Es darf wieder an den Putsch erinnert werden
Gebirgsschützen kommen Heiligabend wieder in Waakirchen zusammen

Jedes Jahr Gedenken die Gebirgsschützen an Heiligabend der Sendlinger Mordweihnacht. In diesem Jahr hat die Zusammenkunft aber eine besondere Note. Grund: die Razzien gegen Reichsbürger.

Die Sendlinger Mordweihnacht in Waakirchen / Foto: Tobias Hase/dpa

Stolz steht der Löwe und blickt über Waakirchen. Das bronzene Denkmal erinnert an einen vergangenen Aufstand gegen Besatzer. 1705 erhoben sich Oberbayern, kämpften und verloren gegen österreichische Soldaten. Der blutige Endpunkt fand in der sogenannten Sendlinger Mordweihnacht statt. Über Jahre erinnerten Treffen der Gebirgsschützen zu Heiligabend an dieses Massaker vor über 300 Jahren. Heuer hat die Zusammenkunft eine ganz besondere Note. Grund: die aktuellen Razzien gegen Reichsbürger. 

“Lieber bairisch stea’m als kaiserlich verdea’m”. Das war das Motto von einst. Bayern erhoben sich gegen das Joch der Österreicher. Die hatten das Land mit drastischen Steuererhöhungen und Zwangsrekrutierungen drangsaliert und nahezu ausbluten lassen. Der Aufstand gegen die Unterdrücker misslang. Tausende ließen ihr Leben, unter ihnen viele Bauern. Immer Heiligabend kommen zum Gedenken an dieses Massaker die hiesigen Gebirgsschützen zusammen. Schließlich war es pandemiebedingt zwei Jahre lang nicht möglich. Aber nun, Ende 2022, ist es wieder soweit. 

Gern gesellen sich örtliche Würdenträger hinzu. Vom Pfarrer bis zur Landtagspräsidentin – alle lassen sich gern in diesem Rahmen ablichten und befragen. Ministerpräsident Söder schickt den leiter der Staatskanzlei, Florian Hermann. Gauhauptmann Martin Beilhack freut sich, so der Merkur: Er geht davon aus, “dass nach der Pause etwa 700 bis 800 Teilnehmer aus 47 Kompanien entlang der Alpenkette zwischen Garmisch-Partenkirchen und Bad Reichenhall in ihren unterschiedlichen Monturen und mit teils historischen Fahnen und Waffen aufmarschieren werden”, so der Merkur. 

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Aber Moment, war da nicht etwas? 

Martin Beilhack kandidierte 2019 als Landrat für die Bayernpartei. Pikant: Zuvor hatte er mehrfach den Staatsangehörigkeitsausweis, auch als “gelben Schein“ bekannt, beantragt – mit dem Hinweis, er sei aus dem “Königreich Bayern”. Die Anträge wurden abgelehnt. Der Landratskandidat besaß einen Waffenschein, den ihm die Behörden nach seinen zahlreichen Anträgen allerdings entzogen. Beilhack klagte vor Gericht und verlor. Er konnte vor dem Richter nicht zweifelsfrei nachweisen, ausreichend große Distanz zur “Reichsbürger”-Szene zu haben.

Beilhack dementierte vor Gericht und gegenüber Medien, ein Reichsbürger zu sein, überhaupt eine Nähe zu der Szene zu haben. Das Beantragen der Scheine bewertete er als “übertriebenen Patriotismus”. Fragt man in Beilhacks Umfeld, erntet man Lachen. “Der Martin sei vielleicht zuweilen schräg mit seinen Aussagen, aber ein Reichsbürger? Natürlich nicht. Ein patriotischer Bayer eben”, sagt einer, der mit ihm die Uniform der Gebirgsschützen trägt. Verfassungsschützer gehen hingegen davon aus, dass dieser ominöse Staatsangehörigkeitsausweis ein Indiz für die Nähe zur Ideologie der Reichsbürger darstellt. 

Von der Mordweihnacht 1705 in die Gegenwart

Der Landkreis Miesbach, so eine jüngst veröffentlichte Zahl des Bayerischen Innenministeriums auf Anfrage der FDP, hat mehr als eine Verdoppelung dieser Anträge (+118%) zu verzeichnen. Dabei musste den Menschen klar sein, in welches politische Fahrwasser sie da möglicherweise fahren. Das Landratsamt reagierte mit Entzug des Waffenbesitzrechts und mit teils robusten Durchsuchungen. Wie auch bei Beilhack distanzierten sich die Betroffenen schnell und deutlich. Gleichwohl mussten einige nach Gerichtsurteilen auf ihren Waffenschein verzichten. Schräge Ideologie und Waffenbesitz – hier zuckt der Staat sehr schnell. Dem bayerischen Innenminister wird nun wahlkampfwirksam von der Opposition vorgeworfen, in den letzten Jahren diese Szene der Reichsbürger, ihr Gewaltpotenzial und ihre Gefahr schlicht unterschätzt zu haben. Indirekt unterstellen sie der CSU eine gewisse “Beißhemmung”, kamen und kommen doch manche der Verdächtigen aus ihrem Wählerpotenzial, der konservativ-bürgerlichen Mitte. 

Vielleicht war diese Antragsstellerei für die allermeisten eine Art “Mutprobe”, ein “Zeichen setzen” in der eigenen sozialen Gruppe, quasi ein dem Oberländler nicht fremdes widerborstiges Element. Das erklärt eine Überzeugung, die für einige mit einer gedanklichen roten Linie von der Mordweihnacht 1705 hin in die Gegenwart gezogen wird. 

Mögliche Erklärung: Nicht wenige Bewohner im Landkreis fühlen sich, so erklären es sich auch Politiker vor Ort, nicht von der Bundespolitik, “von denen da aus Berlin” repräsentiert. Flüchtlingskrise und Pandemie-Maßnahmen haben ihre Spuren bei einigen hinterlassen. Da ist der Schritt ins Ideologisch-Extreme für manche zuweilen die denkbare Alternative. Aber dann sitzt man schnell mit von unserer Demokratie wenig Überzeugten beim Hellen zusammen und wird von der Staatsmacht als Duldende, Mitläufer oder gar Unterstützer gesehen. 

Und genau in diese Zwickmühle werden sich Ilse Aigner und Florian Hermann Heiligabend begeben müssen. 

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Fassung nannten wir den Innenminister Joachim Hermann als Gast. Es handelt sich jedoch um Florian Hermann, dem Leiter der Staatskanzlei. Wir bitten, diesen Fehler zu entschuldigen.

Der “Gelbe Schein”
Vielfach wird von Angehörigen der Szene propagiert, man solle den “Gelben Schein” beantragen. Hintergrund hierfür ist, dass “Reichsbürger” und “Selbstverwalter” weder einen Personalausweis noch einen Reisepass als Nachweis für den Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit akzeptieren.
Als Nachweis der deutschen Staatsangehörigkeit gilt vielen “Reichsbürgern” und “Selbstverwaltern” ein offizieller Staatsangehörigkeitsausweis (“gelber Schein”). Der Staatsangehörigkeitsausweis ist ein amtliches Dokument, mit dem der Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit bestätigt wird.
Rechtsgrundlage ist das Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG). Den Antrag auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit stellen Personen, bei denen aus historischen oder persönlichen Gründen zweifelhaft ist, ob sie deutsche Staatsangehörige sind. In aller Regel sind dies im Ausland lebende Personen.
Die große Masse der Anträge zum “Gelben Schein” hat jedoch keinen nachvollziehbaren rechtlichen Hintergrund, sondern geht auf die Aktivitäten der “Reichsbürger-” und “Selbstverwalter-“Szene zurück.Bundesministerium des Innern und für Heimat – Link

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