Ein Lederhosen tragender Görlitzer begrüßt die Gäste an der Rezeption und wünscht abends ein „schnarch guud“. Ein Zwickauer Koch kocht Schweinsbraten mit Knödel, die Kellnerin im Dirndl kommt aus Chemnitz und serviert zu Apfelstrudel „ä Scheelchn Heeßn“.
Und das alles an einem Ort am Tegernsee, im tiefsten Urbayern, wo Touristen eigentlich gelebte Tradition und Kultur erwarten.
„Ich bin Ossi, bin 26 Jahre alt und gelernter Hotelfachmann. Seit fünf Jahren arbeite ich am Tegernsee“, sagt Sören.
Vom „Hörensagen“ hat Sören vom Tegernsee, den vielen offenen Stellen, vor allem in der Hotellerie und Gastronomie, erfahren und sich kurzerhand auf eine im Internet ausgeschriebene beworben.
50 bis 60 Stunden Arbeiten mit 1.000 Euro netto
Viele „Ossis“ hat es wie Sören inzwischen in die alten Bundesländer, in den Süden nach Bayern und auch ins Tegernseer Tal verschlagen. „In meiner Heimat in Aue hatte ich zwar Arbeit, habe aber nur einen Hungerlohn verdient“, sagt Sören. „50 bis 60 Stunden in der Woche schuften und mit 1000 Euro netto nach Hause gehen.“ Das sei völlig normal.
Vor Kurzem hat sein Ausbildungsbetrieb Insolvenz angemeldet und musste alle Mitarbeiter entlassen. „Nur alte Menschen da. Die Bettenauslastung sank immer weiter. Das ist schon traurig.“
In den neuen Bundesländern ist heute vieles besser, als noch vor 20 Jahren. Aber es gibt auch Gegenden mit großen Problemen. Zu den größten gehören die hohe (Jugend-)Arbeitslosigkeit und ein geringes Angebot an Jobs überhaupt. Vor allem aber die, im Vergleich zu vielen alten Bundesländern, schlechtere Bezahlung. Daran hat sich in den vergangenen Jahren ‒ trotz „Aufbau Ost“ ‒ nur wenig geändert.
Im Tegernseer Tal sieht das ganz anders aus: Die Nachfrage nach Personal im Tourismussektor ist am Tegernsee größer als das Angebot an qualifizierten, aber auch an ungelernten Arbeitnehmern. Servicemitarbeiter, Köche, Kellner, Zimmermädchen, Tellerwäscher, Fachkräfte ‒ die Liste ist lang.
Gerade während den Saisons im Sommer und im Winter fehlt es vielen Hotels und Gaststätten an Personal. Woher die Bewerber kommen, ist da absolut zweitrangig, so das Fazit vieler Hotel- und Gaststättenbesitzer.
Arbeitskollegen und Einheimische – der Freundeskreis erweitert sich mit der Zeit
Diese Chance haben viele motivierte Arbeitnehmer wie Sören genutzt. Neben einer sicheren und gut bezahlten Stelle bringt vielen der Tegernsee auch einen neuen Lebensmittelpunkt.
„Anfangs bin ich alle zwei Wochen nach Hause gependelt und hatte ,nur‘ eine Personalwohnung. Mittlerweile habe ich eine eigene Wohnung und besuche meine Familie nur noch zwei bis dreimal im Jahr“, so Sören, der sich am Tegernsee voll integriert hat.
Sörens Freundeskreis besteht aus einigen Arbeitskollegen, aber auch aus vielen Einheimischen. Sein Gehalt hat sich beinahe verdoppelt, seit er im Tal arbeitet. „Das ist im Vergleich zu früher ein Unterschied wie Tag und Nacht.“
Rund drei Viertel der Mitarbeiter in Hotellerie und Gastronomie sind inzwischen Auswärtige, zum Teil aus den neuen Bundesländern, viele aus Ost- und Südeuropa. Was alle schätzen, ist das sehr gute Trinkgeld am Tegernsee. „Die Gäste haben hier schon dicke Geldbeutel und sind sehr spendabel.“
Die Berge und der See – das Gehalt obendrauf – das kann sich in Aue niemand vorstellen
Zahlreiche Freunde, Bekannte und ehemalige Arbeits- sowie Berufsschulkollegen von Sören haben in Bayern eine neue Heimat gefunden. Zu Hause sind viele eifersüchtig auf Sören und die anderen „Ossis“, die gerade am Tegernsee einen Job gefunden haben: „Die Berge und der See, und was es hier zum Gehalt noch kostenlos oben drauf gibt! Das kann sich in Aue niemand vorstellen.“
Bei allen traditionellen und kulturellen Widersprüchen, denen Touristen am Tegernsee ab und zu ausgesetzt sind: Am Ende des Tages zählen die Qualität des Services, die Zubereitung und der Geschmack des Essens sowie die Freundlichkeit der Bedienung. Ob in der Küche ein Bayer, in der Lederhose oder im Dirndl ein Einheimischer oder eine Auswärtige steckt, ist da eigentlich doch vollkommen egal.
SOCIAL MEDIA SEITEN