Hoaxe: Kettenbriefe mit fataler Wirkung

Mal ist es der weiße Bus vor Schulen, dessen Fahrer scheinbar Schulkinder zum Einsteigen auffordert. Mal ist es die Warnung vor einem Triebtäter in Waakirchen oder der Aufruf, irgendwas auf Facebook zu widersprechen. Hoaxe, Kettenbriefe, Spam geistern immer wieder durchs Netz.

Sind solche Nachrichten etwas Neues? Und verbergen sich hinter „Hoaxen“ nur schlechte Scherze oder ernste Bedrohungen? Der älteste bekannte Hoax ist übrigens über 200 Jahre her ‒ und hatte den Verkehr in London zeitweilig zum Erliegen gebracht:

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Über 200 Jahre ist der älteste Bekannte Hoax her. Eine Wette zweier Freunde, die 1810 in London für Tumulte sorgte.

1810 war es eine Wette zweier Schriftsteller: Bei einem Spaziergang durch die Berners Street in London wettete einer der beiden, dass er die Hausnummer 54 innerhalb weniger Wochen zur bekanntesten Adresse in ganz London machen könne. Tausende Briefe verschickte der Schriftsteller in den folgenden Wochen.

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Im Namen der Hausbesitzer schrieb er Handwerker, Schornsteinfeger, Dienstleister und Hausmädchen auf Arbeitssuche an. Er verschickte Einladungen an Persönlichkeiten, bestellte Hochzeitstorten, mehrere Dutzend Klaviere und sogar eine Orgel.

Der Jahrhundert-Hoax sorgte für Aufregung

Egal, ob Lieferanten oder Arbeitsuchende: Alle wurden auf den gleichen Tag und die gleiche Uhrzeit einbestellt. Am 27. November 1810 um 17 Uhr war es dann so weit ‒ und das Chaos perfekt. Hunderte Menschen versammelten sich vor der Berners Street 54. Pferdekutschen verstopften die Straßen, Arbeitsuchende klingelten an der Tür. Die Polizei in London schickte alle verfügbaren Kräfte, um die Situation unter Kontrolle zu bekommen. Die Wette war allerdings gewonnen. Die Adresse kannte fortan jeder in London.

Der Urheber machte es sich derweil auf dem Land gemütlich, wo er sich für einige Tage versteckte. Er genoss seinen Triumph, las die Zeitungsartikel und freute sich über die Aufregung. Die Beweggründe für die Ersteller der heute noch gängigen Falschmeldungen sind oft vergleichbar mit denen aus dem London des 19. Jahrhunderts. Es geht um Aufmerksamkeit, um Wetten oder schlicht um den Spaß am ausgelösten Chaos.

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Ein “Gegen-Hoax” gegen politisch motivierte Kettenbriefe im Zusammenhang mit dem Hochwasser der vergangenen Tage.

Die Falschmeldungen nur auf schlechte Späße zu reduzieren, reicht aber oft nicht. Deutlich tiefer gehen dagegen politisch motivierte Hoaxe. Immer wieder geistern falsche Meldungen durch die sozialen Netzwerke, in denen beispielsweise polemisch argumentiert wird, dass Deutschland vom Rest der Welt allein gelassen wird, was die Bewältigung des Hochwassers angehe. Deutschland spende jährliche Hunderte Millionen Euro ‒ sei es selbst in Not, bekäme es nichts. Urheber sind rechtsgerichtete Brandstifter. Der Wahrheitsgehalt tendiert gegen null.

Was für den einen Spaß, ist für den anderen bitterer Ernst. Die Warnungen vor weißen Bussen vor Schulen lösen Angst bei Kindern und Eltern aus. Sowohl Polizei wie auch Schulen und Lehrer werden daraufhin mit besorgten Rückfragen überhäuft. Es bilden sich Fahrgemeinschaften zum Schutz der Kinder. Besitzer weißer Busse stehen über Tage unter Generalverdacht. Der finanzielle Schaden, der durch unnötige Arbeit entsteht, ist dabei noch der geringste.

Schlechter Spaß oder gefährliche Hetze?

Eines haben alle Hoaxe gemeinsam: Sie rufen dazu auf, die Meldungen weiter zu verbreiten. Damit möglichst viele Menschen vor vermeintlichen Gefahren gewarnt oder auf Missstände aufmerksam gemacht werden. So war es beispielsweise auch in Waakirchen: Eltern wurden vor einem Triebtäter gewarnt, der real nie existierte.

Trotzdem fängt es in den Köpfen an zu rattern ‒ „Wer könnte das sein?“, „Vielleicht jemand aus der Nachbarschaft?“, „Der Herr xy ist doch so ein seltsamer Typ“ … ‒ so entstehen nicht nur unnötige Spam-Meldungen, sondern auch Ängste und gefährliche Vorurteile, bis hin zu Verleumdungen, deren Auswirkungen nicht immer leicht abzuschätzen sind.

facebook hoax
Erst vor wenigen Wochen hatte eine falsche Facebook-Meldung Waakirchener Eltern in Angst und Schrecken versetzt.

Zugegeben, es ist etwas weit hergeholt, aber wenn man sich vor Augen führt, dass viele ethnische Konflikte oft auf genau solchen Gerüchten basieren, wird das ganze Ausmaß der unüberlegten Verbreitung solcher Meldungen offensichtlicher. Der Tropfen, der Konflikte zum Überkochen bringt, ist nicht zuletzt in Gerüchten zu suchen.

Gerüchte über Vergewaltigungen, verübt durch Mitglieder einer verhassten Minderheit. Bewusste Falschmeldungen über Diebstähle, Kindesmissbrauch oder andere Gräueltaten. So war einer der finalen Auslöser des Jugoslawienkrieges beispielsweise die später als unwahr bewiesene Meldung, dass kroatische Polizisten unbewaffnete jugoslawische Zivilisten bei einer Kontrolle mit Maschinenpistolen erschossen hätten.

Private Propaganda ist auch Propaganda

So weit ist es bei uns zum Glück noch lange nicht. Der Schaden durch bewusst gestreute Gerüchte ist um ein Vielfaches geringer. Und dennoch, auch bei uns ist die Schwelle von Spaß zu Ernst schnell überschritten. Propaganda im Kleinen verfehlt ihre Wirkung nicht. Gerüchte bringen auch bei uns Menschen dazu, vorschnelle Maßnahmen für oder gegen etwas zu fordern.

Leidtragende sind oft Unbeteiligte. Mal sind es die Griechen, dann sind es die Besitzer weißer Busse oder die Bewohner in Waakirchen, die ihre Kinder schützen wollen.

Ob im Einzelfall der „Spaßtrieb“ eines Einzelnen, ob politische Ziele einer Gruppierung oder der persönliche Kleinkrieg eines enttäuschten Liebhabers dahinter stehen, ist überhaupt nicht entscheidend. Man sollte sich nur bewusst sein, dass solche „Massenmails“, „Falschmeldungen“ oder „Facebook-Hoaxe“ nichts grundlegend Neues sind. Und dass man oftmals mit etwas Nachdenken die mal nur lästige und mal auch gefährliche Verbreitung dieser Meldungen zumindest unterbrechen kann.

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