Gestatten: Der Altersanzug

Vielleicht haben Sie ihn gesehen – den Mann, der mit dem Altersanzug, auch „Age Explorer“ genannt, in München und dem südlichen Umland bevorzugt in Supermärkten unterwegs ist.

Der Alterssimulationsanzug, so seine genaue Bezeichnung, kursiert schon seit einigen Jahrzehnten in der Wissenschaft und in der Industrie, um Unternehmern und Wissenschaftlern hautnah erleben zu lassen, wie es sich anfühlt, wenn man im Alter von 80 Jahren seinen Alltag bewältigt.

Leider ist bisher wenig an Erkenntnissen, die das Leben im Alter leichter machen, im öffentlichen Raum umgesetzt. Gundolf Meyer-Hentschel, der Entwickler des Anzugs, kam bereits 1985 auf die Idee.

Steife Gelenke, grauer Star, langsame Reflexe

Jetzt hat der “Seniorenzug” das Licht der Öffentlichkeit erblickt. Der Redakteur des Wirtschaftsmagazins „Geld und Leben“ des Bayerischen Rundfunks, Johannes Thürmer ist kürzlich in einen solchen Anzug geschlüpft und damit losgezogen. Genauer gesagt unsicher und mit Gewichten belastet, die die Bewegungen im Alter sowie die Versteifung der Gelenke simulieren, langsam losgelaufen.

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Damit nicht genug. Kopfhörer erschwerten zudem das Hören und eine Brille simulierte das Sehen unter den Bedingungen des Grauen Stars. Fazit seiner achtstündigen Exkursion: Alles ist schwer, alles geht langsam, vieles ist nicht möglich, wie Treppensteigen, wenn die Rolltreppe in der U-Bahnstation ausfällt.

Sinnvoll, dass Stadtplaner, Unternehmer, Politiker und Mediziner und viele andere, in so einen Anzug steigen, um sich auf eine Zeitreise in ihr achtzigstes Lebensjahr zu begeben. Vieles würde sich ändern, wie die Verschlüsse von Verpackungen, die Beschriftung auf Produkten, im Supermarkt wären die Gänge breiter, die Regale niedriger, die Waren gut erreichbar und Lupen an den Regalen angebracht, wie in einem Markt der Drogerie-Kette dm in Wolfratshausen.

Simulationsanzüge für alles und jeden

Nur, was wenn die Seniorenanzüge Schule machen und als Vorlage dienen, um das Erleben verschiedenster Menschen in verschiedensten Alters- und Lebenslagen zu simulieren. Angenommen es gebe einen Angela-Merkel-Simulationsanzug oder einen Madonna-Simulationsanzug, einen Bayer-nach-fünf-Maß-Oktoberfestbier-Anzug.

Der Fantasie sind da keine Grenzen gesetzt. Man stelle sich vor, in der Rottacher Seestraße eröffnet eine Boutique der besonderen Art, in der nur Simulationsanzüge von gut aussehenden, schlanken und gut trainierten Hollywoodstars angeboten werden. Na gut, vielleicht sind auch einige Simulationsanzüge dabei von Stars, die bevorzugt Drogen konsumieren oder konsumiert haben, ein Whitney-Houston-Simulationsanzug zum Beispiel.

Kann sein, solche Simulationsanzüge wären in der Tat nachgefragt. Vielleicht erfindet jemand Simulationsanzüge vom Modell „Ehemann“ oder „Chef“ oder vom Modell „alleinerziehende Frau mit drei Kindern und berufstätig“. Wir könnten mehr erleben als unser Einfühlungsvermögen dies zulässt – vorausgesetzt, der Simulationsanzug kann weit mehr als Körperzustände simulieren.

Vielleicht arbeiten Wissenschaftler bereits an einem solchen Anzug. Wie anders würde im Falle dieser Vielfalt von Simulationen wohl unsere Welt und unser Zusammenleben aussehen? Vielleicht können wir es demnächst ausprobieren.

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