Das Geheimnis der Liedschreibers

In unserer Reihe „Originale am See“ sprechen wir mit den unterschiedlichsten Persönlichkeiten vom Tegernseer Tal. Zu diesen Originalen gehören auch Andreas und Anna-Maria Liedschreiber. Das Ehepaar brennt nicht nur selbst, sondern auch füreinander.

Andreas und Anna-Maria Liedschreiber brennen ihren Schnaps selbst. /Foto: Bommi Schwierz

Im Tegernseer Bräustüberl sitzen sie alle an einem Tisch: Alt und jung, arm und reich, bekannt und weniger bekannt. Die Faszination der Gegensätze ist es, die wir zusammen mit einer Tegernseer Fotografin in unserer Reihe “Originale am See” festhalten wollen. Heute: Andreas und Anna-Maria Liedschreiber.

Zur Fotografin des Schwarz-Weiß-Fotos:
Die Tegernseerin Bommi Schwierz ist Juristin und Fotografin. In ihrem Buch “Der Tegernsee und seine Gesichter” hat sie die Menschen im Tal mit ihrer Kamera festgehalten, denen sie ein Denkmal setzen wollte.

Er dreht sich in einem Tulpenglas. Mit jeder Bewegung schmiegt er sich an das durchsichtige Material. Lautlos. Geduldig. Wahrscheinlich wird er die auf ihn gerichteten Blicke bei der nächsten Gelegenheit trüben. Doch noch zieht er seine Kreise, nutzt jeden Luftzug, um die Sinne seiner Beobachter zu benebeln und deren Verstand zu rauben. Schließlich musste er für seine hochprozentige Verführung durchs Feuer gehen.

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Er, das ist der selbstgebrannte Kirschlikör von Andreas (50) und Anna-Maria (37) Liedschreiber aus Gmund. Er ist einer von vielen Destillaten, die das Ehepaar seit nunmehr fünfzehn Jahren mit viel Liebe in Eigenregie produziert. In der hofeigenen Brennerei in Schafstatt wird zwar schon seit 1870 Schnaps gebrannt, aber erst 2003 haben die beiden das Handwerk von Andreas` Vater übernommen. Heute zählt die Destillerie zu den zehn besten Bayerns.

Wenn der Tag dein Freund ist

Andreas Liedschreiber und seine Frau haben einen Lieblingsplatz. Ihre Terrasse. Dort sitzen sie jeden Morgen um 10.30 Uhr bei schönem Wetter, genießen die Aussicht und trinken ein Gläschen aus ihrer Eigenproduktion. Ihr gemeinsames Projekt hat sie zusammengeschweißt. „Es ist schön, wenn man einen gemeinsamen Weg hat und sich absolut gut versteht“, sagt sie. Und lächelt.

Die edelsten Brände kommen aus Gmund: Andreas und Anna-Maria Liedschreiber sind für ihre Liköre ausgezeichnet worden./Foto: N. Kleim

Beide wissen, dass sie dort, wo sie leben, am richtigen Ort sind. Sie lieben die Natur, die Jahreszeiten und das Wasser, das sie aus ihrer eigenen Quelle beziehen. Und ganz besonders lieben sie ihre fünf Kinder. „Wenn die Tür aufgeht und du siehst eines der Kinder, dann ist der Tag dein Freund. Dann hast du gewonnen.“ Jetzt lächelt der 50-jährige Familienvater und blickt auf seine Frau, die einmal als Lehrmädchen bei ihm angefangen hat.

Elysium, Delirium, Promillionär – wo kommt denn bloß das Schnäpsgen her?

Schon als Kind hat sie sich für Liköre interessiert und ihre eigenen Rezepte gehabt. Heute ist sie Edelbrandsommelier und hat ihr hochprozentiges Repertoire um ein paar Anleitungen erweitert. Es sind ihre eigenen Rezepte, nach denen die Liköre auf dem Schafstatthof gebrannt werden. Nur ihrem Mann hat sie verraten, wo das „geheime Wissen“ versteckt liegt.

Bewusst genießen. Diese Devise hat sich das Ehepaar auf seine Alltagsfahne geschrieben. Auch ihre Kunden sollen für die edlen, flüssigen Geister sensibilisiert werden. Aus diesem Grund leisten die beiden vor jedem Genuss viel Aufklärungsarbeit. Das Destillat soll erst in Farbe und Geruch bewusst wahrgenommen werden, bevor der Mund dann über die letzten 20 Prozent Geschmack entscheidet.

Der Geruch der Frucht wird eingefangen

Sich darauf zu konzentrieren sei Übungssache, sagt das Ehepaar, das auch in der Jury bei Verköstigungen sitzt und darauf achtet, dass ihre Brände einen nicht allzu hohen Zuckergehalt haben. Das Faszinierendste am Schnapsbrennen sei, so Anna-Maria Liedschreiber, den „intensiven Geruch der Frucht einzufangen“. Im Gegensatz zu früher stehe heute der Genuss im Vordergrund und nicht der Rausch, sagt die 37-Jährige. Jugendliche würden beim Weggehen eher weniger Schnaps trinken. Zum einen seien die Edelbrände zu teuer, zum anderen seien sie zu hochprozentig.

„Erst wenn sie dafür das Bewusstsein entwickeln“, sagt Anna-Maria Liedschreiber, kämen sie als potenzielle Kunden in Frage. Zwar ist laut Wilhelm Busch „ein Brauch von Alters her: Wer Sorgen hat, hat auch Likör“, aber dieser Spruch trifft auf das Ehepaar nicht zu. Zwar findet der Besucher jede Menge Likör in einem Holzschrank im Hausflur, aber Sorgen müsste er suchen gehen. Andreas und Anna-Maria Liedschreiber wissen ihre Zweisamkeit und ihr Leben – hoch oben über dem Tegernsee – zu schätzen. Und große Krisen gab es bislang nicht.

Die Kuh ist weg

Die Flinte ins Korn geworfen haben sie selbst dann nicht, als Andreas Liedschreiber im vergangenen Jahr von einer Kuh angegriffen wurde, sich das linke Handgelenk brach und beinahe fünf Monate ausfiel. Für seine Frau war das eine schwierige Zeit. Allein auf sich gestellt managte sie das Weihnachtsgeschäft und kümmerte sich um die fünf Kinder.

In der Brennerei am Schafstatthof entstehen Destillate von höchster Qualität. / Foto: N. Kleim

Am schlimmsten sei allerdings die Zeit gewesen, so die 37-Jährige, als ihr Mann zehn Tage im Krankenhaus lag. Das Alleinsein und die Ungewissheit, ob es ihm gutgeht, hatten an ihren Nerven gezerrt. Doch diesen „Dämpfer“ hat das Ehepaar inzwischen weggesteckt. Das Eisengestell an der Hand von Andreas Liedschreibe ist unterdessen abgenommen worden, und auch die Hand macht Fortschritte. Die Kuh hat den Bauernhof verlassen.

Ein Likörchen am Morgen vertreibt Kummer und Sorgen

15 gemeinsame Jahre mit vollem Programm haben zusammengeschweißt. Andreas und Anna-Maria Liedschreiber betrachten ihre gemeinsame Arbeit, ihre Kinder und ihren Wohnort als Geschenk. Fast abgeschieden von der Außenwelt sind sie mit sich und der Welt im Reinen. „Sie kriegen hier oben ja gar nichts mit“, soll eine Frau einmal vorwurfsvoll zu ihnen gesagt haben.

Für Anna-Maria Liedschreiber ist der Abstand zum Tegernsee jedoch nichts Negatives. „Am Wochenende ist der Tegernsee wegen der Staus sowieso tabu für uns“. Im Sommer fahren ihre Kinder öfter mit dem Radl nach Gmund. Eine halbe Stunde sind sie dann unterwegs. Aber hier oben spielt die Zeit gefühlt keine Rolle.

Ein letztes Mal dreht sich der Kirschlikör im Glas. Zwei Jahre hat er im Lagerraum verbracht, bevor er heute eine Liaison mit dem Sauerstoff der Luft eingehen und sein volles Aroma entfalten konnte. Ein Schluck – dann gleitet er über die Zungenoberfläche und verschwindet. Mit der gleichen Liebe, mit der er gemacht wurde.

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