Katrin Himmler in Gmund:
Himmlers Großnichte spricht im Blyb

Katrin Himmler spricht über die schmerzhafte Aufarbeitung ihrer Familiengeschichte. Und darüber, warum Deutschland sich bis heute mit seiner NS-Vergangenheit so verdammt schwertut.

Ein buntes Publikum trifft sich an diesem Abend. Junge Mitarbeiter, Engagierte und Neugierige. Foto: Julia Jäckel

Es ist eine kleine Premiere für das Blyb. Etwa 40 bis 50 Leute versammelten sich gestern Abend im Blyb-Hotel. Junge Leute nippen wahlweise an Wein- oder Wassergläsern und wippen mit den Turnschuhen. Daneben Eltern, Großeltern, Neugierige, Mitarbeiterinnen, eben “Friends und Family”, sagt Florian Zibert, Gründungsmitglied des Blyb und Veranstalter des Abends. Seit zweieinhalb Jahren beschäftige Zibert und sein Team die Geschichte des Hauses. Seit dem Moment, an dem er das Grundstück durch die Buchenhecke erspäht habe: “17.000 Quadratmeter Privatgrund.” Ein Privatgrund, der jetzt Hotelgästen und Bürgerinnen und Bürger offen steht. 130 Jahre lag das Grundstück im Dornröschenschlaf, zuletzt war hier ein Beratungsunternehmen untergebracht.

Um die Jahrhundertwende soll es ein recht “lässiger Ort” gewesen sein, etwa als das Künstlerehepaar Hanfstaengl hier lebte. Er war Fotograf, sie Opernsängerin. Da will Zibert auch wieder hin: zur “Lässigkeit”. Doch die “Lässigkeit” geht mitten durch das Dritte Reich.

Schließlich hat hier nicht Dornröschen gelebt, sondern SS-Chef, Heinrich Himmler. Von 1934 bis vermutlich 1944 war er immer wieder am Tegernsee. Der Mann, der maßgeblich für die Ermordung von sechs Millionen Jüdinnen und Juden verantwortlich war. Der Abend soll ein erster Auftakt zur Aufarbeitung des Hauses sein, das hat sich das Blyb-Team fest vorgenommen. Sie wollen hinschauen und nicht wegschauen. Das allein ist besonders. Noch besonderer ist aber, dass Katrin Himmler erstmals im Haus ihres Großonkels, Heinrich Himmler, liest. Das geht ihr nahe und auch allen, die zuhören.

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Heinrich Himmler

Er war das personifizierte Böse, das Biedermann-Gesicht des deutschen Nazi-Horrors. Heinrich Himmler (1900-1945), Chef der SS. Er perfektionierte den Terror gegen NS-Gegner, etablierte das KZ-System und organisierte die millionenfache Vernichtung von Menschen. Der gebürtige Münchner verfügte im NS-Staat über eine einzigartige Machtfülle und stand wie kaum ein Zweiter für Terror, Verfolgung und Vernichtung. Er war für die Repression im Innern ebenso verantwortlich wie für die Verbrechen in den Konzentrations- und Vernichtungslagern, für die Gräueltaten der SS an der Ostfront oder für die Entwurzelung und Umsiedlung von Millionen Menschen unter deutscher Herrschaft.

Mit seiner sieben Jahre älteren Frau Marga, einer Krankenschwester, hatte Himmler sich Ende der zwanziger Jahre als Hühnerzüchter durchgeschlagen. Im deutschen Faschismus wurde er zum zweitmächtigsten Mann nach Adolf Hitler – und zur treibenden Kraft des größten deutschen Verbrechens – der Shoah. Bis 1945 häufte Himmler wichtige Ämter an (u. a. Reichsinnenminister, Befehlshaber des Ersatzheeres, Heeresgruppenbefehlshaber). Als er gegen Kriegsende mit den Westmächten verhandeln wollte, enthob ihn Hitler am 28. April 1945 aller Ämter. Nach der deutschen Kapitulation floh er, wurde jedoch aufgegriffen und nahm sich am 23. Mai 1945 in einem britischen Vernehmungslager mit einer Zyankalikapsel das Leben.

Erinnerungsdemenz und Familiengeschichten

Den eigenen familiären Schatten zu lichten, das hat sich Katrin Himmler zur Aufgabe gemacht. Großnichte Heinrich Himmlers, Politikwissenschaftlerin und Autorin. Sie trägt Jeans und Turnschuhe, wie viele hier im Raum. Ihre Brille hält die blonden Haare zurück, die offen über ihre Schultern fallen. Es ist schon ihr zweiter Vortrag für heute: Morgens war sie in der Tegernseer Realschule. Am Tag darauf will sie ins Tegernseer Gymnasium.

Katrin Himmler zeigt Fotos aus ihrer Familie und erzählt den Weg der Aufarbeitung. Foto: Julia Jäckel

Sie will ihren Vortag vorlesen, weil sie sich sonst zu sehr verlieren wird. Titel: Wie wurden meine Großeltern Nationalsozialisten? Ihre Geschichte zu erzählen bedeutet auch, die Geschichte eines Landes zu erzählen. Die Zuhörer mit dem eigenen familiären Erbe zu konfrontieren und damit auch mit der Erinnerungsdemenz, – die deutsche Familien wie ein Tischtuch über ihre braune Vergangenheit ausgebreitet haben.

Wie wurden meine Großeltern Nationalsozialisten?

Wie es für sie war, als sie in der Schule als 14-Jährige gefragt wurde, ob sie mit Heinrich Himmler verwandt sei? Und dass die Lehrerin die Chance verpasst habe und einfach darüber hinweggegangen sei. Dass sie die Erzählung, dass Heinrich das schwarze Schaf in der Familie gewesen sei, erst viel später hinterfragt habe. Erst als sie die Akten im Bundesarchiv in Berlin eingesehen habe, veränderte sich das Bild. Nahaufnahme auf Lebensläufe, Dokumente, Parteiausweise der NSDAP.

Aus dem Schaf wird eine ganze Herde: Darin eine Urgroßmutter, die bereits 1927 eine glühende Anhängerin der NSDAP war oder der Brief ihres Urgroßvaters, der Heinrich Himmler zum Aufstieg der NSDAP mit den Worten gratuliert, er habe “endlich in der Festung Fuß gefasst”.

Damit ist ihre Familiengeschichte “exemplarisch“ für viele deutsche Familien. Lieber wird der Mythos herumgereicht, dass die eigene Familie anders war, sicher im Widerstand oder eventuell sogar Jüdinnen im Keller versteckt habe? Eine weitaus sympathischer Auslegung der Vergangenheit und eine, zu der ein Großteil der Deutschen bis heute Zuflucht nimmt. Der Nationalsozialismus war jedoch eine Massenbewegung, das Versprechen “Teil einer Bewegung” zu sein und die Konstruktion einer “Volksgemeinschaft” anzugehören, die Lockbotschaften, so die Autorin.

Zur Wahrheit gehöre, so sagt Katrin Himmler weiter, “dass zahlreiche Familien von der Judenverfolgung profitiert haben”, und dass “Opa war kein Nazi” sich einfach besser anfühle. Es ist dieser biografische Zugang, der ihren Vortrag zu mehr macht als zu einer Abhandlung über die Verbrechen Heinrich Himmlers. Weil er ein Muster aufdeckt. Weil er unaufgefordert bei jedem Zuhörer die Frage nach den eigenen Großeltern stellt.

Heute, gestern, übermorgen

Ob sie Parallelen sehe, wird sie am Schluss aus dem Publikum gefragt? Das ist für die Politikwissenschaftlerin unübersehbar: “Stark vereinfachte Lösungen, einen Sündenbock präsentieren, zum Hass aufstacheln”, das sind drei der Zutaten, die uns von der Nazi-Vergangenheit direkt zum Erdrutsch-Sieg rechtspopulistischer und rechtskonservativer Parteien führen. Auch das Ziel, nämlich die Demokratie von Innen zu zerstören, sei eine der Parallelen, die man jetzt beobachten könne.

Dass diese einfachen Erklärungen viele Menschen überzeugen, zeigen auch Antworten auf eine Umfrage, die “Zuwanderung als Hauptproblem” werten. Ganz unabhängig davon, dass es kein Einverständnis darüber gibt, was wir eigentlich unter Zuwanderung verstehen? Geflüchtete? Asylbewerber?

Die machen zahlenmäßig den kleineren Anteil aus, wesentlich größer ist der Anteil der Migrantinnen und Migranten aus den EU-Staaten. Aber so tief wird das gar nicht analysiert. Weil es nämlich egal ist, wenn es um Gefühle geht. Und die Rechte appelliert an Gefühle. Verspricht Sicherheit und Stabilität. Und weil viele Deutsche den Schlüssel zum Familiengedächtnis der NS-Faktizität verbummelt haben, hat sie damit leichtes Spiel.

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