Es gibt keinen Königsweg, wie sich Menschen mit ihrer Vergangenheit auseinander zu setzen haben. Die einen reden darüber, um die Erinnerung nicht unwiderruflich auszulöschen. Die anderen machen lieber einen Deckel drauf – vielleicht, um die Zukunft nicht mit Altlasten zu beschweren. Ob das richtig ist, wird erst die Zeit lehren.
Was sich kryptisch anhört, hat in Bad Wiessee einen ganz realen Hintergrund, wie sich am Beispiel der geschichtlichen Aufarbeitung des ehemaligen Hotels Lederer zeigt. Früher ein Prachtbau, dominiert heute der Verfall das ehemalige Hotel. Sicher: Nicht wenige im Tal würden das Gebäude lieber heute als morgen abreißen. Und das könnte bald in Erfüllung gehen. Mit Thomas Strüngmann steht aktuell ein Investor bereit, der für das „Filetstück“ am See ehrgeizige Pläne hat.
Doch bei aller Euphorie über die Neunutzung des ungeliebten Lederer-Areals, solle man nicht außer Acht lassen, „dass man es mit einem historischen Schauplatz zu tun hat,“ so Dr. Jürgen Zarusky, Historiker am Münchner Institut für Zeitgeschichte mit Schwerpunkt NS-Geschichte.
Schlüsselereignis für das Hotel
Im konkreten Fall ist das ehemalige Hotel Lederer unter seinem früheren Namen Hanselbauer als zentraler Ort des Röhm-Putsches in die deutsche NS-Geschichte eingegangen. Dort hielt sich SA-Stabschef Ernst Röhm auf, als er 1934 von seinem einstigen Freund und Förderer Adolf Hitler verhaftet und zur Hinrichtung nach Stadlheim gebracht wurde. Die Geschichtsbücher messen dieser Verhaftung insofern große Bedeutung bei, weil Hitler mit der Ermordung seines Widersachers einer Ausdehnung dessen Machtbefugnisse und einem bevorstehenden SA-Putsch zuvorgekommen sein soll.
Vor diesem Hintergrund fragt man sich, wie bedeutsam das Hanselbauer/Lederer tatsächlich bis in die heutige Zeit ist. NS-Experte Zarusky spricht in diesem Zusammenhang lediglich von einem „episodischen Ort“.
Für das Hanselbauer ist es aber sicherlich ein Schlüsselereignis. Das heißt, über die Ereignisse, die dort stattfanden, sollte man einerseits nicht schweigen. Dass Ernst Röhm dort verhaftet wurde, rechtfertigt andererseits nicht, das ehemalige Hanselbauer zu konservieren.
Außer Frage steht für Jürgen Zarusky, dass das frühere Hotel für einen Ort stehe, „an dem sich historische Personen in einem nicht unwichtigen Moment deutscher Geschichte aufgehalten haben. Das alleine hat eine gewisse Anmutung.“
Und Zarusky betont weiter: „Unter Einbeziehung aller Kriterien lässt sich ableiten, dass das Hanselbauer ohne Zweifel ein Ort eines historischen Ereignisses ist. Es ist der Ort, an dem Röhm verhaftet worden ist, mehr aber auch nicht. Ob dieses Wissen zu einem Erhalt des Gebäudes trägt, ist fraglich.“
Empfehlung: eine Diskussion auf Gemeindeebene
Doch das, so der Historiker, müsse es auch gar nicht sein. „Unabhängig davon, ob das Lederer abgerissen wird oder nicht, kann ich allen Beteiligten nur raten, nicht unreflektiert durch die historische Landschaft pflügen“, sagt Zarusky.
Natürlich kann man das Hotel abreißen, aber man muss wissen, was man abreißt. Diese Diskussion sollte auf Gemeindeebene stattfinden, und diesen Weg sollte man auch durchlaufen.
Es stelle sich ohnehin die Frage, wie eine Nutzung im Falle eines Erhalts des ehemaligen Hotels aussehen könnte. „Bei einem ehemaligen KZ liegt es auf der Hand, dass man daraus einen Erinnerungsort macht.“ Im Fall Hanselbauer/Lederer sei der Sachverhalt komplexer wegen der „unmoralischen Uneindeutigkeit des Geschehens“.
Zarusky erklärt es so: “Röhm war ein Opfer von Hitler. Gleichzeitig war er aber SA-Stabschef und ebenfalls ein Nazi, der Gewalt ausgeübt hat.” Als Ort des Gedenkens würde das Hotel laut Zarusky, daher ausscheiden.
Der NS-Experte rät jedoch, die Ereignisse, die der Röhm-Verhaftung zugrunde liegen, stärker aus einem regionalen Blickwinkel zu beleuchten. Weil die Verhaftung um Röhm, so sein persönliches Fazit, zu sehr für ein „isoliertes Ereignis“ stehe, sollte man es in Verbindung mit der Aufarbeitung der lokalen NS-Geschichte bringen.
Man sollte den Radius größer ziehen. Die Umgestaltung des ehemaligen Hanselbauer könnte ein Denkanstoß für die Gemeinde sein, die NS-Geschichte des Ortes aufzuarbeiten.
Die Ereignisse jener Zeit wertet Jürgen Zarusky so: „Röhm ist nicht der Anstoß, sondern der Anlass, um über die Geschichte neu nachzudenken.“ Es bleibt daher die Frage, wie man nachfolgende Generationen auf das hinweist, was sich einst in Zimmer Nummer 7 des Hanselbauer abspielte. „Im Zuge der Sanierungsarbeiten wird das Gelände verformt. Vielleicht könnte man eine Informationstafel an der Stelle anbringen“, so der Vorschlag Zaruskys.
Bürgermeister lehnt Idee ab
Dem kann wiederum Wiessees Bürgermeister Peter Höß nicht viel abgewinnen: “Zum einen ist das eine Entscheidung, die ausschließlich die Eigentümer zu treffen haben”, sagte er auf Nachfrage der TS. Und zum anderen könne er sich das “eher nicht vorstellen”, weil man damit dem Thema “braune Vergangenheit eine Bedeutung zumisst”, die Höß nicht für angebracht halte.
Der Rathauschef zieht eine Parallele zu der Diskussion um die touristischen Hinweise bekannter Nazi-Größen auf der Informationstafel am Wiesseer Bergfriedhof, die vor einigen Jahren entbrannt ist. “Weil wir hier keine unnötige Diskussion aufkommen lassen wollten, haben wir die Namen entfernt.”
Zur Röhm-Verhaftung im Hanselbauer habe er daher eine klare Meinung: “Für die Nachwelt sind ausreichend Informationen zum Nachlesen verfügbar.” Und außerdem: “Es sind schon viel wichtigere Gebäude mit wesentlich bedeutsameren Ereignissen der deutschen Zeitgeschichte abgerissen worden.”
Hier einige historische Bilder aus der damaligen Zeit:
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