Geheime Sitzungen als Auslaufmodell?

Transparenz für nichtöffentliche Gemeinderatssitzungen: Das ist im Tal auch weiterhin ein Fremdwort. Dabei ist der Trend hin zu mehr Öffentlichkeit in ganz Bayern erkennbar, allen voran in München. Ein Urteil des Bundesgerichtshofs könnte die Diskussion nun anfachen: Zu Unrecht in geheimer Sitzung getroffene Beschlüsse seien, so die Richter, rechtswidrig.

Auch im Rottacher Gemeinderat werden strittige Themen manchmal vorher nichtöffentlich behandelt. Hat das bald ein Ende? / Archivbild
Auch im Rottacher Gemeinderat werden strittige Themen manchmal vorher nichtöffentlich behandelt. Hat das bald ein Ende? / Archivbild

„Nichtöffentlich“ ist nicht gleichbedeutend mit „geheim“. Dennoch wird in allen Gemeinden im Tegernseer Tal aus den nichtöffentlichen Sitzungen des Gemeinderats ein großes Geheimnis gemacht. Auch welche Punkte behandelt werden, wird im Vorfeld nicht bekannt gegeben.

Grundlage hierfür ist ein juristischer Standardkommentar zur Bayerischen Gemeindeordnung, wie das nichtkommerzielles Internetportal “gradraus” schreibt. Darin heißt es: „Da die Bürger nicht an den Sitzungen teilnehmen können, wäre die Öffentlichmachung der Tagesordnung sinnlos und es würde kein legitimes öffentliches Interesse an diesen Themen bestehen.“

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Allerdings widerspricht diese Auslegung der Gemeindeordnung an sich. Dort heißt es in Artikel 52 Abs. 1 Satz 1: „Zeitpunkt und Ort der Sitzungen des Gemeinderats sind unter Angabe der Tagesordnung, spätestens am dritten Tag vor der Sitzung, ortsüblich bekanntzumachen.“ Eine Unterscheidung zwischen öffentlicher und nichtöffentlicher Sitzung gibt es demzufolge nicht.

Experten schwenken um

Eine Erkenntnis, die sich auch in Fachkreisen durchzusetzen scheint. So vertritt nicht zuletzt Hans-Joachim Wachsmuth, der Autor des oben genannten, strittigen Standardkommentars, mittlerweile die Meinung, dass auch die nichtöffentlichen Tagesordnungspunkte öffentlich bekannt gemacht werden müssten.

Entgegen seines älteren Kommentars stellt er fest, dass „bei diesen Tagesordnungspunkten ebenfalls ein berechtigtes Interesse besteht, von der Behandlung im Gemeinderat informiert zu werden, auch wenn die interessierten Einwohner und Medienvertreter selbst an der Sitzung nicht teilnehmen dürfen.“

Ähnlich sehen es die Juristen und ehemaligen hohen Verwaltungsbeamten aus Bayern, die den juristischen Klassiker „Kommunalrecht in Bayern“ verfasst haben:

Eine ortsübliche Bekanntmachung der Tagesordnung nichtöffentlicher Sitzungen mit einer allgemeinen Bezeichnung der Tagesordnungspunkte ist ohne weiteres möglich … und sollte angesichts des eindeutigen Wortlauts des Art. 52 Abs. 1 Satz GO aus Transparenzgründen auch vorgenommen werden.

Auf diese Weise könnte sichergestellt werden, dass nur die Punkte in der nichtöffentlichen Sitzung behandelt werden, welche dort auch behandelt werden dürfen. Denn nicht zuletzt der von der TS aufgedeckte Fall in Bad Wiessee hat gezeigt, dass Bürgermeister und Gemeinderäte die nichtöffentlichen Sitzungen gerne dazu nutzen, heikle oder möglicherweise unpopuläre Themen lieber im Geheimen zu beraten, wo Presse und Bürger nicht zuhören können.

Wiessee bildet hier jedoch keineswegs einen Einzelfall: Der Tagesordnungspunkt, welcher später von der Kommunalaufsicht beanstandet wurde, weil er im nichtöffentlichen Teil der Sitzung behandelt wurde, war zuvor auch von den Kollegen in Rottach-Egern unter Ausschluss der Öffentlichkeit diskutiert worden.

Dabei ist klar geregelt, dass die öffentliche Beratung der Regelfall sein sollte. Nichtöffentlich darf nur verhandelt werden, wenn es das öffentliche Wohl oder berechtigte Interessen Einzelner erfordern. Dies betrifft zumeist den Datenschutz bei Themen wie Grundstücksgeschäften, Personalangelegenheiten oder Vertragsbestandteile.

BGH-Urteil stärkt Transparenzgedanken

In Zukunft könnte jedoch ein Sinneswandel in den Gemeinden einsetzen. Denn in einem aktuellen Urteil des Bundesgerichtshof vom April 2015 wurde von den Richtern festgestellt, dass ein zu Unrecht nichtöffentlich gefasster Beschluss nicht gültig ist:

Der Verstoß gegen das Gebot der Öffentlichkeit der Gemeinderatssitzung begründet regelmäßig eine schwerwiegende Verfahrensrechtsverletzung und führt daher zur Rechtswidrigkeit eines Gemeinderatsbeschlusses.

Dies gelte auch, wenn der zu überprüfende Beschluss zwar in öffentlicher Sitzung gefasst wurde, jedoch ohne Beratung erfolgt ist und die Sachdiskussion in einer nichtöffentlichen, vorangegangenen Sitzung durchgeführt wurde. „Eine solche Verfahrensweise widerspricht dem Sinn und Zweck des Gebots der Öffentlichkeit von Gemeinderatssitzungen“, so die Meinung der Richter.

München als Vorreiter

Dabei könnte der Fall Signalwirkung entwickeln. So stellte Regierungsrat Michael Pahlke in einer Abhandlung jüngst klar, dass seiner Meinung nach in nichtöffentlicher Sitzung gefasste Beschlüsse keine Gültigkeit haben, sollte die pflichtgemäße Bekanntmachung der Tagesordnung unterblieben sein.

Dass es in Bayern auch durchaus schon positive Beispiele für Transparenz gibt, beweist als eine der wenigen Städte München. Hier sind bereits seit Jahren die Tagesordnungspunkte sowie die Beschlüsse der nichtöffentlichen Sitzungen im Internet einzusehen. Man habe sich im Sinne transparenter und bürgernaher Rathauspolitik ganz bewusst dazu entscheiden, heißt es dazu aus München. „Und gute Erfahrungen gemacht.”

Erfahrungen, die am Tegernsee noch nicht existieren. Hier verweisen die Gemeinden gerne auf die bisherige Handhabe. Doch ein weiter so mit dem Standardsatz “das haben wir schon immer so gemacht” dürfte langfristig zu juristischen Problemen führen. Bürger, die sich ausgegrenzt fühlen, könnten gegen die Rathäuser vor Gericht ziehen. Und die Aussichten zu gewinnen standen noch nie so gut wie heute.

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