Früher war mehr Neger

Am Mittwoch haben die Gmunder Ministranten wie so viele junge ehrenamtliche Könige im Landkreis dem Schneesturm getrotzt und als Sternsinger die Häuser gesegnet. Auch unsere Redaktionsräume. Und haben alte Wunden aufgerissen: Otterfing, im Januar 1988…

Otterfing 1988: Vier drei Könige und ein Freak.

Mein Stern als Ministrant sank seinerzeit, seit ich bei einem sommerlichen Ministranten-Ausflug im Reisebus zur Glentleiten beim ausgelassenen (Spar-)Witzeerzählen des Pfarrers von den dienstältesten Meßdienern hämisch nach vorne geschickt wurde, um folgenden Witz ins Mikro zu leiern:

Wehenn ahles schweigt und eihner lahcht, hat der Bfarer eihnen Wietz gemahcht.

Anzeige

Unverzüglich traf mich mit bösen Blicken des Gemeindepfarrers der gesamte Zorn Gottes und ich sollte fortan keinen Fuß mehr auf den Boden bekommen, was meinen Dienst an der Kirche anbelangte.

So wurde ich systematisch im Dienstplan des Jahreslaufes benachteiligt: Während die Kollegen auf einer Hochzeit nach der anderen ministrieren und beim „Absperren“ satte D-Mark-Beträge einstreichen durften, war ich überproportional oft auf Beerdigungen im Dienst oder musste mich beim sterbenslangweiligen abendlichen Rosenkranzbeten mit alten Weibern wachhalten.

Und als jedes Jahr die Sternsingertrupps rekrutiert wurden, wurde scheinbar von ganz oben der Befehl ausgegeben:  Kirschenhofer, Neger, längstes Verserl. Während meine Spezln also im feinsten königlichen Ornat und Seidenleibchen ausrücken durften, beinahe prinzessinnenhaft rein und schön, musste ich mich jeden Morgen von meiner Mutter in den buntesten Klamotten zum kompletten Deppen herrichten lassen.

Früher war mehr Blackpainting

Höhepunkte der Erniedrigung waren zum einen eine lila Mädchen-Pyjamahose und zum anderen diese schwarze Schminke, die so erbärmlich gestunken hat, dass man sie heutzutage bei der VIVO in Warngau bestimmt als Problemmüll entsorgen müsste. Vom Schneeregen durchnässt hatte ich das Zeug spätestens beim dritten Singen und Rezitieren dann auch im Maul. Dem Herrn sei Dank, dass ich den Teer- und Formaldehydgeschmack in meinem Munde zwischen den einzelnen Hausbesuchen immer wieder mit Leckereien aus unserem mitgeführten Leiterwagen für einige Momente neutralisieren durfte.

Überhaupt war es recht lustig.

Unser Weihrauchfasslbeauftragter agierte äußerst vorausschauend: Schien etwa die Dachgeschosswohnung einer bereits betagteren und alleinstehenden Glaubensschwester mit besonders wenigen Fenstern ausgestattet zu sein, haben wir unsere Litanei extra langsam aufgesagt, dass er in Ruhe solange „Dampf“ machen konnte, bis man die Hand vor Augen nicht mehr gesehen hat.  Zufrieden haben wir danach mit einem der Schokoriegel vor den Häusern gewartet und uns jedes Mal, ja, königlich amüsiert, wenn das erste Fenster aufging und gelbliche Rauchwolken in den grauen Otterfinger Himmel stiegen.

Königlich vorbildlich

Unser Leitkönig – in Otterfing mittlerweile eine politisch und kulturell prominente Person – verschaffte uns damals schon energisch Zutritt bei Sozialdemokraten und anderen widerborstigen Gottlosen. Je nach Publikum wurden Verse verändert, verkürzt oder weggelassen, und hat einer einmal das Lachen angefangen, konnten wir bis zum Einbruch der Dunkelheit nicht mehr aufhören damit.

Das „19+C+M+B+88“ fiel vor allem auf den adretten Haustüren von Saubermann-Familien gerne mal etwas schiefer, falscher und ausladender aus, vor allem, wenn sie uns nicht aufmachen wollten – und um im Leiterwagen Platz zu halten für das Hamstern wunderbar plombenziehender Süßigkeiten der späten „Eighties“ wurden Äpfel, Orangen und derlei Nicht-Belohnungen unterwegs sofort wieder dem Kreislauf der Natur überantwortet.

Ordentlich Dreck, guter Zweck

Und so haben wir an drei Tagen das Licht, den Segen und einen Haufen Blödsinn, Dreck und Gestank in die Häuser unseres Planquadrates getragen und einen knapp vierstelligen Betrag für Bedürftige in Holzkirchen oder irgendwelchen anderen antikapitalistischen Problemgebieten zusammengesungen.

Der nämliche Trupp, vielen Otterfingern als “das Königlichste, was sie je erlebt hatten” in vorwiegend guter Erinnerung, wurde übrigens vor wenigen Jahren wegen akuten “Königsmangels” nochmals re-aktiviert.

Allerdings ohne den “Neger”. Diese Schminke gibt es nicht mehr.

SOCIAL MEDIA SEITEN

Anzeige
Aktuelles Allgemein

Diskutieren Sie mit uns
Melden Sie sich an und teilen Sie
Ihre Meinung.
Wählen Sie dazu unten den Button
„Kommentare anzeigen“ aus

banner