“Ich hatte ein völlig gesundes Herz”

Die Symptome einer Coronainfektion sind nach 21 Pandemiemonaten bekannt. Was aber passiert, wenn es nach dem Ende der Infektion nicht vorbei ist? Mediziner nennen es Long- oder Post-Covid. Bis zu zehn Prozent aller Infizierten leiden noch Monate nach dem Auftreten der Infektion an diversen Symptomen. Wir haben mit einer Betroffenen aus dem Tal gesprochen.

Eine Frau vom Tegernsee berichtet von ihrer Post Covid-Erkrankung / Symbolbild

Unser Treffen findet im Hotel der Interviewpartnerin statt. Die von Long-Covid betroffene Frau ist eine Unternehmerin aus dem Tegernseer Tal. Zusammen mit einigen langjährigen Angestellten und ihrem Mann leitet sie ein Hotel. Sie möchte lieber anonym bleiben. Nicht aber, weil sie nicht zu dem steht, was sie uns erzählt, sondern einfach weil ihr die Kraft fehle, sich mit den Menschen auseinandersetzen, die ihre Geschichte nur negieren wollen.

Ist heute ein „gesundheitlich“ guter Tag für Sie?

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Unternehmerin U.: Seit der Infektion ist ein Wintertag eher ein schlechterer Tag, da ich dann auf Medikamente angewiesen bin, um den Alltag zu meistern. Vor sieben Wochen, als es noch wärmer war, bin ich problemlos auf den Riederstein gekommen. In knapp 50 Minuten war ich oben. Letzte Woche kam ich hier im Hotel nur mit einer Pause in den ersten Stock.

Welche Krankheit wurde bei Ihnen diagnostiziert?

U.: Es wurde keine klare Diagnose gestellt, da Long beziehungsweise Post Covid noch nicht als Krankheit anerkannt ist. Die Symptome in Folge der mikrovaskulären Dysfunktion sind Angina Pectoris und Bluthochdruck.

Ein Beispiel: Wenn ich mal schnell die Treppen hochgehen will – das geht einfach nicht, weil ich Luftnot verspüre und der Brustkorb sich wie eingeschnürt anfühlt.

Ich nehme jetzt auch Blutdrucksenker, das musste ich vor meiner Corona-Infektion nie. Ich hatte eher niedrigen Blutdruck. Ich war immer ein sehr sportlicher Mensch, ernährte mich gesund, war sehr viel an der frischen Luft und habe nicht geraucht.

Sie haben sich im letzten Winter mit dem Corona-Virus infiziert. Können Sie uns berichten, wie das passiert ist?

U.: Ich habe mich vor dem Lockdown Ende Oktober 2020 mit dem Covid-19-Virus infiziert. Das muss im Umfeld eines Trauerfalls in unserer nächsten Umgebung passiert sein. Wir waren beim Bestatter und die Trauergäste haben im Hotel übernachtet. Vier Tage später war der Test, nur bei mir, positiv.

Woran haben Sie gemerkt, dass etwas mit Ihrem Körper nicht stimmt?

U.: Ich bin nachts mit schrecklichen Kopfschmerzen aufgewacht, zu denen ich sonst nie neige. Ich musste mich sogar übergeben. Mir war unterbewusst klar, dass ich mit Covid-19 infiziert bin. Am nächsten Morgen bin ich sofort zum Arzt gefahren. Sowohl der Schnelltest, als auch der anschließende PCR-Test waren positiv. Der eigentliche Verlauf der Infektion war mild.

Nach anfänglichen Kopfschmerzen und leichter Temperatur, wurden meine Zahnhälse schmerzhaft, dann folgte der bekannte Geruchsverlust, aber keine weiteren heftigen Beschwerden. Nach zwei Wochen war ich zwar noch nicht topfit, doch durchaus in der Lage, meinem normalen Alltag nachzugehen.

Wann haben Sie bemerkt, dass sich etwas in Ihnen verändert hat?

U.: Vier Wochen nach dem PCR-Test etwa. Als ich bei der kleinsten Aufregung oder Anstrengung anfing, Angina-Pektoris-Symptome zu haben.

Und das sind?

U.: Das ist mir auch erst später erklärt worden (lächelt). Also die Symptome bei mir waren ein eingeschnürter Brustkorb, die fehlende Belastbarkeit und mein Herz flatterte. Sport und Bewegung an der frischen Luft war kaum noch möglich.

Dann wurde in Agatharied eine Herzinsuffizienz diagnostiziert. Im Januar und Februar 2021 konnte ich kaum noch ums eigene Haus hier laufen.

Alles Symptome, die Ihnen von der Zeit vor der Infektion nicht bekannt waren?

U.: Nein. Ich war im Gegenteil topfit und gesund. Ich hatte ein völlig gesundes Herz.

Hatten Sie oder Ihre Ärzte damals schon den Verdacht, dass es sich um eine Long-Covid Erkrankung handelt?

U.: Den Verdacht gab es. Heute ist die Definition unter drei Monaten Long Covid, über drei Monaten Beschwerden nach der Infektion Post Covid. Wir Betroffenen wissen nicht, ob wir uns ein Leben lang mit der Krankheit quälen müssen. Meine Ärzte haben zwar den Verdacht geäußert, dass das mit Post-Covid zu tun haben könnte, aber leider ist die Wissenschaft noch nicht so weit, klare Diagnosen zu stellen.

Dann haben Sie bestimmt einen Ärztemarathon in den letzten Monaten hinter sich gebracht?

U.: Das fängt an beim Hausarzt, dann ging es weiter ins Krankenhaus, mit anschließenden Besuchen bei diversen Fachärzten, insbesondere Kardiologen. Einige Ärzte sagten: Sie werden sehen, im August gehen sie wieder beschwerdefrei auf den Berg. Ein hoffnungsvoller Trost.

Die ehrlichen Mediziner gaben jedoch zu, noch keine gesicherten Erkenntnisse zu besitzen. Andere empfahlen mir Psychopharmaka. Laut einiger Long Covid Selbsthilfegruppen, die es mit 10.000 Mitgliedern gibt, ein gängiges Prozedere.

Weil sie meinen, es handelt sich eher um ein psychisches Problem?

U.: Ja genau – es wird empfohlen, zum Psychologen zu gehen. Happy Pillen sollen dann die Lösung sein. Im Sommer hatte ich zu 80 bis 90 Prozent des Vorinfektionszustandes erreicht, trotz der Problematiken, die das Hotel mit sich brachte.

Waren Sie in der Lage, Ihrer Arbeit im Hotel nachzugehen?

U.: Dem Unternehmerkörper wird auf diese Frage kein „nein“ gegönnt, die betrieblichen Abläufe müssen weiter laufen, als Arbeitnehmer lässt man sich vermutlich krankschreiben. Man muss bei der ganzen Diskussion natürlich auch bedenken, welchen enormen wirtschaftlichen Schaden Post-Covid Erkrankungen anrichten. Dafür muss sich in der Gesellschaft endlich ein Bewusstsein entwickeln.

Man spricht derzeit allein in Deutschland von zirka 500.000 Long und Post Covid Erkrankten, das sind bis zu etwa zehn Prozent aller Menschen, die bereits eine Infektion durchgemacht haben.

Das gesamte Gesundheitssystem wird durch die Langzeiterkrankung stark belastet. Genesen heißt eben nicht wieder gesund sein. Was belastet Sie am meisten an der Krankheit?

U.: Man ist nicht mehr der oder die Alte. Das ist übrigens der Leitsatz aller Betroffenen. Es gibt gute Tage. Im Sommer habe ich gesagt: ‘Juhu ich bin über den Berg. Ich bin bei 90 Prozent – das reicht in meinem Alter’. Und dann kommt der Winter und plötzlich bekommst du von hinten mit der Pfanne einen übergezogen und stellst fest, dass du eben nicht gesund bist. In abgemilderter Form bin ich wieder dort, wo ich vor acht Monaten war.

Für Sie ist die Jahreszeit, die Temperatur der ausschlaggebende Faktor?

U.: Ich habe die Diagnose dazu nicht – die Ärzte wissen es nicht. Aber das ist es, was ich an mir beobachte. Bei kalten Temperaturen funktioniert die Durchblutung der kleinen Gefäße nicht richtig. Gleiches erlebt ein Bekannter von mir. Bei ihm sind es die Extremitäten, sobald es draußen kälter wird.

Sie haben die Selbsthilfegruppen schon vorher erwähnt. Gibt es da Treffen?

U.: Ja – aber im Netz. Hier im Tal glaube ich nicht. Zum Beispiel in meiner Facebook Gruppe sind Menschen aus fast allen Teilen der Welt.

Fühlen Sie sich manchmal wie ein medizinisches Versuchskaninchen?

U.: Ich unterstelle den Ärzten, dass sie helfen wollen. Und wir Betroffenen gehen zum Arzt, weil wir Hilfe haben wollen. Aber im Studium ist das Thema Long- und Post-Covid natürlich noch nicht behandelt worden und die Ärzte können ohne fundierte wissenschaftliche Erkenntnisse nicht am Patienten herumexperimentieren.

Daher greifen die Mediziner verständlicherweise auf das vorhandene Wissen zurück. Bei den meisten Ärzten findet man aber eher noch Unverständnis. Das Medikament, das ich zurzeit einnehme, ist ein Caliciumantagonist. Das wird verschrieben zur Erweiterung der Blutgefäße. Es hilft mir.

Wie geht Ihr direktes Umfeld mit der Erkrankung um?

U.: Sehen Sie mich an. Ich mache jetzt nicht den Eindruck einer totkranken Frau, oder? Ich muss funktionieren – also funktioniere ich, insofern wird meine Krankheit auch gerne mal ignoriert.

Ich muss immer wieder klar sagen – Nein! Stopp! Auch wenn ich das gar nicht will. Das musste ich in den letzten fast 14 Monaten lernen. Dabei würde ich viel lieber ganz normal auf dem Niveau vor der Infektion leben.

Aber es gibt dann Grenzen?

U.: Ja – Ich merke einfach, es geht nicht mehr. Mein Herz macht nicht mit. Bei dem Wetter gehe ich so wenig wie möglich vor die Tür, obwohl ich eine passionierte Wintersportlerin bin. Meine Familie, mein Sohn ist 13, versucht mich zu unterstützen. Aber man kann von einem Kind nicht erwarten, dass es auf einmal nicht mehr Kind ist. Er muss sein Leben leben.

Was wünschen Sie sich von den Medien in Bezug auf die Berichterstattung über Post-Covid?

U.: Es wird einfach zu wenig aufgeklärt. Es liegt wohl daran, dass Post- oder auch Long-Covid noch nicht als Krankheit definiert ist.

Es geht leider sehr schnell in die Schiene: Ach der Hypochonder.

Insgesamt sollten die Medien noch besser über das Impfen aufklären und dafür werben. Mir ist es unverständlich, wenn sich Menschen nicht impfen lassen wollen. Bei rund 90 Prozent der Infektionsketten sind Ungeimpfte involviert, die Coronapatienten auf den Intensivstationen sind fast ausschließlich Ungeimpfte. Sei es aufgrund von Ignoranz oder mangelndem Wissen – ich habe für dieses Verhalten überhaupt kein Verständnis.

Einige der „Impfskeptiker“ bringen immer öfter das Argument: Der beste Schutz gegen Corona sei die Genesung von einer Covid-Infektion. Was sagen Sie dazu?

U.: Ich bin kein Mediziner und weiß nicht wie die Wertigkeit von Antikörpern einer durchlaufenden Infektion im Vergleich zu den Impfantikörpern zu betrachten ist. Fakt ist jedoch, dass man ungeimpft nicht vor Long und Post Covid geschützt ist. Die Imfpverweigerer und Skeptiker können gerne mal mit uns Betroffenen das Gespräch suchen.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie, würden sie jemanden kennenlernen, der wie ich an Post-Covid erkrankt ist, noch so einen Blödsinn behaupten würden.

In Hinblick auf die Omikron Variante habe ich mich gerade boostern lassen.

Wir danken Ihnen für das Gespräch.

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