesstraßen-Perspektive der B307 betrachtet worden, die sich vom Tegernsee bis zum Achensee zieht.
Handikap für Kreuth war zunächst auch, dass die ganze Gemeinde 3500 Einwohner hat und damit 1000 mehr als der Alpenverein für seine Bergsteigerdörfer höchstens akzeptieren will. Da blieb nur, vier Ortsteile Richtung Tegernsee abzutrennen, in denen sich Zweitwohnungen und der Rummel breit gemacht haben. Die Abgrenzung war laut Bierschneider eine Bedingung des DAV, der mit dem Zertifikat eine ganz andere Art von Touristen anlocken will. Menschen, die Ruhe und die Landschaft genießen wollen.
Doch trifft dies auf die üppig dimensionierten Wanderparkplätzen, die an Wochenenden überquellen, noch zu? Dann, wenn sich Tausende in längeren Schlangen zum Hirschberg oder zum Roß- und Buchstein hochschlängeln, die Almen und Berghütten belagern und anschließend in den Waldfesten feiern. Die Süddeutsche Zeitung jedenfalls sieht dies kritisch und spricht von einer „unverdienten Auszeichnung“ Kreuths, mit der sich der DAV „keinen Gefallen tut“. Denn dies sei der erste Schritt zur „Verwässerung des Gütesiegels“. Dennoch wird eingeräumt, dass man durchaus noch seine Ruhe „hinten in den Blaubergen“ finden würde.
Kreuths Auszeichnung als Verpflichtung
Statt dem schnellen Umsatz mit unzähligen Tagesausflüglern setzt Bierschneider mit dem Prädikat Bergsteigerdorf dagegen auf die Menschen, die sich vier oder fünf Tage oder gleich eine Woche Zeit lassen, die sich einlassen auf den Ort und auf die Natur. Dafür gebe es viele kleine Gastgeber statt Hotelburgen, den Gratisbus für Bergsteiger, das mit Solarenergie geheizte Warmbad und die Naturkäserei.
Insgesamt 22 Partnerbetriebe des Bergsteigerdorfs kann Bierschneider präsentieren. Vom Bäcker mit dem Bergsteigerbrot über die herzogliche Fischzucht bis zum E-Bike-Verleih. So lange damit keine Motorcross-Veranstaltungen organisiert würden, so der DAV, akzeptiere er diese Art von Motorisierung. Für Bierschneiders Projekt könnte dies aber zur Gratwanderung werden, denn er sprach sich dagegen aus, für irgendeinen spektakulären Funsport eine Schneise durch den Bergwald zu schlagen.
Er denkt vorrangig an die kommenden Generationen, für die das Siegel Bergsteigerdorf zur moralischen Verpflichtung werden könnte, Natur und Kultur in Kreuth zu erhalten. Der Grundstein wurde heute gelegt. Am 3. Oktober soll das Siegel in großer Runde mit den Bürgern gefeiert werden, „für die das Bergsteigerdorf geschaffen wurde“.
Fotostrecke von den Feierlichkeiten an der Königsalm
Nach gut eineinhalb Stunden ist die Königsalm erreicht.[/caption]
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